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Wie Medien über Vegetarier berichten

Illustration: Esther Schaarhüls

Ob große Tageszeitung oder kleines regionales Blatt: Artikel über Vegetarier und Veganer sind derzeit allgegenwärtig. Es gibt praktisch kein Medium, das nicht bei diesem Thema mitmischen will. Doch wie gehen Redakteure mit einem so großen, ambivalenten Thema um? Und wie sehen sich eigentlich Veganer und Vegetarier selbst? Ein Überblick.

Man muss nicht in Berlin-Friedrichshain in einem hippen Café sitzen, um diese Sätze zu hören: "Ich hätte gerne einen veganen Soja-Latte mit einem doppelten Espresso" oder „Haben Sie auch vegetarische Gerichte?". Vegetarier und Veganer scheinen in ihrer Anzahl deutlich zuzunehmen. In vielen Restaurants gibt es vegetarische oder vegane Alternativen, selbst das Abnehm-Unternehmen Weight Watchers wirbt damit und bietet vegane und vegetarische Mahlzeitenpläne an. Wie sieht es in den Medien aus, bilden sie den Trend ab und wie gehen sie mit dem Thema um?

Vegan ist en vogue

Die Anzahl der Artikel zu Vegetariern und Veganern ist in den letzten Jahren sprichwörtlich durch die Decke gegangen. 2014 gab es im deutschen Printbereich deutlich mehr Beiträge als noch zehn Jahre zuvor. Vor allem in den beiden vergangenen Jahren ist das Thema mengenmäßig explodiert und auch für dieses Jahr zeichnet sich noch einmal ein klarer Anstieg ab.

In Deutschland gibt es deutlich weniger Veganer als Vegetarier. Medien und auch der Vegetarierbund (VEBU) sprechen von fast acht Millionen Vegetariern und etwa 900.000 Veganern in Deutschland. Die Berichterstattung über Veganer aber boomt. Obwohl es viel weniger Veganer gibt, ist die Aufmerksamkeit für sie fast genauso groß wie die für Vegetarier.

Das zeigt auch ein Blick auf mediale Neuerscheinungen: In den Buchhandlungen stapeln sich vegetarische und vegane Kochbücher; nach Angaben des VEBU wurden im vergangenen Jahr 77 vegane Kochbücher veröffentlicht, 2011 waren es gerade einmal 12. Auch auf dem Zeitschriften-Markt bildet sich das ab. Allein in diesem Jahr sind drei Magazine neu erschienen, die sich mit Veganismus beschäftigen, insgesamt gibt es acht vegane Magazine, außerdem genauso viele vegetarische Zeitschriften, die sich inhaltlich oftmals aber auf Rezepte beschränken. Vor allem die beiden veganen Titel " Noveaux" und " Vegan Good Life " setzen weniger auf die Ernährungsweise als solche, sondern beschäftigen sich mit Mode und Kosmetik und erinnern von der Optik eher an die "Vogue" als an eine Koch- oder Ökozeitschrift.

Auffallend auf dem Zeitschriftenmarkt: Die großen Verlage scheinen dem Trend wohl nicht zu trauen, nur Hubert Burda als Branchenriese verlegt " slowly veggie!" mit einer verkauften Auflage von 30.000 Heften. Zum Vergleich: Das Magazin " BEEF! " aus dem Hause Gruner + Jahr, das sich - bei dem Titel wenig überraschend - vor allem um Fleischkonsum dreht, hat eine Auflage von rund 60.000 Exemplaren, aber in diesem Segment auch praktisch keine Konkurrenz. Während sich vor allem "Noveaux" und "Vegan Good Life" eher um Frauen bemühen, ist die Zielgruppe von "BEEF!" eindeutig: Richtige Männer, die auf Fleisch stehen und keine Frauen oder Gemüseliebhaber.

Der Anstieg von Magazinen, die sich mit Vegetarismus/Veganismus beschäftigen, ist Teil eines noch größeren Wandels: Medienprodukte, die auf verwandte Themen wie Naturnähe, Entschleunigung und Sinnhaftigkeit setzen, boomen. Es entsteht ein ganz neues Segment, in denen Titel wie "Landlust", "Flow" oder "zeo2″ ein Zuhause finden.

