Jakob Simmank

Wissenschaftsjournalist, Berlin

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Parkinson: Gebeugt, nicht gebrochen

Die Zahl der Parkinson-Patienten nimmt drastisch zu. Ist die Medizin darauf vorbereitet?

"Ich schau mal nach, ob sie noch da ist", sagt Aren Hilb* und schlurft zum Badezimmer. Tür auf, Licht an, Tür zu, ein breites Lächeln: "Nein, sie ist verschwunden." Seit Hilb das Medikament Levodopa gegen seinen Parkinson bekommt, sieht er manchmal Dinge, die nicht da sind. Zum Beispiel das Mädchen im Bad. "Die ist nett, sie stört mich nicht." Hilbs rechte Hand zittert. Wenn er sitzt, klatscht sie rhythmisch auf den Oberschenkel. Sein Gang: ein wenig gebeugt, sein rechtes Bein steif. "Manchmal will ich das Bein bewegen, aber nichts passiert", sagt Hilb. "Es ist, als würde das Gehirn Signale senden, die nicht beim Bein ankommen."

Tatsächlich liegt das Problem beim sogenannten Idiopathischen Parkinson-Syndrom, an dem auch Hilb erkrankt ist, im Gehirn selbst. Im Mittelhirn sterben Nervenzellen, die eine zentrale Rolle für die Bewegung spielen. Diese Neurone produzieren eigentlich den Botenstoff Dopamin und schicken ihn mit ihren schlanken Nervenenden in Gebiete unterhalb der Großhirnrinde, die Bewegungen, die Motivation, aber auch kognitive Prozesse regeln. Ist ungefähr die Hälfte dieser Zellen untergegangen, zeigen sich die typischen Symptome: Arme und Beine beginnen zu zittern, selbst wenn der Patient ruhig ist, wobei meist eine Körperseite stärker betroffen ist. Die Muskeln werden steif, die Schritte kleiner - es wird immer schwerer, Bewegungen auszuführen; der Gesichtsausdruck wird starr, und die Patienten stürzen leichter.

Es wird immer wichtiger, die Erkrankung noch besser zu verstehen. Denn aus Parkinson ist eine regelrechte Pandemie geworden, schrieb jüngst der US-amerikanische Neurologie-Professor Ray Dorsey von der University of Rochester im Fachblatt Jama Neurology. "In den letzten 25 Jahren hat sich die Zahl der Erkrankungen weltweit verdoppelt", erklärt er der ZEIT. "Und bis 2040 könnte sie sich noch einmal verdoppeln, auf über 14 Millionen Menschen." Davon ist auch Deutschland nicht ausgenommen, sagt Günther Deuschl, Neurologe an der Christians-Albrechts-Universität zu Kiel und Präsident der European Academy of Neurology: "Die Parkinson-Zahlen nehmen zu. Momentan leben 250.000 bis 300.000 Menschen in Deutschland mit der Krankheit. Ein weiterer Anstieg ist zu erwarten." Noch nicht veröffentlichten Krankenkassendaten zufolge könnten es sogar bis zu 400.000 sein.

Was ist der Grund dafür, dass die Zahlen so rasant ansteigen? Und ist die Medizin darauf vorbereitet, die vielen neuen Patienten zu erkennen und zu behandeln?

Bei Aren Hilb machte sich die Erkrankung vor zwei Jahren das erste Mal bemerkbar. Seine Hände wurden schwächer, unruhige Beine hielten ihn vom Schlafen ab, und dann begann das Zittern - vor allem, wenn er aufgeregt war. Im August letzten Jahres zwang ihn die Krankheit dazu, seine Arbeit als Teamleiter einer Inventur-Firma aufzugeben. Er erinnert sich noch genau an den Tag: "Meine Hände waren schwach, deshalb bin ich nach Hause gefahren. Aber die Fahrt habe ich nicht mehr geschafft, weil das Zittern so stark war." Er fuhr rechts ran, rief die Polizei an und bat die Beamten, das Auto einzuparken. Dann ging Hilb nach Hause.

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Frühe Symptome

Bei Parkinson denkt man vor allem an das unaufhörliche Zittern. In Wirklichkeit kündigt sich die Krankheit mitunter zehn Jahre vor der Diagnose mit ganz anderen Symptomen an. Oft können die Patienten nicht mehr riechen, ihre Muskeln oder Gelenke schmerzen, und Ärzte diagnostizieren fälschlicherweise eine Arthritis. Das alles ist noch kein Grund, nervös zu werden. Erstens steckt nicht immer ein Morbus Parkinson hinter den Symptomen, und zweitens wird keine therapeutische Chance verpasst, wenn die Anzeichen fälschlicherweise nicht als frühe Symptome von Parkinson interpretiert werden.

