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„Was interessiert den Senat schon der Breitensport?"

Das Erika-Heß-Eisstadion wird zum Impfzentrum - zum Leidwesen seiner Benutzer                   


Das Erika-Heß-Stadion wird diesen Winter als Impfzentrum genutzt. Für den ansässigen Eishockeyverein FASS Berlin hat das dramatische Folgen.


Gerald Hagen ist fassungslos. Dass sein Eishockeyverein seine Heimstätte von einem auf den anderen Tag für den kompletten Winter verlassen muss, ist für den Pressesprecher von FASS Berlin „vollkommen unverständlich". Grund für den überstürzten Auszug ist der Beschluss des Senats, das Erika-Heß-Eisstadion zu einem der sechs Berliner Corona-Impfzentren umzufunktionieren.

Die Entscheidung vom 17. November traf den Verein hart und vor allem vollkommen unvorbereitet. „Weder wir, noch der Landessportbund oder der Berliner Eishockeyverband wurden informiert. Wir wurden mit Erscheinen eines Zeitungsartikels vor vollendete Tatsachen gestellt", sagt Hagen.

Noch in der selben Woche wurde das Eis abgetaut. Nach wenigen Tagen konnte man nur noch erahnen, dass sich in dieser Halle normalerweise wöchentlich 325 Sportler zum Eishockey, Eiskunstlauf oder Eisstockschießen treffen.

Im Gegensatz zu den fünf anderen geplanten Impfzentren wie der leerstehenden Messehalle 11, den ehemaligen Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie dem Velodrom in Pankow und der Arena in Treptow-Köpenick wäre das Erika-Heß-Stadion von den ansässigen Vereinen in diesem Winter fast jeden Tag genutzt worden.

Wie all die verschiedenen Mannschaften, die für ihren Sport auf eine Eissporthalle angewiesen sind, über den kommenden Winter umverteilt werden sollen, ist auch eine Woche nach dem Beschluss noch nicht geklärt. „Wir haben in Berlin sowieso schon zu wenig Eishallen. Wir werden also nicht alle Breitensportler umverteilen können", sagt Hagen und fügt verdrossen hinzu: „Aber was interessiert den Senat auch der Breitensport?"

Die Entscheidung war alternativlos

Verantwortlich für die Koordinierung der sechs Berliner Impfzentren ist der ehemalige Leiter der Berliner Feuerwehr, Albrecht Broemme. Der 77-Jährige ist schon seit seinem 17. Lebensjahr im Katastrophenschutz aktiv und eigentlich seit einem Jahr im Ruhestand. Die Probleme der betroffenen Mannschaften lassen ihn nicht kalt: „Uns war bewusst, wie stark wir die ansässigen Vereine damit belasten. Breitensport ist unglaublich wichtig für unsere Gesellschaft, aber die Lage ist sehr ernst und wir mussten priorisieren."

Dass eine flächendeckende Impfung momentan essenziell ist, stellt Hagen nicht in Frage. Trotzdem wundert er sich, warum es ausgerechnet ein so stark genutztes Eisstadion treffen musste. „Es gibt seit der Pandemie doch so viele leerstehende Hallen in Berlin. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Da wurde einfach nicht drüber nachgedacht", sagt Hagen.

Broemme wurde vom Bundespräsidenten mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet, weil er im Frühjahr ehrenamtlich die Errichtung der Notklinik in den Berliner Messehallen koordinierte. Über die Aufgabe, 20.000 Menschen pro Tag zu impfen, habe er sehr wohl nachgedacht und sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. „Wir brauchten sechs möglichst große Hallen, die gleichmäßig in der Stadt verteilt sind. Das Erika-Heß-Eisstadion ist nun mal die einzige Halle in der Region Berlin-Mitte mit den erforderlichen Fläche von 3.000 Quadratmetern."

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Die Alternativlosigkeit der Entscheidung ist den betroffenen Vereinen trotzdem schwer zu vermitteln. Hagen befürchtet durch den Umzug in die „Eissporthalle Glockenturmstraße" neben kurzfristigen Problemen für die in der Regionalliga Ost spielende erste Mannschaft auch einen langfristigen Schaden für die Nachwuchsabteilung.

„Wie sollen Eltern, die ihr Kind zweimal die Woche zum Eishockey bringen, jetzt plötzlich nach Charlottenburg fahren? Das bekommen doch nur die wenigsten hin", sagt Hagen. „Die Jugend sucht sich irgendwann andere Beschäftigungen. Viele Kinder dieser Jahrgänge werden uns nachhaltig fehlen." Broemme kann den Frust der Vereine absolut verstehen und den betroffenen Sportlern trotzdem etwas Hoffnung geben: „Wir brauchen die Halle nur für die erste Impfphase. Wenn alles rund läuft, können wir den Mannschaften schon nach drei Monaten ihre Halle zurückgeben." Dass alles rund läuft, ist in diesen unsicheren Wochen natürlich eine sehr gewagte Hoffnung. Doch solange es dauert, die ersten 900.000 Dosen zu verimpfen, müssen sich Vereine gedulden.

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