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Liebe auf den ersten Klick

Online-Dating-Anbieter wie Tinder oder Parship haben den Pool an potenziellen Partnern zu einem enormen Meer an Möglichkeiten gemacht. Warum das die Suche nach der großen Liebe nicht unbedingt erleichtert.


Zusammen ist man weniger allein. Das dachte Andrea Stoffe, als sie sich 2015 an den Computer setzte und beschloss, sich über das Internet zu verlieben. Stoffe, 47, aus der Nähe von Syke, war damals Single, seit vielen Jahren schon. Weil sie aufgrund ihres „Selbstbewusstseins unterhalb der Teppichkante" im richtigen Leben oft zu schüchtern gewesen sei, um Männer anzusprechen oder auf Flirtversuche zu reagieren, sollten nun also Online-Dating-Dienste helfen. Stoffe meldete sich bei Fischkopf an, einer Singlebörse für Menschen aus Norddeutschland, bei Finya und Neu.de genauso wie bei dich-mit-stich, einer Partnerbörse für tätowierte Menschen. Sie klickte sich durch, schrieb Nachrichten. Die Auswahl war groß, müsste doch einer passen, hoffte sie.

Andrea Stoffe hat sich bei Facebook auf einen Aufruf des WESER-KURIER gemeldet, um über ihre Erfahrungen mit Online-Dating zu sprechen. Eigentlich heißt sie anders, ihren richtigen Namen möchte sie aber lieber nicht in der Zeitung lesen. Mit ihrer Suche nach einem Partner in der virtuellen Welt ist Stoffe nicht allein - auch nicht mit der Scham, unter Klarnamen davon zu berichten. In Deutschland ist sie eine von rund 16,8 Millionen Singles zwischen 18 und 65 Jahren. Das hat eine Studie von Parship und Elite-Partner aus dem vergangenen Jahr ergeben. Mehr als jeder fünfte Deutsche hat den aktuellen Partner aus dem Internet gefischt. Etwa 90 Prozent der aktiv suchenden Singles sind demzufolge auf Onlinedating-Portalen unterwegs. Das Internet ist offenbar der Kennenlernort, von dem sich Singles den meisten Erfolg versprechen.

Die Dating-Branche boomt: Partnerbörsen haben aus der Liebe ihr Geschäft gemacht. Wer bei Google Stichworte wie Partnersuche, Liebe oder Dating eingibt, findet hunderte Apps und Websites. Parship etwa wirbt seit 2001 damit, die Formel für das Liebesglück zu kennen. Mit dem sogenannten Parship-Prinzip, einer speziellen mathematischen Formel, haben sich dem Anbieter zufolge schon Hunderttausende Singles verliebt. Auf Singlely.net heißt es: „Die Digitalisierung revolutioniert das Liebesleben! Noch nie war es so einfach und gemütlich, neue Menschen kennenzulernen und so zugleich einen neuen Partner und die große Liebe zu finden."

Aber stimmt das eigentlich? Gibt es dank Tinder, Parship und ausgetüftelter Algorithmen nun für jeden Topf den passenden Deckel? Ist die große Liebe nur einen Wisch oder Klick weit entfernt und die Partnersuche dadurch einfach wie nie?

Weniger Zeit, mehr Stress

Wer im Internet nach Liebe sucht, spart Zeit - zumindest werben bekannte Datingportale damit. Während sich manch Single in der Realität erst mal Mut antrinken muss, bis die wichtigen Fragen zur Sprache kommen („Will mein Gegenüber nur Spaß oder eine ernsthafte Beziehung?"), haben die programmierten Filter der Datingportale längst kräftig aussortiert. Das klingt, zweifellos, ziemlich hilfreich - gleichzeitig aber auch irgendwie fremdgesteuert und unromantisch.

Dem Internet fehlt ein wichtiger Baustein romantischen Gelingens: Erzählungen, wie sich Paare kennengelernt haben, beginnen im virtuellen Raum nicht an der Bar um die Ecke oder beim Tanzkurs, nicht an der Supermarktkasse oder auf der Arbeit. Sie basieren nicht auf Zufall, sondern auf Zahlen. Alles reine Mathematik.

Von der Augenfarbe bis hin zur Körperform, vom Wohnort und Beruf über ausgefallene Hobbys und Haustiere bis hin zu sexuellen Vorlieben: Jedes kleinste Detail wurde bereits abgeklopft, wenn dem Suchenden ein Profil angezeigt wird. Es gilt das Aschenputtelprinzip: Die vermeintlich Guten ins Töpfchen, die Schlechten - also Unpassenden - ab ins Kröpfchen.

