Am 1. Februar ist der Film „Der seidene Faden" in den deutschen Kinos erschienen - ein Kostümfilm, in dessen Zentrum der britische Schneider Reynolds Woodcock steht, wodurch wir nicht nur modisch in das London der 50er-Jahre versetzt werden, sondern auch einen Einblick in die Schneiderkunst und Prozesse eines Modehauses von damals bekommen. Im Interview mit Vogue erklärt Mark Bridges, wie er die Mode eines britischen Couture-Hauses der 50er-Jahre kreieren konnte und erzählt uns, welche Rolle dabei zwei ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Victoria and Albert Museums spielten
Der Schneider Reynolds Woodcock, gespielt von Daniel Day-Lewis, der sich mit dieser Rolle für immer von der Schauspielerei verabschieden wird, kleidet in dem Film gemeinsam mit seiner Schwester Cyril (Lesley Manville) die High Society und den Adel Londons ein. Nach zahlreichen Affären lernt der Designer die junge Alma kennen (gespielt von Vicky Krieps), die zu seiner Geliebten und Muse wird, wodurch das Leben des akribischen und von der Arbeit besessenen Schneiders ins Wanken gerät.
Verantwortlich für die Kostüme des Films zeichnet sich Mark Bridges, der 2012 für seine Arbeit bei „The Artist" den Oscar für das „Beste Kostümdesign" gewann. Für „Der seidene Faden" ist der Kostümdesigner genauso wie Daniel Day-Lewis („Bester Hauptdarsteller") wieder für den Oscar nominiert. „Der seidene Faden" geht außerdem in der Kategorie des „Besten Films" ins Rennen.
Interview mit Mark Bridges, Oscar-nominierter Kostümdesigner von „Der seidene Faden" Vogue: Der Film „Der seidene Farben" zeigt die Arbeit und das Leben des Damenschneiders Reynolds Woodcock in den 1950er-Jahren. Denkt man an Designer dieser Ära, fallen einem als erstes große Namen wie Christian Dior, Christóbal Balenciaga oder Hubert de Givenchy ein. Inwiefern dienten diese als Vorbilder für Ihre Kostümrecherche?Mark Bridges: Gerade diese Designer waren für meine Arbeit wichtig, weil sie für die High Fashion der 50er-Jahre stehen. So waren sie quasi der Ausgangspunkt für meine Recherche, weil ich an ihnen sehen konnte, was zu der Zeit in Mode war, welche Formen die Designer verwendeten oder mit welchen Schneidertechniken sie gearbeitet haben.
Die Handlung des Films würde man im ersten Moment wahrscheinlich eher in Paris, der Stadt der Haute Couture, vermuten. Welche Rolle spielt London für den Film und für die Arbeit von Woodcock? Haben Sie sich auch mit britischen Designern der damaligen Zeit beschäftigt?Ja, habe ich auch, um zu sehen was in London und in Sachen britischem Design damals los war. Ich denke London beeinflusst vor allem den Lifestyle von Woodcock und die Anlässe, für die er im Film schneidert.
Woodcock entwirft Mode für die High-Society und den Adel, er designt sogar das Hochzeitskleid einer belgischen Prinzessin.Genau, er kreiert verschiedene Kleider für verschiedene Anlässe. Aber auch die Wetterbedingungen spielen bei der Kleidung im Film eine Rolle. Die Kostüme des Films folgen manchmal praktischeren Aspekten als der Pracht der Haute Couture.
Wie haben Sie für den Film recherchiert? Nutzten Sie auch Modezeitschriften aus der damaligen Zeit?Ich habe mich allem bedient, was ich in die Finger kriegen konnte. Ich habe Fotografien aus den 50ern gesucht, war in der National Portrait Gallery in London und habe geschaut, wie die Menschen damals und auch in den Jahren zuvor aussahen. Ich habe mir sogar vorgestellt, wie Reynolds ausgesehen hätte, wenn er jünger gewesen wäre. Natürlich habe ich mich mit der britischen Vogue befasst und der britischen Harper's Bazaar. Außerdem habe ich einige Filme aus der Zeit gesehen und es gibt mittlerweile auch viele Modeschauen von damals, die man im Internet finden kann.
Gab es unter den Filmen welche, die Sie besonders beeinflusst haben?„Maytime in Mayfair" zum Beispiel, der 1949 erschien. Der ganze Film handelt von britischer Couture und endet mit einer Modenschau in London. Ein anderer Film, den ich gesehen habe ist „The Ambassador`s Daughter" von 1956. Im Film gab es tatsächlich eine Dior-Schau, wodurch ich sehen konnte, wie die Models damals liefen. Die ganze Recherche diente mir als Inspiration dafür, wie Accessoires genutzt wurden oder die Farben eines Outfits abgestimmt waren.
