5 Abos und 3 Abonnenten
Artikel

Feminismus in Pink?: #SoSindWirFrauenWirklich

Mode statt Mobbing: Mit seinen T-Shirts (“Kümmere dich um deine eigene Gebärmutter“) möchte Female Collective hässlichen Kommentaren auf Instagram entgegenwirken.


Ein rosa Zimmer. An den Wänden kleben Schnappschüsse mit Freundinnen, Bilder vom letzten Cheerleader-Auftritt und pinke Lichterketten. Auf einem weißen Gitterbett vor der rosa Wand liegen zwei junge Frauen, die mit stickerbeklebten Smartphones Selfies machen oder sich gegenseitig Lippenstift auftragen. Eine Szene, wie sie sich so täglich in vielen Zimmern junger Mädchen ereignen könnte. Doch auf den Sweatshirts, T-Shirts und weißen Baumwollunterhosen der Mädchen steht in rosa, roter und hellblauer Schreibschrift: „Don't touch", „Feminist" oder „mine, mine, mine". Es sind Ausschnitte einer Bilderserie des New Yorker Modelabels Me and You.
Rosa Mädchenkleidung als sexistisches Marketing

Julia Baylis und Mayan Toledano sind die Gründerinnen der Marke - beste Freundinnen und beide Mitte zwanzig. Kennengelernt haben sie sich während des gemeinsamen Modestudiums an der Parsons School of Design in New York. Me and You ist eines von vielen Labels, das in den vergangenen Jahren entstanden ist, dessen junge Designerinnen sich als Feministinnen positionieren. Anhängern der Organisation Pinkstinks dürfte bei dem Anblick des üppigen Rosa im ersten Moment wohl schlecht werden. Der Verein kämpft seit 2008 gegen die angeblich stigmatisierende Verwendung der Farbe Pink: Dass Spielsachen und Kleidung für Mädchen rosa und die Sachen für Jungs blau sind, empfinden sie als sexistisches Marketing. Wie passen also diese rosa Girlie-Welt und der Feminismus zusammen?

Baylis und Toledano sehen darin keinen Widerspruch. Sie lieben die nostalgische Rosa-Welt und wollen auf diese Weise das Mädchensein feiern. Feminismus bedeutet für sie: Girl Power. Es geht um Freundschaft, Zusammenhalt und die gegenseitige Unterstützung unter Frauen. Vor allem aber möchte Me and You jungen Mädchen eine Orientierung bieten, und zwar dort, wo die Generation Z - die nach 1995 Geborenen - am einfachsten zu erreichen ist, wo sie aber genauso gut Unterstützung brauchen kann: im Internet und besonders über Instagram.

Zeigen, wie junge Frauen wirklich aussehen

Dessen ursprünglicher Gedanke - dass die Nutzer hier ein Foto in die App laden, unmittelbar nachdem es geschossen wurde - ist längst verflogen. Fast alles, was als Wirklichkeit ausgegeben wird, ist reine Inszenierung. Einmal über das Display gewischt, und die Falten sind weg, der Teint verändert oder zehn Kilo verloren.

Baylis und Toledano wollen mit ihrer Mode zeigen, wie junge Frauen in der Phase des Erwachsenwerdens wirklich aussehen. Fast täglich laden die Designerinnen auf Instagram Fotos von Models hoch, die verschiedenen Körpertypen entsprechen: Die Me-and-You-Girls sind dick und dünn, haben unterschiedliche Hautfarben, tragen auch mal Zahnspange und scheinen nicht immer eine makellose Haut oder glattrasierte Beine zu haben. Die Designerinnen möchten eben keine rosa Plastikwelt erschaffen. Dagegen dürfte eigentlich auch Pinkstinks wenig einzuwenden haben.
Auf ihrer Homepage verkaufen Baylis und Toledano nicht nur Kleidung und Schmuck, sondern veröffentlichen auch Videos und Fotoserien, die in Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Fotografinnen entstanden sind, zum Beispiel mit der erst 23 Jahre alten Petra Collins. Aufsehen erregte die Kanadierin, als sie 2013 ein Foto ihres Unterkörpers auf Instagram mit dem Hashtag „Bikini" teilte. Instagram sperrte daraufhin ihren Account, obwohl sie keine Richtlinien der Plattform verletzt hatte. Der Unterschied zu den damals fast sechs Millionen anderen Bildern mit dem gleichen Hashtag allerdings war, dass bei Collins unter ihrer Bikinihose Schamhaare herausschauten.

