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Feature

Birth of the Coool


Zeitgenössisches österreichisches Design in Berlin

 

Text zur Ausstellung: FASHION: Objects, Concepts & Visions in Berlin, in Nov./Dez. 2017 


In einer Zeit, in der „High Fashion Pop ist 1“, wünscht sich die Mode-Avantgarde an Orte, die trotz Globalisierung eine eigenständige Kultur bewahrt haben. Österreich ist ein guter Platz, wenn es um das Ignorieren von und die Reflexion über Mode geht.

 

In Österreich setzt man sich gern mit zeitgenössischen Phänomenen auseinander, bleibt aber meist doch beim Bewährten. Dieser Antagonismus äußert sich u.a. darin, dass junge Kreative zwar attraktive Ausbildungsmöglichkeiten und Förderungen vorfinden, die Gründung eines Labels aber schwierig ist. Infrastruktur und handwerkliches Know-how gingen durch die Auslagerung der Modeproduktion verloren und auch als Absatzmarkt ist Österreich nur bedingt interessant. Der lokale High Fashion-Markt läuft über Tourismus und große Namen. Der kleine Kreis, der ein Kleidungsstück des wow-Faktors wegen begehrt, kauft nicht unbedingt in Österreich. In den Modemetropolen sind Modeaffinität und Infrastruktur gegeben und die Labelgründung einfacher. Die erfolgreichsten zeitgenössischen österreichischen Modedesigner arbeiten im Ausland: Peter Pilotto und Marios Schwab in London, Edwina Hörl in Japan, pelican avenue in Antwerpen, Arthur Arbesser in Mailand, Marina Hoermanseder in Berlin ...

 

Konzeptionelles Design

 

Die Modedesigner, die in Wien bleiben, sehen die Dinge pragmatisch: Die Mieten sind erschwinglich, die Arbeitsatmosphäre entspannt und die Club- und Musikszene inspirierend. Die Verbindung zur independent Modeszene hält man zweimal im Jahr auf der Fashion Week in Paris. Dort sind es vor allem japanische Einkäufer, die Modelle von Labels wie Wendy Jim, Sagan Vienna, rosa mosa, GON, Natures of Conflict und Femme Maison kaufen. In Japan wird Österreich als Ort des konzeptionellen Designs gehandelt. Eine Klassifizierung, der die Designer nur bedingt zustimmen. Zu Beginn der Nullerjahre begriff man Design als intellektuellen Prozess. Den bloß intuitiven Designprozess, der sich in der Komposition von Stoff, Schnitt und Farbe erschöpft, lehnte man ab. Heute weiß man, dass beide Methoden Stärken und Schwächen haben – und sucht den Kompromiss. Außerdem bestimmen zunehmend Materialien und Technologien den Schaffensprozess weshalb ein grundsätzliches Verständnis von Funktion und Anwendung gefordert ist.

 

Schmelztiegel aus ost- und südosteuropäischen Kulturen

 

Eine jüngere Generation ist wieder eher global orientiert. Der frisch graduierte Federico Protto aus Uruguay hat schon in London, Berlin und Reykjavík Praktika absolviert und findet Wien ziemlich konventionell und konservativ. Zitat: „(...) there is still a big potential to surprise, to shock, to differ and to create unseen things in comparison to bigger metropolises! You see it’s a double-edged sword. Vienna inspires with its theatrical architecture, the pathos and the sentiment. 2“ Alison Clarke, Professorin für Designtheorie in Wien beschäftigt sich auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Thema; konkret ist es die Frage inwiefern eine kleinere und in der Modeindustrie peripher gelegene Stadt wie Wien die globale Stilcommunity beeinflussen kann. In einer Strukturanalyse wertet sie die Nähe zu neuen Märkten wie der Türkei und dem früheren Osteuropa sowie den Einfluss der diversen lokalen Modekulturen auf die Stadt als Vorteil und einzigartige Positionierung. Die kreative Originalität Wiens liege ultimativ in der Fähigkeit, die eingebetteten Netzwerke weiterhin zu nähren, so Clarke.

