Stoffeliges Image, Affe-im-Weltall-Witze, Trotteleien in der Tube - England fremdelt mit Trainer Roy Hodgson, der fast in Deutschland gelandet wäre.
Der Fußball-Verband FA stellte sogar das "BamS"-Interview mit Roy Hodgson online. Darin ging der Elder Statesman auf Kuschelkurs mit dem Erzrivalen Deutschland. Welche Personen er mit Deutschland verbinde? "Franz Beckenbauer, er steht für den deutschen Fußball wie kein anderer. Angela Merkel aus politischer Sicht. Und Thomas Mann, den ich literarisch verehre", sagte Englands literaturbegeisterter Nationalcoach, der fließend Deutsch spricht.
Der 66-Jährige erzählte auch noch mal die alte Story, wie sich DFB-Präsident Egidius Braun 1998 um ihn als Bundestrainer bemüht habe. Und ihm sein "Freund Franz Beckenhauer" die Job-Chance vereitelte: Dieser habe "damals darauf hingewiesen, dass ein ausländischer Bundestrainer dem deutschen Coaching-Programm, dem Trainer-Nachwuchs, nicht helfen würde". Aber bitte nicht als Kritik verstehen - er habe "großen Respekt" vor dem "Kaiser".
England fremdelt mit HodgsonManch England-Fan wünscht sich markigere Sprüche und weniger Political-Correctness-Wattebausche vor dem Klassiker gegen Deutschland. Man fremdelt im Fußball-Mutterland noch immer mit diesem harmlosen Hodgson, der sich jeden Literatur-Nobelpreisträger erliest, dank seiner Trainerstationen in acht Ländern auch Norwegisch, Italienisch, Schwedisch, Finnisch und Französisch spricht, die Oper liebt und Tennis-Legende Björn Borg als Idol angibt.
"Uncle Roy" hat außerdem auf der Insel ein ähnlich stoffeliges Image wie hierzulande Erich Ribbeck, der ja dann bekanntlich stattdessen 1998 Bundestrainer wurde. Die "Daily Mail" deckte einst die erstaunliche Ähnlichkeit von Hodgson-Konterfeis mit Eulen-Gesichtern auf. Mitte Oktober wurde Englands erfolgreicher WM-Quali-Abschluss bizarrerweise davon überschattet, dass Hodgson in seiner Halbzeitansprache einen Affe-im-Weltall-Witz über Andros Townsend machte - der Spurs-Angreifer hat jamaikanische Wurzeln. Vor rund einem Jahr trat der Trainer-Oldie in einem Fettnapf, als er in der U-Bahn Passanten verriet, dass er tags darauf Rio Ferdinand nicht nominieren werde und dessen Karriere in der Nationalelf wohl vorbei sei. Die U-Bahn sei nun mal "die beste Möglichkeit für mich, nach London reinzufahren", rechtfertigte er sich, "und dabei spreche ich lieber mit Leuten in der Tube, die mir Fragen stellen, als mich schmallippig zu weigern, meinen Mund zu öffnen".
Was irgendwie fehlt, ist die BrisanzFür Trotteleien ist Hodgson in Fußball-England berühmt - und auch dafür, nur ein "Mr. Average" zu sein, ein Mr. Durchschnitt. Englands Europameisterschaftsteilnahme war? Mittelmaß. Die WM-Qualifikation? Mittelmaß. Der aktuelle Kader und die Nachwuchs-Talente sind? Mittelmaß. Dies illustrierte nach zehn Länderspielen ohne Niederlage am Freitag nur zu gut die 0:2-Schlappe in Wembley gegen Chile. Michael Ballack meinte treffend in einem BBC-Radio-Interview: "Ich sehe England derzeit nicht auf einer Stufe mit Teams wie Deutschland und Spanien. Sie sind ein bisschen zurück." Zwar betont der Ex-Chelsea-Profi, die Engländer seien "immer noch ein großer Name". Und: "Das ist kein richtiges Freundschaftsspiel. England spielt gegen Deutschland - das ist immer eine große Rivalität."
Tatsächlich ist in dieser Partie aber so wenig Brisanz wie selten zuvor. Der "Daily Mirror" beklagte, dass DFB-Trainer Joachim Löw die Leistungsträger Philipp Lahm, Manuel Neuer und Mesut Özil schont und "auch die deutschen Fans uns einen Korb geben": Weniger als 1000 Gäste-Tickets seien verkauft worden. Das finden die Engländer unhöflich, immerhin erreichen die Feierlichkeiten zum 150-jährigen Jubiläum der FA mit dem Prestigeduell ihren letzten Höhepunkt.
Schon wieder ein Torwart-ProblemWas gibt es Mutmachendes aus englischer Sicht? Zum Beispiel, dass sich Daniel Sturridge nach seiner Fußverletzung fitgemeldet hat. Der Torjäger hat in dieser Saison schon acht Premier-League-Treffer für den FC Liverpool erzielt. Hodgson hat außerdem angekündigt, nach dem Experimenten gegen Chile mit drei Debütanten (Fraser Forster, Adam Lallana, Jay Rodriguez) gegen Deutschland wieder auf erfahrene Spieler setzen zu wollen. Das heißt also: Kapitän Steven Gerrard, der zuletzt mit Hüft-Problemen aussetzte, und Linksverteidiger Ashley Cole werden zurück in der Startelf erwartet.
Und auch das derzeitige Sorgenkind der Engländer: Stammkeeper Joe Hart. Wie sollte es auch anders sein: Die Three Lions haben mal wieder ein Torwart-Problem. Gegen Chile hatte der 26-Jährige eine Denkpause von "Uncle Roy" bekommen. Zuvor war er bereits in seinem Verein Manchester City nach mehreren Patzern dauerhaft auf die Ersatzbank verbannt worden. Nun erhält er wieder eine Chance - vielleicht seine letzte? Hodgson setzte ihn (Hodgson-typisch) mit unglücklich gewählten Worten gehörig unter Druck: "Wenn er gut spielt, zu null spielt und uns hilft, zu gewinnen, werden die Leute mit Sicherheit sehr gute Dinge über ihn sagen. Aber wenn er ein paar leichte Tore durchlässt, muss er akzeptieren, dass es Kritik geben wird. Denn so ist die Welt, in der wir leben."
Inga Radel