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FAQ zu Masern und Impfpflicht

Die Bundesregierung prüft eine Impfpflicht gegen Masern, für Impfgegner eine Katastrophe. Wie gefährlich sind Masern heute noch? Und wie sinnvoll ist eine Impfpflicht für Babys?


Nun sag mir, wie hast du's mit dem Impfen? Spätestens seit bekannt wurde, dass in Hildesheim ungeimpfte Schüler vom Unterricht ausgeschlossen wurden, nachdem dort die Masern ausgebrochen waren, ist die Frage über eine Impfpflicht wieder in aller Munde.

Die SPD im Bundestag will die Impfung von Kindern gegen Masern zur Pflicht machen, auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) fordert das. Die Grünen sehen Impfen zwar als "Akt der gesellschaftlichen Solidarität", sind aber gegen einen Zwang. Ein guter Zeitpunkt, um auf die Situation in Deutschland zu schauen. Die wichtigsten Fragen im Überblick:

Wie viele Menschen haben sich in Deutschland mit Masern infiziert?

Im vergangenen Jahr wurden 543 Masernfälle an das Robert-Koch-Institut, das Bundesinstitut für Infektionskrankheiten, übermittelt. 2017 waren es 929 Fälle, 2016 waren es 325. In den vergangenen zehn Jahren schwankte die Zahl der Infizierungen immer wieder in dieser Größenordnung. Die höchste Zahl an Infizierungen gab es 2015 mit 2.465 Fällen.

Wie viele Menschen sterben an Masern?

Die Anzahl der Menschen in Deutschland, die an Masern sterben, ist sehr gering. Die aktuellsten Zahlen sind aus dem Jahr 2016, damals starben zwei Menschen an einer Gehirnentzündung (Enzephalitis), die auf eine Maserninfektion zurückging. Ähnlich sehen die Zahlen der vergangenen zehn Jahre aus, sie schwanken zwischen einem und zwei Toten pro Jahr. Das geht aus der Todesursachenstatistik des Statistischen Bundesamts hervor.

Die Statistik basiert auf der Todesursache, die auf einem ausgestellten Totenschein steht. Susanne Glasmacher, Pressesprecherin des Robert-Koch-Instituts (RKI), vermutet eine Dunkelziffer an Fällen: "Es gibt sicherlich mehr Tote, bei denen die Masern als Ursache nicht erkannt wurden. Aber dabei wird es sich um wenige Einzelfälle handeln".

Wie gefährlich sind Masern?

Masern-Viren sind hochansteckend. Eine Masern-Infektion ist keine harmlose Infektion, denn bei etwa jedem zehnten Betroffenen treten Komplikationen auf. Betroffen sind davon auch Jugendliche und Erwachsene, weshalb die Krankheit nicht als Kinderkrankheit bezeichnet werden kann. Weil die Masern das Immunsystem schwächen, können andere Krankheitserreger schlechter abgewehrt werden. So können Komplikationen entstehen. Oft werden diese zusätzlich von weiteren Erregern verursacht, wie Mittelohrentzündungen, Atemwegs- oder Lungenentzündungen.

Eine besonders gefährliche und gefürchtete Komplikation ist die Gehirnentzündung. Sie tritt bei etwa bei 0,1 Prozent der Infizierten auf. Zehn bis 20 Prozent sterben an den Folgen. Bei 20 bis 30 Prozent kommt es zu schweren Folgeschäden wie Lähmungen oder geistigen Behinderungen. Seltener ist die Folgeerkrankung SSPE, die erst mehrere Jahre nach einer durchgemachten Masern-Infektion auftritt. Die subakute sklerosierende Panenzephalitis ist eine fortschreitende Entzündung des Gehirns und des Nervensystems und verläuft immer tödlich. Besonders davon betroffen sind Kinder, die im ersten Lebensjahr an Masern erkrankt sind.

Woran liegt es, dass die Zahlen nicht dauerhaft nach unten gehen?

Glasmacher sieht eine große Impflücke bei den jungen Erwachsenen. Um zu verstehen, weshalb das so ist, muss man einen Blick auf die Geschichte des Impfens in Deutschland werfen. 1973 sprach die Ständige Impfkommission zum ersten Mal die Empfehlung aus, Kinder standardmäßig gegen Masern zu impfen. Breit angewendet wurde das ab 1980.

Damals sah der Masern-Schutz nur eine Impfung vor - und nicht zwei Impfungen. Aus heutiger Sicht war das eine Fehleinschätzung. "Denn um einen Schutz vor Masern zu gewährleisten, braucht es zwei Impfungen", sagt Glasmacher. 1991 wurde diese für Kinder ab dem sechsten Lebensjahr eingeführt. Seit 2001 wird die zweite Impfung im zweiten Lebensjahr empfohlen. Die Zahl der Masernfälle ging danach deutlich zurück.

Die zweifache Impfung verhindert bei 93 bis 99 Prozent der Geimpften den Ausbruch einer Erkrankung. Sie haben dann in der Regel eine lebenslange Immunität. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind extrem selten. Laut einer deutschen Untersuchung kam es beim MMR-Impfstoff zu schätzungsweise sieben Komplikationen bei 16 Millionen Impfungen.

