Wenn die Wade ziept, der Kopf dröhnt, der Rücken schmerzt oder die Grippe an den Gliedern zerrt, nahm man früher Aspirin. Das hat sich geändert. Längst ist Ibu, kurz für Ibuprofen, die Lieblings-Kopfschmerztablette der Deutschen (siehe Grafik). Die Pille verspricht, dass wir ungehindert 90 Minuten auf dem Fußballfeld stehen können, den Kinoabend nicht absagen müssen oder auf der Arbeit funktionieren. Und das alles vermeintlich ohne große Nebenwirkungen. Nur: Stimmt das? Ist Ibu wirklich besser als Aspirin? Und nehmen wir nicht grundsätzlich zu viele Schmerzmittel?
Ibuprofen verkauft sich jedenfalls sehr gut. Die Präparate machen inzwischen mehr als die Hälfte der Schmerzmittel aus, die ohne Rezept über Apothekentresen gehen. Das zeigen Zahlen des IMS PharmaScope, die das Marktforschungsunternehmen IQVIA für ZEIT ONLINE ausgewertet hat. Zwischen 2007 und 2016 hat sich die Menge der verkauften Ibu-Packungen - 400 Milligramm-Tabletten sind rezeptfrei - fast verdoppelt.
Und auch unter den ärztlichen Verschreibungen hat das Schmerzmittel Konjunktur. Der Ibu-Anteil am Schmerzmittelmarkt stieg zwischen 1990 und 2016 von ungefähr sechs Prozent auf fast ein Drittel, teilt das Wissenschaftliche Institut der AOK auf Anfrage mit. Diclofenac (auch bekannt als Voltaren), Paracetamol und Acetylsalicylsäure (ASS), der Wirkstoff von Aspirin, werden vergleichsweise immer unbeliebter.
"Dass die Menschen heute eher Ibuprofen, Diclofenac oder Paracetamol nehmen als ASS, ist schon sinnvoll", sagt Jan-Peter Jansen, ärztlicher Leiter des Schmerzzentrums Berlin. Denn ASS beeinflusst stark die Blutgerinnung. Wer dringend operiert werden muss und kurz davor Aspirin genommen hat, stellt den Chirurgen mitunter vor große Probleme. Ob Ibuprofen aber deutlich sicherer ist als Diclofenac oder Paracetamol, wisse man nicht, sagt Jansen. Manche Analysen legen das nahe, in anderen nehmen sich die Stoffe aber nicht viel (Deutsches Ärzteblatt: Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, 2013).
Nur warum ist Ibu dann so beliebt wie nie? "Ich glaube, das liegt an der gezielten Werbung der Hersteller", sagt Jansen. Die preisen das Medikament seit Jahren als Alleskönner an, der gegen Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen und Fieber helfen soll. Und zwar der ganzen Familie, von der Oma bis zum Kind.
Schmerzen? Unmenschlich und unnötig!Der Trend folgt einer größeren Bewegung. Anfang der 2000er kritisierten Mediziner, dass es unmenschlich und unnötig sei, den Großteil der Krankenhauspatienten unter Schmerzen leiden zu lassen. Eine kanadische Initiative setzte sich deshalb dafür ein, Schmerzen rigoros zu behandeln.
Die Idee des "schmerzfreien Krankenhauses" breitete sich in alle Welt aus ( zum Beispiel Journal of Headache and Pain: Visentin, 2002; pdf). Vermehrt entstanden spezialisierte Schmerzkliniken. Diese Bewegung führte zu einem Mentalitätswandel unter Medizinern. Seitdem steigen die Verkaufszahlen von Schmerzmitteln: für verschreibungspflichtige Substanzen seit 2004 um fast 30 Prozent und für rezeptfreie Medikamente um immerhin ein Fünftel.