Jakob Simmank

Wissenschaftsjournalist, Berlin

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Drei Tote pro Minute

Keine andere Infektion tötet mehr Menschen als die Tuberkulose. Doch die Seuche der Superlative wird nicht richtig bekämpft – obwohl es machbar wäre. Eine Ursachensuche 


Woran denken Sie, wenn Sie Tuberkulose hören? An Thomas Manns Buch Der Zauberberg, an eine Krankheit unserer Urgroßeltern, an tonnenschwere Röntgengeräte, die erste Bilder der Lunge machten? Die Wahrheit sieht anders aus. Sie taugt nicht für Nostalgie. Sie ist im Gegenteil absolut erschreckend. Denn allein heute, am Welttuberkulosetag, werden im Schnitt jede Minute drei Menschen an der Infektionskrankheit sterben. Mehr als 4.500 Menschen an einem Tag also. 28.000 werden sich neu anstecken, viele davon sind Kinder.

Mehrere Milliarden Menschen sind infiziert, sage und schreibe ein Drittel der Weltbevölkerung trägt den Erreger in sich. Ein einzelner wäre zwar gut zu behandeln und zu retten - theoretisch müsste niemand mehr an Tuberkulose sterben. Und doch bleibt TBC, wie Ärztinnen und Ärzte oft sagen, die tödlichste Infektionskrankheit der Welt.

In Deutschland ist die Tuberkulose kein großes Problem: Jährlich werden etwa 6.000 Fälle registriert. Und doch kommt es im Jahr auch hierzulande zu etwa 100 Todesfällen (Robert Koch-Institut, 2017). Im Vergleich zu anderen Ländern sind die Behandlungsmöglichkeiten hierzulande exzellent. Weltweit aber ist die Tuberkulose eine Seuche enormen Ausmaßes. Noch erschreckender als die Erkrankungs- und Todeszahlen aber ist die Art und Weise, wie die Regierungen auf die Erkrankung reagieren. Gemessen an ihrer Bedeutung vernachlässigen viele die Tuberkulose seit Jahrzehnten hochgradig. Das zeigt ein Blick auf die Zahlen: Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass jährlich fast zwei Milliarden Euro zur Bekämpfung der Tuberkulose fehlen ( Global Tuberculosis Report 2017, PDF).

Was ist Tuberkulose?

Es war Robert Koch, der 1882 erstmals in einem Vortrag in Berlin beschrieb, wie winzige Stäbchenbakterien (Mycobacterium tuberculosis) die schwere, oft chronische und tödliche Infektionskrankheit auslösen. Dass sich als Entzündungsreaktion auf die eindringenden Keime unter dem Mikroskop sichtbare Knoten ( Tuberkel) im betroffenen Gewebe bilden, gab der Tuberkulose ihren Namen, die nach ihrem Entdecker auch Morbus Koch heißt.

Mit seiner Arbeit untermauerte Koch auch, was manche Zeitgenossen anzweifelten: Dass TBC ansteckend ist, weil sich die winzigen Erreger mit dem Husten und dem Niesen Infizierter verbreiten ( Tröpfcheninfektion).

Tatsächlich zeigt sich TBC beim Menschen meistens in Lymphknoten und in der Lunge. Doch die Infektion kann auch andere Organe betreffen: die Leber, die Hornhäute, die Haut oder Nieren.

Nur fünf bis zehn Prozent aller mit Mycobacterium tuberculosis infizierten Menschen - insbesondere diejenigen mit einem stark geschwächten Immunsystem - erkranken tatsächlich im Laufe ihres Lebens an Tuberkulose. Eine große Rolle spielt TBC auch als Sekundärinfektion zum Aids-Erreger HIV. Allein 2016 hat sich nach Schätzungen der WHO eine Million HIV-Positive auf der Welt zusätzlich mit Tuberkulose infiziert.

Leichtes Fieber, Schwitzen in der Nacht, Gewichtsverlust, trockener, mitunter blutiger Husten - die ersten Symptome einer Tuberkulose sind sehr unspezifisch, oft merken Infizierte sehr lange nichts von der Krankheit. Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto mehr schwächt sie oft die Patienten. Sogar zu einer Blutvergiftung, durch die sich Tuberkuloseherde über den ganzen Körper verteilen, kann es kommen. Das endet sehr oft tödlich, vor allem ohne Therapie.

Je nach Stadium der Infektion in der Lunge oder den Organen können die Anzeichen sehr unterschiedlich sein. Erst ein Labortest kann die Diagnose bestätigen.

Ausführliche Informationen zur Tuberkulose hat das Robert Koch-Institut zusammengestellt.

