Jakob Simmank

Wissenschaftsjournalist, Berlin

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Todesstrafe: Hauptsache, hinrichten

Acht Hinrichtungen in zehn Tagen: Plötzlich muss es ganz schnell gehen im US-Bundesstaat Arkansas, wo seit zwölf Jahren niemand mehr hingerichtet wurde. Der Grund ist das Haltbarkeitsdatum des Betäubungsmittels Midazolam - genau acht Dosen davon waren noch auf Vorrat und würden Ende des Monats ablaufen. Midazolam ist Teil des tödlichen Medikamentencocktails, der in der Giftspritze steckt. Drei der acht zum Tode Verurteilten wurden so bereits getötet, zwei davon gestern.

Und wieder einmal berichten Anwälte von grausamen Bedingungen und Qualen in der Todeszelle: 45 Minuten vergingen, bis das Personal des Gefängnisses es geschafft hatte, einen Katheter in einer Vene des Verurteilten Jack Jones zu platzieren.

Warum gibt es immer wieder Fälle, in denen Todeskandidaten leiden müssen? Liegt es wirklich an den Giftmischungen? Und weshalb gibt es die Todesstrafe überhaupt noch auf der Welt? Schreckt sie ab, verringert sie gar Mordfälle? ZEIT ONLINE beantwortet die wichtigsten Fragen.

Kommt es regelmäßig zu Problemen mit der Giftspritze?

Bei jedem 14. Todeskandidaten in den USA (sieben Prozent), der per Injektion hingerichtet wird, treten Schwierigkeiten auf, schätzen Experten. Oft quälen sich zum Tode Verurteilte minutenlang, während sie sterben: Sie ringen nach Luft, bäumen sich auf und verziehen das Gesicht vor Schmerzen. 2014 starb Clayton Lockett auf der Liege der Todeszelle nicht etwa an den Medikamenten der Giftspritze, sondern an einem Herzinfarkt - eine Nebenwirkung der stressigen Hinrichtung.

Wieso gibt es bei Hinrichtungen Komplikationen?

Ein wichtiger Grund ist, dass Mediziner sich weigern, Menschen hinzurichten oder auch nur dabei zu helfen. Denn das widerspricht dem ärztlichen Ethos: Das Gebot "Primum nihil nocere" (auf Deutsch: Zuerst einmal nicht schaden) gilt als einer der Grundsätze der Medizin. Deshalb forderte 2006 auch die American Medical Association, der Berufsverein amerikanischer Ärzte, ihre Mitglieder öffentlich dazu auf, Hinrichtungen nicht zu unterstützen. Mitgliedern, die dies trotzdem taten, drohte sie mit dem Entzug der Berufserlaubnis.

In der Folge griffen die Gefängnisse immer häufiger auf Personal zurück, das medizinisch schlecht ausgebildet war. Und diese Helfer haben seither schon allein damit große Probleme, eine geeignete Vene zu finden und einen Venenkatheter zu platzieren. Genau das ist absolut notwendig, um die Wirkstoffe der Giftspritze zu verabreichen.

Warum gehen Gefängnissen die Medikamente für die Giftspritze aus?

Den ursprünglichen Medikamentencocktail schlug der US-amerikanische Arzt Jay Chapman 1977 zusammen mit seinem Kollegen Stanley Deutsch vor. Er bestand aus drei verschiedenen Mitteln: Erst wurde der Verurteilte mit einem Barbiturat wie Pentobarbital schlafen gelegt, damit er vom Rest der Hinrichtung nichts mitbekam. Dann wurden die beiden anderen Medikamenten gespritzt: ein Wirkstoff, der die Muskeln lähmt, und eine Kaliumchlorid-Infusion, die das Herz binnen Sekunden stilllegt.

Inzwischen versiegt jedoch der Vorrat an den benötigten Medikamenten. Nachschub gibt es auch nicht. Schon seit Jahren weigern sich Pharmaunternehmen Barbiturate, wie Pentobarbital zu liefern. Vergangenes Jahr hat nun auch der letzte große Konzern die Lieferung alternativer Mittel wie Midazolam (siehe unten) eingestellt. Lange hatten noch compounding pharmacies, also Apotheken, die Arzneimittelrezepturen herstellen und weniger streng kontrolliert werden, Medikamente geliefert. Die waren zwar mitunter schlecht kontrolliert und verschmutzt, aber die letzte Möglichkeit für viele Bundesstaaten, um an einen Giftcocktail zu kommen. Aber seit 2015 hakt es auch hier: Der Verband der Apotheken untersagte seinen Mitgliedern die Lieferung an Gefängnisse.

Einige Staaten probierten in der Folge an den zum Tode Verurteilten neue Mischungen aus. Zum Beispiel aus Midazolam, einem Beruhigungsmittel, das man in Deutschland für Kurznarkosen wie bei einer Darmspiegelung benutzt, und Hydromorphon, einem Schmerzmittel. Beide gemeinsam provozieren einen Atemstillstand. 2014 gingen zwei Hinrichtungen, bei denen die Verurteilten diese beiden Mittel bekamen, aber gründlich schief. Dennis McGuire, einer der beiden Hingerichteten, schnaubte, gurgelte und wand sich auf der Liege, erzählte seine Familie. Der andere, Joseph R. Wood, schnappte 40 Minuten nach Luft, ehe sein Tod festgestellt wurde.

Ist es möglich, Menschen ohne Qualen hinzurichten?

Für viele ist es immer grausam, einen Menschen zu töten. Aber alles deutet darauf hin, dass es sanfter geschehen kann, mit weniger Qualen, als momentan in den USA. Der Erfinder der Giftspritze Jay Chapman erzählte noch 2014 dem Time Magazine, dass er sich keine humanere Art des Tötens vorstellen könne. Und auch die Sterbehilfepraxis in der Schweiz scheint dies zu bestätigen. Hier trinkt der Sterbewillige ein Glas Wasser, in dem eine Überdosis Natrium-Pentobarbital aufgelöst ist. Das Mittel bringt nach wenigen Minuten den Schlaf, nach einer Viertelstunde stoppt der Atem, der Tod tritt ein. Die Komplikationsrate liegt nahezu bei null.

Warum gibt es die Todesstrafe überhaupt noch?

Wer Hinrichtungen heutzutage als Strafe befürwortet, argumentiert unter anderem damit, dass sie Menschen davon abhalte, andere zu töten. Zudem sollen sie den Angehörigen von Opfern eine Wiedergutmachung für ihren Verlust sein. Davon ist etwa einer der bekanntesten Befürworter der Todesstrafe in den USA, der Rechtsprofessor Robert Blecker überzeugt. Er sagt, wer Vergeltung fordere, rechtfertige die Todesstrafe aber nicht durch die Abschreckung oder Sicherheit, die sie bringe. "Wir rechtfertigen die Bestrafung, weil sie verdient ist." Den Tod haben aus seiner Sicht all jene verdient, die vergewaltigen und grausam töten, insbesondere Serien-, Folter- und Massenmörder, Auftragskiller und Terroristen.

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