 

Der Einfluss des Bildungsbetriebs

 

Die Modeklasse der Universität für angewandte Kunst in Wien wurde in den vergangenen Dekaden von Designern aus den Modemetropolen geleitet und hat kritische und interdisziplinär agierende Generationen hervorgebracht. Die zeitgenössische Szene ist vor allem von Helmut Lang, den Belgiern Raf Simons und Veronique Branquinho sowie Bernhard Willhelm beeinflusst. Sie vermittelten den Studenten die Fähigkeit mit zeitgenössischen Inhalten zu arbeiten – inspiriert an Gender Fluidity, Kunst und Kultur. Besonders nachhaltig war der Einfluss von Helmut Lang. Er setzte in einer Zeit der Retrospektiven auf High-Tech und Minimalismus. Hohe Bedeutung maß er der Visualisierung bei. Als Leiter der Modeklasse strich er die Show und ersetzte sie mit einem Fotoshooting. Die Lektion wurde auch von den nachfolgenden Generationen gelernt und brachte seither synergetische Kollaborationen mit Fotografen und Video-Artisten, die in Mode-, Musik- und Filmszene ein Experimentierfeld suchten.

 

Anything goes – rien ne va plus

 

Auch gutes Design muss sich erst am Markt beweisen – und die Situation im Spätkapitalismus ist verfahren. Die Luxusmodeindustrie hat sich in Tempo und Menge verloren. Die Slow-Fashion-Bewegung und die Wissenschaft suchen nach attraktiven Technologien, um das Thema Nachhaltigkeit von seinem Stigma zu befreien. Der Modenachwuchs findet sich in einer Situation zwischen anything goes und rien ne va plus. Zukunftsorientiertes Design bedeutet einen zunehmend komplexen Schaffensprozess. Die serielle Nutzbarkeit von Produktionstechnologien wie Automatisierung und 3D-Druck ist erst in Teilbereichen gegeben. Weshalb die Beiträge momentan noch von Seiten der Kunst oder anderen Designdisziplinen kommen. Die Tendenz, das Designstudio zum Labor zu machen, ist besonders bei jüngeren Talenten gegeben, die ihre Ausbildung an renommierten Modeinstituten in London, New York oder Antwerpen absolvierten. Sie sehen ihre Arbeit nicht auf Nadel und Faden reduziert und wenden innovative Technologien an, um die Grenzen des zeitgenössischen Modedesigns zu erweitern.

 

Fusion von Kunst, Technologie und Handwerk

 

Die in Los Angeles lebende Architektin Julia Körner spezialisierte sich auf digitales Design für 3D-Druck. Das hat sie zur gesuchten Kollaborationspartnerin von Haute Couture Häusern in Paris und Filmproduzenten in Hollywood gemacht. Der in Wien lebende Industriedesigner Daniel Kloboucnik realisiert seine Designs in eigens erdachten Produktionsmethoden. In seinem Projekt Weftwarp hat er eine experimentelle 3D-Webmethode entwickelt, um einen Schuh herzustellen.

Marktorientierte Designer finden neue technische Zugänge in unkonventionellen Materialien und interdisziplinären Projekten. Sie entwerfen noch nicht dagewesene Nutzungsszenarien, orientieren sich aber weitgehend am Machbaren. Die Taschendesignerin Isabel Helf absolvierte den Master in Fashion Artefact am London College of Fashion. Sie fertigt Taschen, die über integrierte Holzelemente mit Ablageflächen von Möbelstücken kompatibel werden. Leitmotiv war der knapper werdende Wohnraum und das psychologische Konzept eines zwanghaften Ordnungsbedürfnisses. Die Schuhdesignerin Carolin Holzhuber, die am London College of Fashion in Footwear graduierte, verwandelt Schuhe in luxuriöse handgefertigte Skulpturen. Um Leichtigkeit bei gleichzeitiger Stabilität zu gewährleisten, setzt sie in der Sohlenkonstruktion Karbonfaser ein. In ihrer Kollektion Symbiose (F/S 16) betrachtet sie Schuhe als Paar, das in seiner Existenz voneinander abhängig ist.