Der Pool an potenziellen Partnern ist größer denn je. Für jeden ist auf dem digitalen Markt theoretisch „etwas dabei". Es gibt Angebote speziell für Alleinerziehende oder Migranten, für junge, alte, kleine, dicke und dünne Menschen, für Veganer und Vegetarier, für Menschen mit ausgeprägtem Marihuana-Konsum oder Schnurrbartliebhaber, für Tätowierte und Hundehalter. „Vor allem in sexueller Hinsicht ist es für Menschen mit ausgefallenen Bedürfnissen leichter geworden, gezielt nach Gleichgesinnten zu suchen", sagt Susanne Fuchs, Paarberaterin aus Bremen. Der Vorteil: „Man kann Parameter, die einem in einer Partnerschaft wichtig sind, vorher abchecken und No-Gos ausschließen."

Für Andrea Stoffe bedeutete die Partnersuche im Internet auch Stress: die große Auswahl, die vielen Nachrichten. „Als Frau wird man damit regelrecht bombardiert", sagt sie. „Zwei Nachrichten beantwortet, waren schon sechs neue da. Da kommt man kaum hinterher." Ihre Erfahrungen beschreibt Stoffe als „sehr gemischt": von ungefragt erhaltenen „Unterkörper-Fotos" bis zu netten, sympathischen Kontakten sei alles dabei gewesen.

Einfacher als im realen Leben findet Stoffe Online-Dating nicht. Partnervermittlungen könnten sicher funktionieren, doch im Gegensatz zur direkten Begegnung seien sie sehr oberflächlich, „im Prinzip wie in einem Katalog", sagt Stoffe. „Da wird dann gleich weitergeklickt, obwohl der Mensch auf den zweiten Blick vielleicht sehr gut gepasst hätte."

Einfacher? Von wegen!

So wie Stoffe geht es auch anderen. Etwa die Hälfte der Deutschen glaubt, dass Dating für frühere Generationen einfacher war. Das hat der aktuelle Prosumer Report „Love in the Digital Age" der Havas Group ergeben. Untersucht wurde, wie sich romantische Praktiken und Beziehungen in einer Zeit verändern, in der sich die Suche nach einem Partner in Onlinewelten verlagert hat.

„Wenn man Menschen etwa beim Tanzen kennenlernt, hat man direkt einen persönlichen Eindruck", sagt Sabine Fuchs. „Im Internet hat man zwar Bilder und Texte, aber keinen Gesamteindruck, kein direktes Gefühl dafür, ob es passt." Sie rät daher, nicht zu lange hin- und herzuschreiben, sondern sich direkt zu treffen. Man könne zwar manche Dinge vorher „abchecken", am Ende aber zähle die persönliche Begegnung.

Sich zu sehen und zu hören sei "nicht so platt wie ein Foto", findet auch Andrea Stoffe. "Da kommen Mimik, Gestik und Reaktionen hinzu, die das Gegenüber als ansprechend empfindet und sich dann ein Herz nimmt." Onlinedating finde sie prinzipiell gut, trotzdem bereite ihr die oberflächliche Handhabe vieler Menschen Bauchschmerzen. Und überhaupt: "Man muss sich gut riechen können", sagt Stoffe. "Ich bin ein Verfechter von dieser These: alles pure Biologie und Chemie." Stoffe vergleicht: "Früher haben unsere Eltern noch repariert statt weggeschmissen. Heute machen wir es uns bei Problemen eher einfach, geben schnell auf, statt gemeinsam daran zu arbeiten - denn im Internet wimmelt es ja vor Alternativen."

Stoffe wollte dann irgendwann die Liebe nicht mehr planen und krampfhaft suchen. Sie wollte nicht mehr per App nach Aussehen, Beruf und Lebensumfeld auswählen. Über ihren zukünftigen Partner wollte sie keinen Algorithmus, sondern ihre Nase und ihr Herz entscheiden lassen. Sie hatte dem Online-Dating schon abgeschworen. Und dann kam doch alles anders: Anfang des Jahres ist ihr jemand „vor die Füße gepurzelt". Im Internet? Ja, sagt sie, „ziemlicher Gag, oder?". Die Dating-Portale hat sie daraufhin gelöscht, auch wenn sie noch gar nicht recht weiß, was daraus nun wird.

Auch Susanne Fuchs hat schon Paare beraten, bei denen der Übergang von Online-Dating zu einer festen Beziehung holprig war. Während sich der eine meist schon sicher war, dass er eine Beziehung wollte, habe sich der andere noch ausprobieren müssen, sagt sie. „An dem Punkt kommt es häufig zu Konflikten und Unsicherheiten."

Andrea Stoffe will dranbleiben, der unerwarteten Verbindung Zeit geben. Wenn sie ihre Nase entscheiden ließe, sagt sie, dann sei die Richtung klar. „Ich liebe seinen Geruch und habe immer ein getragenes T-Shirt von ihm hier."

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