Wie die Krankheit verläuft

Ärzte unterscheiden verschiedene Stadien. Am Anfang fehlen noch eindeutige Symptome. Dann aber funktioniert die Feinmotorik auf einer Körperseite auf einmal nicht mehr so gut, das Zuknöpfen von Hemden fällt vielleicht schwer. Jetzt wäre es Zeit für die ersten Medikamente. Aber mitunter dauert es noch drei Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Die Muskeln werden starr oder zittern, Bewegungen verlangsamen sich, das Stehen wird unsicher. In manchen Fällen geht das sehr schnell. Bei vielen dauert es Jahrzehnte, in denen die Bewegungsfähigkeit immer weiter abnimmt. Im letzten Stadium sind die Patienten auf den Rollstuhl angewiesen.

Was Patienten tun können

Das Wichtigste: Körperlich und geistig aktiv bleiben. Krankengymnastik, aber auch Sport wie Joggen, Fahrradfahren oder ins Fitnessstudio gehen, helfen - Hauptsache, es macht Spaß und die Betroffenen bleiben dran. Muskelaktivität kompensiert zum Teil den Effekt der nachlassenden Dopamin-Produktion im Gehirn. Außerdem gilt es, alles zu meiden, was die Durchblutung im Gehirn stören könnte: Rauchen* etwa oder zu viel und zu fettes Essen.

*Anmerkung der Redaktion: In Studien zeigt sich, dass Raucher seltener an Parkinson erkranken. Woran das liegt, wird momentan erforscht. Trotzdem sollte niemand aus Angst vor Parkinson mit dem Rauchen beginnen, denn die Gesundheitsrisiken von Rauchen sind immens. Und für den, der bereits Parkinson hat, gilt ohnehin: Rauchen könnte die Symptome verschlechtern.

Was Ärzte tun können

Im Gehirn fehlt zunehmend der Nervenbotenstoff Dopamin. Eine Möglichkeit, das auszugleichen, ist der Einsatz von sogenannten Dopamin-Agonisten. Fünf bis zehn Jahre funktioniert das meist gut, bei manchen Patienten auch noch viel länger. Doch irgendwann lässt die Wirkung nach, und mit einer höheren Dosis treten stärkere Nebenwirkungen auf, etwa Verhaltensstörungen oder gar Halluzinationen. Manchmal helfen dann andere Medikamente. Schließlich ist für viele die Tiefe Hirnstimulation die letzte Option. Ganz beseitigen kann diese die Symptome indes oft nicht - viele Patienten sind dann enttäuscht.

Komplikationen

Eine frühe Nebenwirkung der Medikamente kann der Verlust der Impulskontrolle sein, der in einen Kaufrausch oder zur Spielsucht führen kann. Die Betroffenen und ihre Angehörigen sollten das wissen und darauf achten. Später werden Stürze zum Problem. In der letzten Phase lassen bei bis zu 80 Prozent der Patienten die geistigen Fähigkeiten nach. Eine Demenz ist die Folge.

Aren Hilb war 55, als der Parkinson bei ihm diagnostiziert wurde. Meist schlägt die Erkrankung jedoch erst später zu. Im Schnitt leidet von den über 65-Jährigen jeder Hundertste an Parkinson, von den über 85-Jährigen sind sogar bis zu drei Prozent erkrankt. "Der Hauptrisikofaktor für Parkinson ist hohes Alter", erklärt Deuschl. Es leuchtet also ein, dass Parkinson zunimmt, wenn die Menschen in Deutschland und auf der Welt immer älter werden. Das aber ist, wie Ray Dorsey festhält, nicht der einzige Grund. Denn die Raten von Parkinson nehmen rapider zu als zum Beispiel die von Alzheimer-Demenz, auch eine typische Alterskrankheit. Warum - das liegt bisher noch im Dunkeln, obwohl es Verdächtige gibt: "Wahrscheinlich spielen Umweltfaktoren eine wichtige Rolle", sagt Dorsey. Vor allem Pestizide werden verdächtigt. Und dann sei auf paradoxe Weise wahrscheinlich noch der abnehmende Zigarettenkonsum schuld: "Raucher erkranken nur halb so oft an Parkinson", sagt Dorsey. Dass in Westeuropa und den USA die Raucher weniger werden, könnte dem Parkinson also Vorschub leisten. "Wir würden deshalb aber niemals das Rauchen empfehlen", sagt Günther Deuschl. Stattdessen prüfe man in Studien, ob Nikotinpflaster den Ausbruch der Krankheit verhindern können.

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