2 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Marko Marin Das vergessene Wunderkind

Randfigur in London: Marko Marin

Marko Marin hat vom englischen Boulevard bereits den Beinamen „The forgotten Wunderkind" verpasst bekommen. Und unter Chelsea-Fans gibt es derweil Twitter-Running-Gags über den möglichen Aufenthaltsort des Acht-Millionen-Euro-Phantoms. Nachdem ein Anhänger nach den ersten Premier-League-Minuten des 23-Jährigen erleichtert gezwitschert hatte: „Marin lebt!", vermutete ein anderer nun wieder: „Wird Marko Marin irgendwo als Geisel gehalten?"

Nein, der „winzige Neuzugang von Werder Bremen („Times") versinkt, meist tief in Mütze und Schal gehüllt, auf der Ersatzbank des Champions-League-Siegers. 22 Premier-League-Minuten (ohne Nachspielzeit) stehen bei ihm zum Jahresende 2012 zu Buche. Und ein Pflichtspiel-Einsatz von Beginn an - allerdings nur im Ligapokal gegen den Zweitligaklub Leeds United. Zuletzt ist er wieder vier Premier-League-Partien lang auf der Bank gesessen. „The German Messi", wie er von der Zeitung „Independent" vor der Saison allzu gewagt angekündigt worden war, scheint nun das Missverständnis Marin zu sein.

Weitere Artikel

Der 16-malige deutsche Nationalspieler will davon nichts wissen. „Ich habe hier für Jahre unterschrieben. Nach fünf Monaten, davon leider drei mit einer Verletzung, gibt es keinen Grund, alles in Frage zu stellen", sagte er vor kurzem dem Fußballmagazin „Kicker" trotzig, nachdem er sich länger nicht geäußert hatte. Noch nach Chelseas letztem Champions-League-Gruppenspiel (6:1 gegen FC Nordsjælland), als Marin die Königsklasse ganz ohne Einsatzminute beendete, sich aber trotzdem mit auslaufen musste, schlich er anschließend in seinem schwarzen Chelsea-Anzug und seinem kleinen Trolley durch die Mixed-Zone der Stamford Bridge. „Nein, nein", er wolle lieber nichts sagen. Im Programmheft tauchte er mit einem kleinen Foto neben Petr Cech auf, weil Cech der Blues-Akteur mit den meisten Saison-Minuten (mehr als 1000) und Marin der mit den wenigsten war.

Doch Marin verweist natürlich zu Recht auf seinen Muskelfaserriss im Oberschenkel. Noch in der Vorbereitung hatte ihn diese Verletzung ereilt, mit der er auch in Bremen schon die Saison beendet hatte. Und bis dahin hatte es für Marin entgegen der Vorbehalte vieler Skeptiker, die dem schmächtigen Blondschopf die englische Härte nicht zugetraut hatten, vielversprechend begonnen in West-London. Bei Chelseas Promotion-Tour durch die Vereinigten Staaten im Sommer schoss er ein schönes Tor gegen die Seattle Sounders und erntete für seine Dribblings viel Lob. Doch nach den neun Wochen Verletzungspause hatte ihn - nach Angaben von Chelsea-Insidern - Trainer Roberto Di Matteo schon abgeschrieben und als untauglich für das erste Team befunden.

Der Trainerwechsel war dann eine neue Chance. Rafael Benítez sagte kurz nach Antritt seines Postens: „Er ist ein guter Spieler, den ich von Werder Bremen kenne." 2010/11 hatte Werder mit Stammspieler Marin gegen Inter Mailand und dessen damaligen Coach Benítez in der Gruppenphase der Champions League gespielt.

„Albtraum-Start einer Chelsea-Karriere"

Die Sympathiebekundungen sind aber inzwischen größtenteils verhallt - ohne dass Marin irgendwie schlecht gespielt hätte. Seine Kurzauftritte waren gefällig, aber er drängte sich eben auch nicht besonders auf. Einige Fans sind der Ansicht, er habe bisher keine faire Chance bekommen. Aber auch ein Marin in Spitzenform hätte es in diesem offensiven Mittelfeld um Juan Mata und die Neuzugänge Eden Hazard und Oscar schwer.

Es ist ein wenig rätselhaft, weshalb Chelsea Marin überhaupt verpflichtet hat. Der „Fulham Chronicle" bescheinigte ihm einen „Albtraum-Start einer Chelsea-Karriere". Marins eigene Außendarstellung trägt derweil fast schon tragische Züge: Als wolle er nicht wahrhaben, dass die größten Hoffnungsträger des deutschen Fußballs längst andere sind. Kürzlich eröffnete er via Facebook einen Online-Store mit „MM"-Produkten. Auf seinem Twitter-Account beschreibt er sich als „Dribbelkünstler, Flügelflitzer und deutscher Fußball-Nationalspieler - Folgt mir, wenn ihr schnell genug seid". Und jüngst postete er seinen nagelneuen weißen Porsche.

Ansonsten versendete er schon Fotos vom olympischen Tennisturnier in Wimbledon oder von der Klub-WM in Japan, posierend mit einem berühmten Klubkameraden - manchmal wirkt das Ganze fast, als fühlte er sich mehr als London-Tourist oder Chelsea-Fan denn als Fußballprofi. Wie geht es weiter? In den Medien wird spekuliert, Marin würde im Januar ausgeliehen (was der FC Chelsea ja recht gern mit Spielern macht). Die „Daily Mail" berichtete am Dienstag, Bayer Leverkusen sei an einem Leihgeschäft interessiert. Und auch Englands Tabellen-Schlusslicht Queens Park Rangers, ebenfalls in West-London beheimatet, soll wegen Marin angeklopft haben. Ist das so? „No", sagte Rangers-Trainer Harry Redknapp am Sonntag sehr bestimmt und etwas entgeistert.

Auch beim Liga-Letzten scheint die Not noch nicht so groß, dass sie auf einen Marko Marin setzen wollen. An diesem Mittwoch (20.45 Uhr) empfängt Chelsea nun ausgerechnet die Rangers - und Marin würde es sicher gern allen zeigen. Die Zeit für sein Startelf-Debüt in der Premier läuft ihm langsam davon. Denn für eines ist der FC Chelsea nicht bekannt: Geduld.

Inga Radel

Zum Original