Im Film sind vor allem kräftige Farben wie Pink oder Violett zu sehen. Ist diese Ästhetik der Ära der Nachkriegszeit zuzuschreiben?Die Farben wurden vor allem aufgrund ihrer Bedeutung ausgesucht. Das sind Farben, die für Sinnlichkeit, Sexualität und für Mitglieder des Königshauses stehen.
Besonders auffällig sind auch die pinkfarbenen Socken von Woodcock.Das war die Idee von Daniel Day-Lewis.
Eine besondere Szene im Film ist der Moment, in dem Woodcock flämische Spitze aus dem 17. Jahrhundert auf ein Kleid näht. Ist das ein originaler Stoff und wurden auch andere Kleider aus solchen historischen Materialien angefertigt?Ja, die Spitze stammt tatsächlich aus dieser Zeit. Wir waren am Set begeistert, dass wir mit so einem Stoff arbeiten konnten. Aber es war auch ziemlich nervenaufreibend, denn wenn du so eine Spitze schneidest, muss es auf Anhieb funktionieren. Die Spitze war aber das einzige originale Material, das wir verarbeitet haben.
Die Kunst der Haute Couture besteht darin, dass die Kleidungsstücke von Hand angefertigt werden. Sind die Kleider im Film auch alle handgenäht?Wann immer es ging, haben wir die Kleider von Hand genäht. So kam es, dass in einigen Nächten sogar sechs Leute an einem Kleid arbeiteten.
Stimmt es, dass im Film echte Couture-Schneiderinnen aus den 50ern mitspielen? Wie haben Sie diese gefunden und konnten Sie etwas von ihnen lernen?Wir sind auf diese Frauen während unserer Recherche im Victoria and Albert Museum in London gestoßen. Sie arbeiteten ehrenamtlich im Museum. Regisseur Paul Thomas Anderson traf sie und hat im Gespräch von ihrer Geschichte erfahren und meinte: ‚Ihr müsst unbedingt im Film mitspielen.' Die beiden waren eine große Hilfe am Set, weil sie uns den genauen Ablauf eines Couture-Hauses schildern konnten und die Reihenfolge eines Fittings von damals erklärten.
Wie stark sind die Kleider an die jeweiligen Schauspielerinnen angepasst? Konnten Sie sich die Kleider überhaupt schon vorstellen und entwickeln, bevor entschieden war, dass Vicky Krieps die Rolle der Alma übernimmt?Bevor ich anfangen konnte, die Kleider zu entwerfen, musste ich wissen, wer welche Rolle spielen wird. Ich musste ja ihre körperlichen Vorzüge und vielleicht Schwachstellen kennen. Zum Glück hat Alma keinerlei Schwachstellen.
Meiner Meinung nach bezieht sich das darauf, dass die Energie der Person, die ein Kleid kreiert, auch auf eine Art in diesem Kleid bestehen bleibt. Schneiderinnen aus dem 18. und 19. Jahrhundert arbeiteten viele Stunden an einem Kleid und ließen so ihre Seele in das Kleid wandern. Das Kleid wurde durch die Handarbeit so mit deren Energie getränkt.
Gibt es im Film ein Kostüm, das Sie besonders gerne entworfen haben?Mein Lieblingsstück ist das lavendelfarbene Kleid mit der Spitze aus dem 17. Jahrhundert. Ich mag es besonders, weil es so speziell aussieht, aber gleichzeitig auch ein Liebesbrief an Alma ist. Außerdem hat es diesen dramatischen Nachklang aufgrund des Materials und der Farbe. Die Hauptfigur Woodcock hat diese Spitze über mehrere Jahre lang aufbewahrt, um irgendwann ein Kleid daraus zu machen und schließlich wurde es zu Almas Kleid.
„Der seidene Faden" ist nicht ihr erster Kostümfilm. Für „The Artist" reisten sie in die 20er- und 30er-Jahre, „The Master" spielte nach dem zweiten Weltkrieg. Sie haben aber auch die Kostüme einiger Filme kreiert, die im Heute spielen wie Fifty Shades of Grey, Silver Linings, Jason Bourne. Was bereitet Ihnen mehr Spaß?Ich arbeite lieber an historischen Filmen, weil die Herausforderung für mich größer ist und die Arbeit daran spannender. Mir macht das Recherchieren viel Spaß und ich liebe es, echte Kleidungsstücke aus der jeweiligen Ära zu finden und so einem zeitgenössischem Publikum eine Geschichte aus einem anderen Zeitalter zu erzählen.