Stereotype im Wandel

Man kann eindeutig von einem Trend sprechen, aber wie gehen Medien inhaltlich mit dem Thema um? Gibt es Stereotype, auf die zurückgegriffen wird? Markus Keller ist Ernährungswissenschaftler und spricht davon, dass Veganer heute die gesellschaftliche Position von Vegetariern vor 20 Jahren hätten und als „die komischen" oder „radikalen Außenseiter" betrachtet würden. Vegetarier hingegen seien heute deutlich anerkannter als noch vor zwei Jahrzehnten.

Stephanie Stragies, Leiterin der Pressestelle vom VEBU (Vegetarierbund Deutschland), konstatiert einen Veränderungsprozess in der medialen Berichterstattung über Vegetarier und Veganer: "Es gibt ein Bild, das die Medien im Moment gerne aufgreifen. Das sind junge Menschen, die modern sind, die nicht mehr einem Klischeebild von früher entsprechen. Das sind heute, im Gegensatz zu früheren Zeiten, junge, moderne, hippe und gut gebildete Verbraucher."

Vegetarismus ist ein vielschichtiges Thema, das eng mit den Themen Nachhaltigkeit, besseres Leben, Gesundheit und Umweltschutz verknüpft ist. In der Berichterstattung kommen diese Themen aber nicht immer vor. Dort stehen dann eher Themen im Vordergrund, die in Richtung Lifestyle gehen, seien es Rezepte, Buch- oder Restaurant-Vorstellungen, oder neuerdings auch häufiger wirtschaftliche Aspekte wie etwa der Umsatz mit Fleischersatzprodukten. Dazu passt, dass bei der Wahl zum " Jugendwort des Jahres " das Wort "Swaggetarier" nominiert ist (Zusammensetzung aus "Swag" für coole Ausstrahlung und "-getarier" für Vegetarier). "Swaggetarier" bezeichnet entsprechend einen Menschen, der nur aus Imagegründen vegetarisch lebt.

Stephanie Stragies spricht von neuen Stereotypen und Bildern, mit denen die Medien heute arbeiten würden. Bilder, die Vegetarier und Veganer als junge und moderne Menschen zeigen, die die Vorzüge eines modernen Lebens genießen wollen. Als Inbegriff des Vorbild-Veganers führt sie Kochbuchautor Atilla Hildmann an. Sie spricht auch von weiblichen Vorbildern: Nicole Just (Kochbuchautorin) und Sonja Reifenhäuser (Food-Coach), die junge, trendige, moderne und emanzipierte Frauen seien. Ein Bild, das die Medien gerne aufgriffen.

Selbstdarstellung von Veganern

Vor allem Veganer haben es den Medien angetan, sich vegan ernährende Personen sind deutlich stärker im Mittelpunkt medialer Aufmerksamkeit als Vegetarier. Das liegt vermutlich daran, dass sich Veganer noch deutlicher von der fleischessenden Masse unterscheiden.

Eine Galionsfigur der Veganer, der Kochbuchautor Attila Hildmann, legt mit seinen Büchern den Schwerpunkt auf gesunde Ernährung und Fitness. Doch nachdem Hildmann lange auf dieses Zugpferd gesetzt hat, stellte er Anfang dieses Jahres seine PR-Strategie offensichtlich um. Er ging mit dem Youtube-Kanal " Vegangsta XXX " online, einem Kanal, der scheinbar zeigen soll, dass auch Veganer "echte Männer" sind. Viele seiner Fans waren nicht angetan vom Imagewandel: Hildmann flucht in den Videos häufig, macht auf Macho und lässt seine "Foodporn"-Kreationen von knapp bekleideten Frauen essen, die sich danach verführerisch die Lippen lecken.

Magazine wie "Vegan Good Life" setzen dagegen auf grünen Lifestyle. In der ersten Ausgabe von "Noveaux" spricht sich Chefredakteurin Julia Akra-Laurien klar gegen das Klischee des Veganers im Öko-Look mit "selbst gestricktem Hanfpullover, Filz-Puschen und Dreadlocks" aus. Akra-Laurien scheint sich des lange vorherrschenden Bildes bewusst. In der gleichen Ausgabe findet man viele Artikel zu Mode ("garantiert Öko-Latschen-frei"), an anderer Stelle Folgendes: "Kommt nie gut: Andere Leute mit seiner Ideologie vollsülzen. Kommt immer gut: Coole Klamotten tragen." Im Heft findet man kein Fleischesser-Bashing. Im Gegenteil: In einem Interview wird versucht zu erklären, wie man als Veganer mit einem Fleischesser zusammenleben kann.