 

Künstlerkollaborationen: Visualisierungen

 

Die Visualisierung in einer zeitgenössischen Sprache, gewährleistet die Aufmerksamkeit in der medialen Bilderflut. Ein Effekt, von dem Visualisten und Designer gleichermaßen profitieren. Die Fotografin Elfie Semotan arbeitete in den 1990er Jahren mit Helmut Lang. Mit ihm teilte sie den Hang zu markanten Modeltypen, die sich von der oberflächlichen Schönheit dieser Zeit abhoben. Für die Ausstellung visualisiert sie Ready-to-Wear etablierter Labels und Debutmodelle von Absolventen der Modeklasse der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Ein von Natur und Künstlichkeit geprägtes Szenario weckt Assoziationen an verfließende Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre. Stylistin war Sabine Schreder, die in New York lebt und für Labels wie Celine und Vivienne Westwood arbeitet. Eines der Models ist Helena Severin, die schon in Kampagnen von YSL zu sehen war. Parallel zu den Arbeiten von Semotan werden auch Werke einer jüngeren Generation gezeigt. Britta Burger verfolgt eine dokumentarische Richtung und hebt sich klar von der künstlichen Hyperästhetik des Mainstream ab. Daliah Spiegel hat ein Faible für eskapistische Subszenen. Charakteristisch für ihre Bilder sind intensive Farben und collage-artiger Aufbau.

 

Place matters ...

 

... merkte Alison Clarke in einem Interview mit austrianfashionnet an. Den Einfluss sah sie in der einzigartigen Energie des Ortes – und nicht in der Verfolgung eines Essentialismus. Real sind es alte Handwerkstechniken, die von den Designern neu entdeckt werden. rosa mosa arbeitet mit Blaudruck auf Leder und Sagan Vienna adaptiert das Wiener Geflecht für Taschen. Die Interpretation lokaler Bekleidungstraditionen scheint aus der Distanz reizvoller zu sein. Agnes Nordenholz, die unlängst von Wien nach Berlin übersiedelt ist, verleiht schwerem Loden mit Volants neue Leichtigkeit (HW 17/18). In den Beiträgen aus Kunst und Video werden Referenzen auf Österreich explizit. „Das wirklich einzigartige an Wien ist das sanfte Tempo“, sagt die in London lebende Videokünstlerin Kris Hofmann. Dieses Tempo stellt sie in ihrem Video Love Letter to Vienna mit paarweise auftretenden Hüten dar, die sich im Takt der Musik durch die historische Altstadt Wiens bewegen. Der Modedesigner Ilija Milicic (Hvala Ilija) sieht Wien aus der Perspektive der Diaspora. Er flüchtete Anfang der 1990er Jahre mit seiner Familie aus dem bosnischen Kriegsgebiet nach Wien. In seinem aktuellen Video Mydling kontrastiert er seinen „sleazy Chic3“ mit dem Alltagsleben im Arbeiterbezirk Meidling.

 

Appropriation und Intervention

 

Den Blick von außen gewähren die Werke von Künstlern, die im Spannungsfeld von Textil vs. Handwerk, Raum vs. Körper sowie Analog vs. Digital arbeiten. Sie fordern die Betrachter durch Appropriation und unerwartete Intervention zu neuen Wahrnehmungsmustern auf. Jenni Tischer zeigt eine Kappenskulptur in Quilttechnik als Wandobjekt. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Emergenz der Kappe im urbanen Raum und deren widersprüchlicher Symbolik, die sowohl für Subkultur und Widerstand, als auch für kommodifizierte globale Gleichheit steht. Benjamin Eichhorn arbeitet mit Blaudruck – und bringt so den österreichischen Folklorismus ins Spiel. Er führt den traditionellen Dirndlstoff neuen Verwendungszwecken zu – näht daraus ein Herrensakko oder überzieht Alltagsgegenstände wie Hammer, Kommode oder Stuhl. Auf diese Art verschönert er die Gegenstände und verhindert und verdeckt deren wirkliche Funktion. Caroline Heider verwendet Modefotografien aus der Zeit der Wiener Werkstätte und gibt den Sujets durch die Verwendung von verschiedenen Papiersorten, Collage und Faltung den Körper zurück. Gleichzeitig lädt sie diese mit neuer Bedeutung auf.

 

 

1 Horyn, Cathy (2015): Raf Simons Speaks to Cathy Horyn on the Speed of Fashion. Abgerufen am 27. Oktober 2017

 

2 Hofmann, Vanessa (2013): MER, the new face of Viennese Fashion? Abgerufen am 27. Oktober 2017

 

3 Satenstein, Liana (2017): Meet the Bosnian Designer Making Sleazy-Chic Menswear in Austria. Abgerufen am 27. Oktober 2017