Bilder von nicht perfekten Mädchen

Die Zensur sorgte für Aufruhr. Nach wenigen Tagen eröffnete Collins einen neuen Account. Heute - etwa 1350 Bilder später - teilt sie mit ihren mehr als 300.000 Followern regelmäßig unvorteilhafte Selfies und Bilder von nicht perfekten Mädchen. Ihre Motive wirken mal verletzlich, melancholisch und einsam, andere sind stark und feiern die Girl Power. Mittlerweile ist auch die Modebranche auf Collins aufmerksam geworden. Bei der letzten Gucci-Präsentation in Mailand lief sie für die Marke über den Laufsteg.

Dass Instagram Einfluss auf Karrieren haben kann, weiß auch Candace Reels. Die 26-Jährige meldete sich mit Female Collective bei Instagram an, weil ihr aufgefallen war, dass sich viele junge Frauen in den sozialen Medien gegenseitig mobben und runtermachen. Für ihren Account bekam die Amerikanerin so viel Zuspruch, dass sie sich dazu entschloss, einen Online-Shop zu gründen. Dort verkauft sie T-Shirts, auf denen Slogans wie „mind your own uterus" stehen, in Anlehnung an „mind your own business" - kümmere dich um deinen eigenen Kram.

Vergangenen Dezember nutzte Reels die soziale Aufmerksamkeit, um die Kampagne „Uplift the girl" zu starten, mit der sie ihre Follower dazu aufrief, Wäsche für obdachlose Frauen zu spenden. „Bei Female Collective geht es um eine Gemeinschaft von Frauen, die sich gegenseitig stärken, feiern, aufbauen und unterstützen, denn zusammen können wir die Welt erobern und erstaunliche Dinge erreichen. Das bedeutet für mich Girl Power", erzählt Reels.

Die feministische Aussage bleibt bestehen. Doch genügt es als feministisches Statement, wenn man ein T-Shirt mit dem Spruch „mind your own uterus" trägt? Reels hat zumindest keine Angst, dass ihre Kundinnen die T-Shirts nur aus Trendgründen kaufen. Für sie bleibt die feministische Aussage bestehen: „Bevor die Trägerin etwas sagen kann, lesen die Leute die Nachricht auf dem Kleidungsstück oder sehen darauf das Foto einer starken Frau wie Gloria Steinem oder Grace Jones."
Auch Reels bezeichnet sich, so wie Petra Collins oder die Designerinnen von Me and You, als Feministin. Auch sie beschreibt ihre Idee von Feminismus mit „Girl Power". Diesen Begriff assoziiert man schnell mit den neunziger Jahren, und vor allem denkt man an fünf Frauen mit verspielten Frisuren und bauchfreien Kleidern, deren Songs in sämtlichen Jugendzimmern nachgesungen wurden: die Spice Girls, die wahrscheinlich bis heute bekannteste Girlband. Doch die Idee der Girl Power entwickelte sich schon vor den Spice Girls, aus der subkulturellen Punk-Rock-Szene. Die amerikanische Riot-Grrrl-Bewegung, die auch Girl Power proklamierte, gilt als wichtige soziale Bewegung, die einen jungen Feminismus feierte. Musikerinnen wie Kathleen Hanna, Sängerin der Band Bikini Kill und Gründerin der Elektropunkband Le Tigre, sprachen in ihren Texten und Interviews über sexuelle Gewalt, Essstörungen und Alltagssexismus. „Die Bewegung rief Mädchen dazu auf, sich zusammenzutun und soziale Ungleichheiten durch Darüberreden, Aktionen und Aktivismus herauszufordern", erzählt Red Chidgey, Dozentin für Gender und Medien am Londoner King's College.
Eine Zeit des Postfeminismus

