Wer das wahre Argentinien kennenlernen will, der sollte nach Rosario reisen. Rund 300 Kilometer nordwestlich von Buenos Aires findet man eine wenig touristische Stadt, deren Bewohner sich in "Canallas" und "Leprosos", in Schurken und Leprakranke, aufteilen. Erschrecken lassen sollte sich der Besucher davon nicht, im Gegenteil: Als Leprakranke werden die Fans der Newell's Old Boys bezeichnet, während mit den Schurken die Anhänger von Rosario Central gemeint sind.
Die beiden größten Fußballvereine der Stadt sind sich auch die größten Feinde, doch dieser Tage ist eine Art Waffenruhe zwischen den Fronten eingekehrt. Man kämpft jetzt in Rosario für eine gemeinsame Sache: für die argentinische Nationalmannschaft und gegen Deutschland.
Es spielt dabei keine unwesentliche Rolle, dass ausgerechnet die beiden wichtigsten Spieler Argentiniens aus Rosario stammen: Lionel Messi hat das Fußballspielen beim Nachwuchs von Newell's gelernt, Ángel Di María kommt von Central. Und dass Messi und Di María ausgerechnet bei den beiden spanischen Erzfeinden FC Barcelona und Real Madrid spielen, heizt die Rivalität noch weiter an.
Messi ist überall
Doch geht es um Argentinien, sind alle Gegensätze egal. Beide Spieler werden auch nicht müde, ihrer Heimat und ihren einstigen Klubs in diesen Wochen immer wieder Dankbarkeit und Zuneigung auszudrücken. "Wir als Rosarinos fühlen uns geehrt von der Heimatverbundenheit unserer Superstars", sagt der argentinische Journalist Sebastián Garavelli, Autor eines Buches über einen weiteren berühmten Bürger der Stadt Rosario: den Trainer Gerardo Martino, ehemaliger Newell's-Star und bis zum Ende der vergangenen Saison Coach des FC Barcelona.
Doch Messi ist der größte Star Rosarios. Obwohl er früh nach Barcelona ging, blieb er stets eng mit seiner Heimatstadt verbunden. Hier in Rosario betreibt er eine Sportförderung in Form einer Stiftung, die sozial benachteiligten Kindern eine bessere Zukunft ermöglicht. Wenn er Ferien hat, besucht Messi Familie und Freunde und zeigt sich dann auch in Rosario. Einst, so erzählt man sich hier, musste er eine Verbalattacke eines Anhängers des Rivalen Central ertragen - dabei war er längst einer der besten Spieler der Welt.
Läuft man dieser Tage durch die Stadt, ist Messi überall. Er lächelt von Werbetafeln herab, und alles ist in hellblau-weiß getaucht, die Farben der Albiceleste. An jeder Straßenecke kann man die Nummer 10 von Messis Trikot sehen. "Man muss einfach anerkennen, dass er der Beste ist. Durch ihn wird Argentinien zweifellos gegen Deutschland gewinnen", sagt Wally Weinstein, Eigentümer eines Nahrungsmittelgeschäfts in Rosario und leidenschaftlicher "Canallas": "Ich feiere jedes Tor von ihm, aber meine Kinder beeindruckt nur, wenn Di María oder Lavezzi ein Tor schießen."
"Keimzelle des argentinischen Fußballs"
Di María stammt aus einem der ärmsten Bezirke Rosarios, auf seinem Arm trägt er ein Tattoo: "In La Perdriel geboren zu sein, war das Beste, was mir in meinen Leben passiert ist." So etwas gefällt den Einwohnern, es gibt ihnen das Gefühl, zumindest ein kleines Stück am großen Erfolg beteiligt zu sein.
Zwei andere geraten darüber manchmal fast in Vergessenheit: Auch Stürmer Ezequiel Lavezzi, aktuell bei Paris Saint Germain, wurde im Nachwuchs von Rosario Central groß, und Maxi Rodríguez bei Newell's. Die Lokalpresse der Stadt erinnert deshalb vor dem WM-Finale gegen Deutschland (21 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: ARD) gerne und unermüdlich daran, dass drei der vier Torschützen beim Elfmeterschießen gegen die Niederlande aus Rosario stammen.
Der Radiojournalist Franco Marconi sagte neulich: "Hier ist die Keimzelle des argentinischen Fußballs, hier wird der Fußball am meisten gelebt." Man möchte sich kaum vorstellen, was bei einem Sieg in dieser Stadt passiert.
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