Wie berichten andere?

Auch in der allgemeinen Berichterstattung, in Tageszeitungen und Zeitschriften, schlägt sich das Bild vom veränderten Vegetarier nieder. Diana von Kopp schreibt im FAZ-Blog " Food Affair " dazu: "Früher war es wunderbar einfach: Da gab es Fleischesser, Vegetarier und in seltenen Fällen Veganer. Anhand der entsprechenden Trikotagen sah man auf den ersten Blick, wer welcher Mannschaft angehörte. Die einen, der Mainstream, kleideten sich handelsüblich, die V-Mannschaften trugen, ökologisch korrekt, Hanf und Leinen."

Heute aber fährt der Superstar der veganen Szene, Attila Hildmann, Porsche und Veganer, die Magazine wie "Vegan Good Life" lesen, kleiden sich modern und hip. In der Huffington Post klingt das dann so: "Vegan sein ist trendy, sexy und gesund. Aufgerüttelt durch Berichte über Massentierhaltung und Quälerei, entscheidet sich inzwischen eine ganze Generation für die vegane Alternative im Supermarkt." Vielleicht keine ganze Generation, aber zumindest ein größerer Teil als früher.

Natürlich gibt es auch eine Gegenseite, wo ein Trend ist, sind auch immer Kritiker. Es liegt in der Natur des Journalismus, ein Thema von allen Seiten zu beleuchten, verschiedene gesellschaftliche Meinungen zum Thema einzufangen und Kritisches zu platzieren. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass Veganer und Vegetarier allein durch ihre Existenz Fleischessern den Spiegel vorhalten. Sie scheinen moralisch, auch wenn sie ihre Meinung gar nicht kundtun. Davon können sich Menschen angegriffen fühlen, die lieber "BEEF!" als "Vegan Good Life" lesen. Das zeigt sich oft auf Facebook, wo beide Seiten aufeinanderprallen. Medial werden beide Seiten abgedeckt, in ihrer Kritik ähneln sich die meisten Medien in ihrer Tonalität. Das Bild, dass vor allem Veganer andere Menschen bekehren und ihnen ein schlechtes Gewissen machen wollen, ist aber noch in vielen Print- und Online-Medien zu finden. Man kann die vorherrschende Denkweise vielleicht so beschreiben: "Vegetarier sind besser gekleidet als früher und total hip geworden, aber was ich esse, entscheide immer noch ich."

Ausblick

Stephanie Stragies vom VEBU glaubt: "Die Medienberichterstattung und mediale Aufmerksamkeit wird noch zunehmen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass Vegetarismus unabdingbar ist. Es haben mittlerweile viele verstanden, also auch die Wirtschaft und die Politik, dass der derzeitige Fleischkonsum für unseren Planeten nicht tragbar ist." Aber irgendwann überholen sich Trends, ob in der Küche oder auf dem Medienmarkt, irgendwann werden die Medien übersättigt sein von vegan & Co.

Vor allem aus Umweltsicht wird es in den nächsten Jahren kaum zu vermeiden sein, dass der Fleischkonsum auf der Welt zurückgeht. Menschen in westlichen Kulturen haben aber oft ein Verständnisproblem bei Umwelt- oder Gesundheitsthemen, wenn sie nicht direkt betroffen sind. Auch die Menschen in Ostasien, gerade in China, essen deutlich mehr Fleisch als noch vor Jahren. Und Umweltthemen haben in China kaum Bedeutung gegenüber Wirtschaftsthemen. In Deutschland geht der Verzehr von Fleisch zwar zurück, aber in nur sehr geringem Maße. Die Themen Vegetarismus und Veganismus werden im Gespräch bleiben, mit einem positiveren Image als früher. Sie werden aber, sobald sich die Umweltproblematik verschärft, nicht mehr nur auf den Lifestyle-Aspekt setzen können.

Titelillustration: Esther Schaarhüls Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Jacqueline Vieth arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt am Main. Als Digital Native ist sie überzeugt davon, dass guter Journalismus nichts mit der Ausgabeform zu tun hat. In ihrer Bachelorarbeit "Eine Welt ohne Wurst" analysierte sie den Umgang von Nachrichtenmagazinen mit dem Themenkomplex Vegetarismus. Sie schreibt für verschiedene Medien über Gesellschafts- und Ernährungsthemen, für FAZ.NET dreht sie Videos und arbeitet dort in der Social-Media-Redaktion.

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