Isabel Stettin

Zeitenspiegel Reportagen, Stuttgart

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Interview

Reihe 5: Harte Töne

Interview

Was verbindet Heavy Metal und Opernmusik? Nichts? Weit gefehlt. Tenor Gergely Németi und Orchesterwart Joel de Blois über schöne Melodien, große Stimmen und die beruhigende Wirkung der Band Iron Maiden.

Herr de Blois, Herr Németi, was reizt Sie ausgerechnet an Heavy Metal?

Joel de Blois: Heavy Metal kämpft mit vielen Vorurteilen. Dabei ist Metal nicht nur Krach, und die Fans veranstalten zuhause auch keine Satansmessen. Mich fasziniert wie viel Energie in dieser Musik steckt. Im ersten Moment hören das viele nicht so, aber Metal zu spielen, erfordert viel Können und Technik. Wer sich länger damit befasst, erkennt das.
Gergely Németi: Diese Energie, von der du sprichst, ist unglaublich. Für mich gibt es Parallelen: Opern singen und Heavy Metal verlangt dieselbe Kraft. Das Gesangsniveau ist ähnlich. Nicht bei allen Bands, aber wenn ich zum Beispiel von meiner Lieblingsgruppe Iron Maiden spreche: Deren Songs sind so anspruchsvoll, dass allenfalls fünf, sechs Sänger der Welt da wirklich mithalten können.

Klassik oder harte Klänge: Was war Ihre erste große Liebe?

J. B.: Bei mir was es so, dass mein älterer Bruder mein musikalisches Vorbild war. Durch Freunde bin ich in immer härtere Schienen reingekommen, von Punk bis zum klassischem Heavy Metal und Death Metal. Das hat sich gesteigert. Da war dieser Reiz, dass es immer noch schneller und lauter geht.
G. N.: Die ganz harten Metalbands mag ich nicht. Ich höre AC/DC, Metallica, Nightwish. Ich war erst acht als ich über einen Cousin meine Liebe zu Iron Maiden entdeckte. Die Barockorgel in der Kirche meiner Heimatstadt Gheorgheni in Siebenbürgen war meine erste Verbindung zur klassischen Musik. Dieser Kontrast von Kirchenmusik und Metal war spannend. Als Organist habe ich mehrmals Metal-Hits improvisiert, im Gottesdienst. Die Zuhörer haben genickt: Ah, sehr schön. Später habe ich einem Bekannten das Original vorgespielt. Er war entsetzt: Wie kannst du das machen in der Kirche? Ich mochte es immer, wenn Heavy-Metal-Musiker so hoch singen. Als Kind habe ich in einer Fantasiesprache mitgesungen, weil ich kein Englisch verstand. Doch mit Singen wollte ich lange nichts zu tun haben. Erst als ich um die zwanzig war, entschied ich mich für diese Karriere. Davor wollte ich eigentlich Tierarzt werden, kein Musiker.

Hatten Sie nie den Traum vom wilden Rockstarleben?

G. N.: Das waren Teenagerfantasien. Aber nein, in einer Metalband zu singen, das würde meine Stimme kaputt machen. Vielleicht wage ich mit siebzig, achtzig einen Versuch, wenn ich ohnehin nur noch krächze. Doch einmal auf der Bühne mit Iron Maiden zu singen, das steht ganz oben auf meiner Wunschliste. Auch deren Leadsänger Bruce Dickinson könnte Oper singen. Seine Technik ist etwas anders, aber er hat die Veranlagung. Wie viele große Musiker der Metalszene bringt er eine klassische Ausbildung mit. Wie bei der Oper geht es auch bei Metal viel um schöne Melodien, stimmliche Akrobatik. Und Live-Gesang.
J. B.: Stimmt, anders als im Pop gibt es bei einem Heavy-Metal-Konzert niemals Playback. Hoffentlich! Ich denke, dass die Musiker darauf sehr viel Wert legen. Ähnlichkeiten zur Oper sehe ich aber auch in der opulenten und bombastischen Inszenierung. Im Heavy Metal geht wie in der Oper sehr viel über Schminke, Kostüme, Bühnenpräsenz.