Dass Girl Power heute eine Wiedergeburt erfährt, liegt an der Entwicklung des Feminismus. Chidgey erklärt, wir lebten in einer Zeit des Postfeminismus. „Das bedeutet, dass Feminismus heute nicht mehr als irrelevant oder als etwas aus der Zeit Gefallenes betrachtet wird. Vielmehr bezieht sich der Postfeminismus auf die Art, welche Elemente vom feministischen Denken und Aktivismus in die Pop-Kultur aufgenommen wurden." Girl Power ist der Claim dazu. „Der funktioniert heute als eine Art Markenbildung, er feiert junge Frauen und ihre Freundinnen", erklärt Chidgey - Frauen beispielsweise wie die Drehbuchautorin und Schauspielerin Lena Dunham, den Popstar Taylor Swift und die Bloggerin Tavi Gevinson.

Nicht weiter überraschend also, dass darauf auch die Mode, Teil der Pop-Kultur, reagiert. Erste Online-Stores nutzen bereits den Girl-Power-Claim und kopieren T-Shirts, wie sie bei Me and You und Female Collective zu kaufen sind oder auch beim Hamburger Label Black Circus.

Ein anderes Modeunternehmen, das den Gedanken von Girl Power vertritt, ist Birdsong. Der britische Webstore verkauft faire Mode, die nur von Frauen hergestellt wurde. Die Näherinnen erhalten 50 bis 80 Prozent vom Preis jedes verkauften Kleidungsstücks. Die 16 Frauengruppen, die diese Stücke für Birdsong nähen, sitzen in Mali, London oder Swasiland. Älteste Mitarbeiterin ist Edna. Sie ist 86 Jahre alt und strickt in einer Gruppe von Damen, die sich jeden Donnerstag in London zum Tee trifft.Sarah Beckett, Ruba Huleihel und Sophie Slater gründeten den Webstore im August vor zwei Jahren. Slater bekam als Jugendliche schon einen ersten Einblick in die Modebranche. Sie war Model und arbeitete bei American Apparel, dem Modeunternehmen, das in den vergangenen Jahren oft wegen seiner sexualisierten Kampagnen in die Kritik geraten ist und vergangenes Jahr Insolvenz anmelden musste.

Verbale Infantilisierung bei Models

Aus den - zumindest für American Apparel - besseren Zeiten hat Slater die Motivation gewonnen, in der Modebranche etwas anders zu machen. Schließlich ist der Begriff „Girl" - oder „Mädchen" - in kaum einer anderen Branche stigmatisierter als in der Mode; so werden grundsätzlich Models genannt. Das weiß jeder nach einer halben Stunde Fernsehgucken, wenn die Sendung „Germany's Next Topmodel" heißt. Heidi Klum spricht seit Beginn der Serie grundsätzlich nur von „den Mädchen". „Ich denke, es gibt gerade bei Models oft diese verbale Infantilisierung, weil man von ihnen auch diese kindlichen Körper erwartet", erklärt Slater. Dass Girl Power zurück ist, finde sie trotzdem super, erzählt Slater, aber dennoch bevorzuge sie den Begriff „Women Power". „Die Idee hinter Birdsong ist, dass man nicht einfach ,Feministin' auf ein T-Shirt drucken kann, wenn die Frau, die das Kleidungsstück hergestellt hat, nicht richtig bezahlt wird." Denn 80 Prozent der Menschen, die in Betrieben unter unsozialen Bedingungen arbeiten, seien Frauen. „Feminismus soll hinter allen Frauen stehen und sich nicht nur an trendbewusste weiße Frauen aus der Mittelklasse richten", erklärt Slater.

Eine Debatte versucht Birdsong derzeit mit seiner Kampagne „#AsWeAre" ins Rollen zu bringen. Dafür casteten sie als Models: die Transaktivistin Charlie Craggs, die Hidschab-Feministin Hanna Yusuf und Edna, die alte Strickerin. Birdsong möchte - genauso wie Me and You und Female Collective - junge Frauen über soziale Medien erreichen und ihnen eine Plattform für den gegenseitigen Austausch geben.Vielleicht verbringen junge Mädchen heute also zu viel Zeit in ihren rosafarbenen Zimmern und tippen zu oft auf ihren Glitzer-Smartphones herum. Soweit sie dort aber in die Welt dieser Frauen eintauchen, ist das doch alles nicht so schlimm.

Zum Original