Medizinische Forschung muss auch an Menschen stattfinden. Eine ethische Selbstverpflichtung soll Patienten vor Schaden, Missbrauch und Geschäftemacherei schützen. Jetzt hat der Weltärztebund die geltenden Regeln für klinische Studien verschärft.
Auf der Suche nach neuen Medikamenten und Behandlungsmethoden arbeiten medizinische Forscher zunächst im Labor, an Zellkulturen oder auch mit Tierversuchen. Doch irgendwann müssen neue Mittel und Methoden am Menschen getestet werden.
Dabei hat es historische Skandale gegeben, wie zum Beispiel in den dreißiger Jahren in den USA, als afroamerikanische Landarbeiter nicht behandelt, sondern nur beobachtet wurden, um mehr über die Syphilis zu lernen. Und auch heute drohen lebensgefährliche Komplikationen bei Arzneimitteltests, wie vor wenigen Jahren in London, als Testpersonen einer deutschen Arzneimittelfirma lebensgefährlich erkrankten.
Studienteilnehmer und Patienten sollen vor solchen Auswüchsen geschützt werden. Seit 1964 gibt es dafür mit der sogenannten Deklaration von Helsinki ethische Standards für die klinische Forschung. Die wurden bereits mehrfach an den Stand der Zeit angepasst, am Samstag hat die Generalversammlung des Weltärztebunds im brasilianischen Fortaleza die neueste Fassung verabschiedet, die federführend von der Bundesärztekammer entworfen worden war.
Angemessene Entschädigung bei Problemen
Neu sind unter anderem die Forderung, dass Probanden angemessen behandelt werden und eine Entschädigung erhalten müssen, wenn sie durch die Teilnahme an einer Studie zu Schaden kommen. In vielen Ländern ist dies nicht selbstverständlich. Schon bisher regelte die Deklaration zum Beispiel, dass Patienten über die Teilnahme an einer Studie und deren Risiken informiert werden und aus freien Stücken zustimmen müssen. Gleichzeitig dürfen die Risiken im Verhältnis zum potentiellen Nutzen nicht zu groß sein.
Ihren Ursprung hat die Deklaration "Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen" im Nürnberger Kodex, der angesichts der verbrecherischen Experimente von Medizinern im Nationalsozialismus während des Nürnberger Ärzteprozesses entwickelt wurde.
Dürfen Scheinmedikamente eingesetzt werden?
Seit einiger Zeit wird diskutiert, unter welchen Bedingungen in klinischen Studien Placebos verwendet werden können. Diese wirkstofflosen Scheinbehandlungen werden als Vergleichsmaßstab eingesetzt. Existiert für eine Erkrankung noch keine Therapie, sind sie unproblematisch. Doch ist es ethisch vertretbar, einem Teil der Patienten in einer klinischen Studie einen bewährten Wirkstoff vorzuenthalten?
Ein generelles Verbot von Placebos könnte die Erforschung neuer Arzneimittel erschweren und so indirekt die Gesundheit beeinträchtigen. Daher sieht die neue Fassung der Deklaration vor, dass der Einsatz von Placebos und anderen unterlegenen Medikamenten dann erlaubt ist, wenn Patienten keinem zusätzlichen Risiko für ernsthafte oder bleibende Schäden ausgesetzt werden.
Pflicht zur Veröffentlichung
Damit Patienten von klinischen Studien profitieren können, müssen die Ergebnisse veröffentlicht werden. Dies passiert derzeit nach Meinung vieler Experten zu selten: Schätzungen zufolge werden die Ergebnisse von nur jeder zweiten klinischen Studie publiziert. Oft würden nur erwünschte Ergebnisse publiziert, so dass Risiken und Nebenwirkungen unbekannt bleiben und Tests unnötigerweise wiederholt werden, so die Vorwürfe.
Zwar verlangt die Deklaration bereits, dass positive und negative Ergebnisse veröffentlicht werden müssen. Doch Verfechter der evidenzbasierten Medizin wie Gerd Antes vom Deutschen Cochrane-Zentrum fordern, dass nicht nur Zusammenfassungen, sondern die kompletten Studiendaten veröffentlicht werden sollten. "Ein Grundprinzip von Wissenschaft ist die unabhängige Überprüfung der Ergebnisse, und dies wird im Bereich klinischer Studien laufend verletzt", so Antes. "Dies geht nur, wenn dazu auf die Daten zugegriffen werden kann."
Standards sind nicht bindend
Offiziell muss fast jede Forschung am Menschen die Standards der Deklaration von Helsinki erfüllen, wie die Juristin Mira Chang im Sammelband "Ethik und Recht" schreibt. Die Standards des Weltärztebunds sind nicht bindend. Doch verweisen zum Beispiel deutsche und europäische Gesetzestexte vielfach auf die Deklaration. Fast alle wissenschaftlichen Fachzeitschriften verlangen die Einhaltung. Und obwohl sie sich in erster Linie an Mediziner wendet, müssen daher auch Psychologen oder Biologen die Deklaration beachten.
Das wird in der neuen Version durch eine entscheidende Änderung verschärft. Nicht nur klinische Studien von Medizinern müssen demnach in öffentlichen Datenbanken vor Studienbeginn erfasst werden, sondern sämtliche Untersuchungen an Menschen. Dies erhöht zwar die Transparenz von Studien stark, krempelt gleichzeitig aber die Forschungspraxis in vielen Fachgebieten um.
In der Praxis werden Forderungen der Deklaration regelmäßig missachtet. Beispielsweise erhalten Studienteilnehmer in Entwicklungsländern nach Studienende nur selten die Medikamente, die sich durch die Untersuchung als wirksam herausgestellt haben oder zumindest eine andere angemessene Behandlung. Genau das sieht die Deklaration von Helsinki eigentlich vor.
Die Benachteiligung vor allem afrikanischer und südamerikanischer Länder ist nicht nur bei klinischen Studien ein großes Problem, sondern auch im Weltärztebund. Die Stimmen in der Generalversammlung verteilen sich entsprechend der Beiträge, die die nationalen Ärzteverbände dem Weltärztebund überweisen. Entwicklungsländer können sich daher ihre Interessenvertretung oft nicht leisten. So waren auch bei der Generalversammlung in Brasilien die afrikanischen Staaten mit insgesamt nur fünf Stimmen vertreten, während Deutschland, Japan und die USA jeweils mehr als zehn Stimmen hatten. Genau das möchte die aus Uganda kommende frisch gewählte Präsidentin des Weltärztebunds, Margaret Mungherera, unbedingt ändern.