Die Tuberkulose ist noch immer enorm verbreitet. Jeder dritte Mensch, so Schätzungen, trägt den Erreger in sich. Jährlich stecken sich mehr als zehn Millionen Menschen neu an. Und keine Infektionskrankheit der Welt führt zu so vielen Todesfällen wie die Tuberkulose: Jährlich sind es weltweit 1,3 Millionen. Dazu kommen noch 370.000 Menschen, die HIV oder Aids haben und dann an Tuberkulose sterben. In Deutschland registrierte das Robert Koch-Institut 2016 etwa 6.000 Neuerkrankte.

Erst seitdem Antibiotika die Bakterien im Körper zurückdrängen können, ist die Krankheit gut heilbar, sofern sie erkannt wird und Arzneimittel verfügbar sind. Doch multiresistente Tuberkulosekeime stellen die Medizin vor eine neue Herausforderung. Ungefähr 600.000 Menschen - so schätzt die WHO - steckten sich 2016 mit einem TBC-Bakterienstamm an, der gegen bestimmte Standardantibiotika resistent war.

Die Tuberkulose wird mit besonderen Antibiotika behandelt. Weil die Bakterien sehr langsam wachsen, müssen die Wirkstoffe oft über viele Monate eingenommen werden. Zudem müssen mehrere Wirkstoffe kombiniert werden, um das Risiko zu verringern, dass Resistenzen entstehen. Die Therapie erfolgt meist so lange in einem Krankenhaus in Quarantäne, bis die Patienten nicht mehr ansteckend sind. Dann dürfen sie nach Hause und können die Therapie dort fortsetzen.

Zu wenig investiert wurde der WHO zufolge auch in die Erforschung neuer Tests und Medikamente - eine Milliarde Euro mehr hätte es hier gebraucht. Zwischen den Jahren 2011 und 2015 habe die Forschung gerade einmal ein Drittel dessen erhalten, was nötig gewesen wäre, um die Erkrankung mittelfristig auszurotten, schreibt etwa die Treatment Action Group ( Report on Tuberculosis Research Funding Trends, 2005 - 2015), eine NGO, die ursprünglich im Kampf gegen Aids und HIV gegründet wurde und sich für die bessere und schnellere Erforschung von Medikamenten und Therapien einsetzt.

"Ein eklatanter Mangel an Forschungsgeldern"

Regierungen, Pharmaunternehmen und wohltätige Organisationen geben nur ungefähr halb so viel Geld für die Erforschung der seit dem 19. Jahrhundert bekannten Bakterieninfektion aus wie im Bereich HIV und Aids. Selbst die (noch immer unzureichende) Malaria-Forschung erhält mehr Geld ( G-Finder Report, 2015). "Es gibt global einen eklatanten Mangel an Forschungsgeldern", kritisiert Marco Alves von der Organisation Ärzte ohne Grenzen. "Und auch in Deutschland hat die Tuberkulose eine sehr, sehr geringe Bedeutung in der Forschungslandschaft." Aber was muss zu einer Erkrankung, gegen die es seit Jahrzehnten eine etablierte Therapie gibt, überhaupt noch erforscht werden?

Überraschenderweise viel. Denn die Tuberkulose ist kein bakterieller Infekt wie jeder andere. Die Erreger zählen zu den Mykobakterien, und die lassen sich schon wegen ihrer dicken Zellwände von vielen Antibiotika - also den Medikamenten, die sonst zuverlässig Bakterien bekämpfen - kaum angreifen. Außerdem werden sie vom Körper eingekesselt, zum Beispiel in Kavernen, kleinen Löchlein im Lungengewebe, und sind deshalb für die im Blut zirkulierenden Wirkstoffe nicht gut erreichbar.

Nur eine Kombination spezieller Antibiotika heilt

Meist schlummern die Keime lange im Körper, teils über viele Jahre, und warten auf den Tag, an dem das Immunsystem des befallenen Menschen schwächelt. Zum Beispiel wegen einer zusätzlichen HIV-Infektion. Erst dann lösen sie sich aus dem Griff der Immunzellen, fangen an, sich stark zu vermehren und über den Körper zu verteilen. Dann verursachen sie oft Symptome und die Krankheit bricht aus.

Weil sich die Bakterien sehr langsam teilen, müssen Ärztinnen und Ärzte eine Tuberkulose außerdem deutlich länger mit Antibiotika behandeln als andere bakterielle Infektionen, meist mehrere Monate, manchmal Jahre. Um Resistenzen zu verhindern, verschreiben sie Kombinationen mehrerer spezieller Antibiotika.


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