Viele Deutsche, die nur eine Impfung erhalten haben, wüssten nicht, dass sie keinen ausreichenden Impfschutz haben - oder gingen schlichtweg selten zum Arzt. "Wir kämpfen gegen eine Lücke aus der Vergangenheit", sagt Glasmacher. Und dagegen komme man nicht an, indem man Neugeborene impft. Deshalb empfiehlt die Ständige Impfkommission mittlerweile auch Erwachsenen, die nach 1970 geboren sind, eine Impfung, wenn sie gar nicht oder nur einmal in der Kindheit geimpft wurden. Das gilt auch bei einem unklaren Impfstatus.

"Diese Lücke ist ein großes Problem", sagt Susanne Glasmacher. Denn nur, wenn die Bevölkerung zu mindestens 95 Prozent geimpft ist, hat die hochansteckende Infektion keine Chance mehr. Sie kann sich dann nicht mehr ausbreiten.

Droht eine gefährliche Masern-Welle in Deutschland?

"Nein", sagt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut, einen Trend könne sie nicht erkennen. Im Gegenteil: "Der Trend geht zur Schwankung", sagt Susanne Glasmacher. Heißt: Schon immer waren die Zahlen mal höher, mal niedriger. Sie rät von Panikmache ab. Ingesamt sei es aber natürlich keine gute Entwicklung, wenn die Zahlen nicht sinken, sagt sie.

Eigentlich wollte die Weltgesundheitsorganisation WHO Masern bereits bis 2015 ausgerottet haben. Doch seit Ende der 1970er-Jahre tauchen immer wieder neue Erreger auf oder altbekannte kehren in veränderter Form zurück. Außerdem können sich Erreger durch Reisen, Migration und global gehandelte Lebensmittel sehr schnell ausbreiten - ein Problem, das nicht nur für die Masern gilt.

2018 infizierten sich 82.596 Personen in der europäischen Region mit Masern - ein absoluter Rekord im Zehn-Jahres-Vergleich. 72 Menschen starben an der Krankheit. Das teilte das WHO-Europabüro in Kopenhagen mit. Im Jahr zuvor waren 25.863 Fälle dokumentiert worden. Der sprunghafte Anstieg 2018 folgte auf ein Jahr, in dem nach Schätzungen die bisher höchste Durchimpfung mit der zweiten Dosis Masernimpfstoff (2017: 90%) erreicht wurde. Doch die Fortschritte, die Erfolgen auf der Länderebene zu verdanken seien, könnten leicht Lücken auf subnationaler Ebene verschleiern, hieß es damals.

Mehr als die Hälfte der Fälle (rund 53.000) kamen laut WHO in der Ukraine vor, in Serbien wurden mehr als 5.000 Fälle gemeldet und mehr als 2.000 Fälle in Frankreich, Russland, Italien, Georgien und Griechenland. Dass in der Region mehr Menschen als jemals zuvor geimpft worden seien, reiche nicht, sagte Zsuzsanna Jakab, Direktorin des WHO-Regionalbüros. "Wir müssen mehr tun und unsere Sache besser machen, um jede einzelne Person vor Krankheiten zu schützen, die leicht vermieden werden können."

Welche Rolle spielen Impfgegner?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt Impfgegner zu den zehn größten Bedrohungen für die Weltgesundheit. Masern zum Beispiel hätten auch wegen der Impfgegner weltweit um zuletzt 30 Prozent zugenommen.

Susanne Glasmacher vom RKI sieht Impfgegner ebenfalls kritisch, die Situation beurteilt sie aber weniger dramatisch. Sie verweist auf die Infektionsschutzstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2016. Für die repräsentative Studie wurde erhoben, welche Einstellung Eltern zu Impfungen ihrer Kinder haben. Zwei Prozent der Befragten gab an, Impfungen ablehnend oder teils ablehnend gegenüber zu stehen. Seit Jahren machten Impfgegner nur einen kleinen Prozentsatz aus, sagt Glasmacher.

2014 und 2013 gab es ähnliche Befragungen. Damals wurde nach der grundsätzlichen Einstellung gegenüber Impfungen gefragt. Eine ablehnende oder teils ablehnende Einstellung hatten demnach 2014 sechs Prozent der Befragten, 2013 waren es acht Prozent.

Was kann gegen Masern getan werden?

Impfen, impfen, impfen - da sind sich WHO und das Robert-Koch-Institut einig. Und "Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet zum Berg gehen", erklärt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. Heißt: In Universitäten gehen und dort informieren und impfen, Betriebsärzten die rechtlichen Rahmenbedingungen erleichtern, damit sie Beschäftigte impfen dürfen und die Krankenkassen in die Pflicht nehmen. Sprich, insgesamt bessere Informationsangebote schaffen und Schwellen senken. Außerdem müssten auf wissenschaftlicher Seite weiterhin die Maserviren im Auge behalten werden.

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