Es ist ein Elend, nirgendwo gibt es noch einen Hort des Unpolitischen. Nicht einmal mehr den Eurovision Song Contest. Ein einziges Polittheater - und das seit Jahrzehnten. Bereits 1969 hat Österreich aus Protest gegen die Franco-Diktatur seine Teilnahme am ESC in Madrid abgesagt.
Und Nicole, das 17-jährige deutsche Mädchen mit blonden lockigen Haaren, das 1982 mit dem Lied "Ein bisschen Frieden" den Wettbewerb gewann, soll nach ihrem Auftritt Kritik von den Pazifisten geerntet haben. Sie hätte den "totalen Frieden" einfordern müssen, statt nur ein bisschen!
Richtig ernst wurde es in Sachen Politik aber erst, als der ESC sich nach dem Zusammenbruch des Sozialismus für die vielen neuen osteuropäischen Staaten geöffnet hatte. Die sich dann fröhlich gegenseitig die Punkte zuschoben, so dass alteingesessene ESCler im Westen den Untergang der Eurovisionskultur befürchteten.
Und 2009 musste Georgien dann das Lied "We Don't Wanna Put In" zurückziehen, weil der Titel an den Namen eines Politikers erinnerte, was gegen die Regeln des Wettbewerbs verstößt. Man hätte vielleicht gar nicht so ein Aufheben darum gemacht, wenn der Austragungsort in dem Jahr nicht Moskau gewesen wäre, und Russland nicht ein Jahr zuvor seine Truppen nach Georgien geschickt hätte.
Und nun wird also eine Krimtatarin in Stockholm für die Ukraine singen. Nein, nicht um Putin geht es dieses Mal, sondern um Stalin. Im ihrem Lied "1944" verarbeitet die ukrainische Sängerin Jamala ihre Familiengeschichte. Wie insgesamt 240.000 Krimtataren wurde ihre Urgroßmutter 1944 nach Zentralasien ausgesiedelt. Wer die Deportation in Güterwagons und die Jahre der Verbannung überlebt hatte, durfte erst in den 80er-Jahren zurückkehren.
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