Inga Kausch

Online-Redakteurin, Flensburg

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Erschöpft und enttäuscht

Angestellte in Pflegeeinrichtungen wurden zu Beginn der Pandemie als Heldinnen und Helden bezeichnet. Geändert hat sich für die Berufsgruppen jedoch nicht viel. Eine Bestandsaufnahme.






Klatschen vom Balkon, große mediale Aufmerksamkeit und plötzlich in aller Munde. Zu Beginn der Pandemie im März wurden Pflege- und Betreuungskräfte für ihren Einsatz gefeiert. Im zweiten Lockdown hat sich die Lage nochmals zugespitzt. Die Arbeitsbedingungen haben sich jedoch keinesfalls verbessert und viele Angestellte sind enttäuscht.

Zu ihnen gehört Antoni Carlsen. Er arbeitet seit drei Monaten als Betreuer der Wiedereingliederungshilfe im Stedesander Hof und bedauert sehr, dass viele systemrelevante Berufsgruppen trotz ihrer unermüdlichen Arbeit kaum noch Beachtung finden mit Fortschreiten der Pandemie. Die Leiterin des Stedesander Hofs, Tatjana Harrs, schließt sich dem an: „Ich habe sehr viel Respekt vor dem, was die Angestellten täglich meistern. Alle geben ihr Bestes und es ist fantastisch, was geleistet wird.“ Sie bedauere sehr, dass ihre Angestellten keine Bonuszahlungen für ihre Arbeit bekommen, so wie es bei den Pflegekräften der Fall ist: „Wir sind genauso systemrelevant wie die Pflege!“ Die Herausforderungen auf der Arbeit seien seit Monaten erhöht. Man arbeite im Drei-Schichten-System und teste mittlerweile alle Angestellten zweimal pro Woche. „Das ist ein großer Mehraufwand für jeden“, betont Harrs. „Alle sind persönlich von der Pandemie bedrückt. Der zweite Lockdown ist durch das schlechte Wetter und Weihnachten auch psychisch deutlich schwieriger“, fügt sie hinzu. „Wir versuchen alles, um für Aufmunterung zu sorgen und trotz allen akzeptieren alle die Maßnahmen und begegnen uns Angestellten mit viel Dankbarkeit“, fügt der Betreuer Carlsen hinzu.

Auch in der Politik wird viel über die Situation im Pflege- und Betreuungssektor diskutiert. Astrid Damerow fordert eine deutlich höhere Wertschätzung der Pflegeberufe, um dem Personalmangel entgegenzuwirken. In diesem Aspekt lege die Bundestagsabgeordnete Hoffnung in das Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz, welches voraussichtlich zum Jahresbeginn in Kraft treten werde. Dieses Gesetz sehe zum Beispiel 20.000 neue Stellen für Pflegehilfskräfte vor, um die zertifizierten Pflegekräfte zu unterstützen. „Wir hoffen mit diesem Gesetz in näherer Zukunft die Pflegenden zu entlasten und in weiterer Zukunft einen attraktiven, gesellschaftlich anerkannten und geschätzten Berufszweig zu schaffen“, erklärt Damerow.

Die Pflegedienstleiterin der Residenz an der Düne in Süderlügum, Andrea Blank, sieht in diesem Gesetz allerdings keine nachhaltigen Besserungen. „Pflegehilfskräfte sind sehr wünschenswert und führen ihre Tätigkeiten verantwortungsvoll aus. Allerdings sind dies ungelernte Kräfte, die vom Personal angeleitet werden müssen, sodass vorerst wieder ein Mehraufwand entsteht.“ Blank fordert eine generelle bessere Unterstützung, Entlohnung und Anerkennung von Pflege- und Betreuungskräften: „Es gibt sehr viele ältere Arbeitskräfte, die komplett abgearbeitet sind und Entlastung brauchen.“

Die Altenpflege habe im Sommer zwar eine Bonuszahlung bekommen und Gehälter würden stückweise erhöht, viel geändert habe dies allerdings nicht. „Die Zahlung war eine schöne und wunderbare Sache, löst aber nicht den Personalmangel und die schweren Arbeitsbedingungen“, berichtet Blank weiter. Vor allem das Jahr 2020 habe alle viel Kraft gekostet. „Es herrscht eine große Coronamüdigkeit. Die Pandemie ist ein unendlicher Mehraufwand.“ Zusätzlich zum ohnehin schon vollen Arbeitstag kämen ständig wechselnde Regelungen und Vorschriften hinzu sowie umfassende Schutzkonzepte, Verwaltungsarbeit und die permanenten Corona-Tests von Angestellten und Besuchern. „All diese Arbeit kommt obendrauf. Auch die bevorstehenden Impfungen erfordern viel Vorbereitung und Organisation“, so Blank. Dies sei nur durch Überstunden zu leisten und unter der ständigen Angst, selbst zu erkranken. Dazu kommen weitere psychische Belastungen wie der veränderte Umgang mit den Pflegebedürftigen. „Viele hatten durch die Schutzkleidung Angst vor den Angestellten, weil sie sie nicht mehr erkannt haben“, erklärt Blank.

CDU-Politikerin Damerow betont, dass die Arbeit im Pflege- und Betreuungssektor unverzichtbar sei. Diese Berufsgruppen bewiesen sehr viel Einfühlungsvermögen und physische Belastbarkeit: „Davor habe ich großen Respekt!“

Pflegedienstleiterin Blank sieht jedoch auch in der Zukunft eine zu geringe Umsetzung diesen Respekts: „Ich habe wenig Hoffnung, dass sich etwas ändert. Der Fachkräftemangel ist seit langer Zeit bekannt und wird in Zukunft immer größer werden.“