Interessante These! Wie kommen Sie zu diesen Einsichten?

J. B.: Ich habe Musikwissenschaften studiert und wollte ein Thema untersuchen, bei dem ich total dahinterstehe. In meiner Arbeit stelle ich die Virtuosität der Metalband Meshuggah als Ensemble einzelnen Gitarristen gegenüber, die im Stile des Geigenvirtuosen Paganini als Einzelkünstler im Fokus stehen. Meine Professoren an der Uni waren mehrheitlich festgefahren auf klassische Musik. Doch ich hatte einen coolen Betreuer, der dafür offen war.
Wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen Klassik oder Metal: Was würden Sie wählen?
G. N.: Einen Mix von beidem.
J. B.: Für eines entscheiden könnte ich mich auch nicht. Doch etliche Metalbands kombinieren tatsächlich klassische Elemente und Instrumente. Unterlegt man klassischen Stücken oder bekannten Liedern aus der Werbung einen Beat, geht es schnell in die harte Richtung. Und wenn alles, was die Violinen spielen, von verzerrten Gitarren übernommen wird, entsteht plötzlich ein wunderbarer Metal-Song. An der Uni haben einige Kommilitonen gesagt, Beethoven wäre der erste Metaller gewesen, nur ohne Schlagzeug. Für mich ist Richard Wagner der Knackpunkt. Es gibt unheimlich viele Metalbands, die sich von ihm inspirieren lassen.

Sehen Sie das auch so, Herr Németi? Lassen Sie sich als Opernsänger von Metal inspieren?

G.N.: Ich finde, du brauchst etwas, um wegzukommen von der Arbeit. Ich höre in der U-Bahn, auf der Straße fast immer Metal. Zuhause höre ich Oper, aber nicht, um mich zu entspannen, sondern ausschließlich, um meine Technik zu verfeinern: Das ist ein professionelles Problem, fast schon ein Defekt: Ich höre immer genau auf den Sänger, ob er es gut macht oder nicht. Vor meinen Auftritten höre ich dagegen Heavy Metal. Manchmal sitze ich in der Garderobe mit Kopfhörern und höre das Lied „Fear of the Dark“ von Iron Maiden. Angst vor dem Dunkeln oder Angst vor der Bühne, das ist das gleiche Gefühl. Für mich ist das fast ein Ritual, ich singe und schreie auch mit. Kommt dann der Dirigent, sage ich: Ich wärme mich auf und mache mich ein bisschen kaputt für die Vorstellung (lacht).
J. B.: Metal höre ich sogar zum Einschlafen. Meiner Verlobten ist das immer zu viel, sie wird dabei unruhig. Mich bringt es runter, wie andere ein Hörspiel.

Könnten wir Sie beide auf Metalkonzerten denn beim „Headbangen“ in der ersten Reihe treffen?

J. B.: Früher war ich mittendrin, heute stelle ich mich hinten ans Mischpult, wo der Sound am besten ist.
G. N.: Ich war noch nie auf einem Metal-Konzert. Ich weiß nicht, warum. Einmal bin ich in Wien fast auf einem Rammsteinkonzert gelandet, musste dann aber an auf der Bühne kurzfristig für einen Kollegen einspringen.

Also verstecken Sie keine lederne und nietenbesetzte Kluft im Schrank?

J. B.: Als Jugendlicher hatte ich ewig lange Harre und Bandshirts. Das ist nicht mehr mein Ding. Ich bin da rausgewachsen.
G. N.: Ich habe ein Iron Maiden-Shirt. Das trug ich vor kurzem sogar auf der Bühne, in der Oper Salome in meiner Rolle als Narraboth. Der Regisseur wünschte sich etwas Härteres. Und dann haben wir gemeinsam beschlossen, dass ich das Bandshirt trage. Das war für mich die beste Aufführung von allen.