Dr. Helga Wäß schreibt exklusiv für Boulevard Schwan in der Rubrik „Art Tours“, Interview Teil 2
KUNST ERFRISCHT WIE ZITRONENEIS AN EINEM SOMMERTAG
Kreative Kunstexpertin: Dr. Helga Wäß
Foto: Dimitri Davies
Berlin oder München – wo hat ein Künstler heute mehr Chancen?
Dr. Helga Wäß: „Ein Künstler trägt seine Kunst in sich, darum nimmt er sie immer mit. So würde ich sagen, dort, wo er ist, wenn er reist oder zuhause bleibt, genau dort muss er unter Menschen und dann in die Galerien. Das ist nicht unbedingt eine Frage der Stadt. Häufig findet man keine Ausstellungsmöglichkeit an seinem Heimatort, und in der nächsten Kleinstadt wird man im Kunstverein oder in einer Galerie mit offenen Armen empfangen. Wichtig ist, sich zu bewegen und nicht nach ein bis dreißig Absagen in Schockstarre zu verharren."
Welche Hürden gibt es, bis ein Künstler in einer Galerie ausstellen kann?
Dr. Helga Wäß: „Das ist eine Frage, die man nicht pauschal beantworten kann. Jeder Galerist hat auch ein Sammlerherz und stellt Kunstwerke aus, die ihm am Herzen liegen. Galeristen gehen in Vorleistung und tragen das volle unternehmerische Risiko, deshalb ist ihre Auswahl sehr, sehr streng. Hierdurch gewinnt der Sammler schließlich auch eine relative Sicherheit. Wenn ein sozusagen beruflicher Sammler einen Künstler ausstellt, dann hat er seine Markttauglichkeit geprüft und für gut befunden. Immerhin ist der Künstler dann am Kunstmarkt präsent und nicht nur in sich und seinem Atelier. Es gibt Künstler, die wahllos durch die Galerien gehen und ihre Werke anbieten. Kann mal klappen! Und ist im Bereich Skulptur immer wieder zu beobachten. Aber in aller Regel sollte ich nach Galerien – auch überregional - suchen, die meine Kunstrichtung haben. Ein Porträtist, der von einer Galerie für Abstrakte Kunst eine Abfuhr erhält, war am falschen Ort."
Dr. Wäß vor Peter Lang in der Galerie Trampler
Foto: Andreas Wäß
Dr. Helga Wäß: „Jene, die mein Forscherherz ansprechen – und das ist sehr lebendig."
Haben Sie nicht Künstler wie Thitz und Tommy Kent entdeckt?
Dr. Helga Wäß: „Nein, Tommy Kent habe ich 2004 durch eine Einladung zu einer Ausstellung kennengelernt. Sie kam damals übrigens von Ihnen, Frau Schwan, und Sie hatten schon häufig über diesen Künstler in den Tageszeitungen und Stadtmagazinen berichtet. Ich kann Künstler gar nicht entdecken – sie oder ihre Werke stehen mir plötzlich gegenüber und fordern mein ‚Kunst-Herz’ zur Zwiesprache heraus. Und wenn man mit den Schöpfern dieser Werke spricht, dann sind ihre versteckten bzw. inneren Aussagen, häufig noch vielschichtiger, als man glaubt. Dann wird es spannend."
Und Thitz?
Dr. Helga Wäß: „Ja, das war ein Abenteuer. Ich war damals in der Münchner Galerie Trost – Fine Art - im traditionellen Kunsthandel für Alte Meister und Klassische Moderne als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Tja, und dann kam Thitz, überzeugte und wurde als erster 'Zeitgenosse' überhaupt von der Galerie Trost auf der Münchner Kunstmesse präsentiert. Heiner und Hannelore Trost traten damit sehr innovativ, ja, geradezu progressiv auf! Der Titel der Ausstellung fiel mir damals spontan ein ‚Thitz. Classic meets New Pop Art’. Der Stand wurde von Heiner Trost zweigeteilt, damit sich die Werke nicht in die Quere kamen, und Durchblicke sorgten für krasse Bildbetrachtungen und neue Sichtweisen. Die Ausstellung war ein voller Erfolg für den Künstler und die Galerie. Altmeistersammler nahmen zu ihrem Brueghel, Kobell, Slevogt oder Liebermann noch schnell einen Thitz mit. Ein älterer Unternehmer – damals längst im Rentenalter – sagte: 'das Gemälde hier kommt nach Hause, und den Thitz, den hänge ich im Besprechungsraum direkt hinter meinen Sitzplatz auf, dann wissen alle, dass ich noch etwas zu sagen habe.' - Es war eine wandfüllende Arbeit, die ich selbst auch gerne erworben hätte. - Fortan gehört Thitz zum Portfolio der Galerie Trost, bekam hier Einzelausstellungen und erfrischte so manchen Messestand im In- und Ausland."
Erkennen Sie die Werke aller bekannten Künstler auf den ersten Blick?
Dr. Helga Wäß: „Der mir bekannten... ja. Nein, kleiner Scherz, man kann nicht alles kennen. Aber ein unbekanntes Werk von einem bekannten Künstler zu sehen, ist immer sehr erkenntnisreich. Künstler entwickeln Handschriften, und diese zu erkennen, ist detaillierte Kleinstarbeit, so dass sich viele Kollegen auf bestimmte Künstler spezialisieren. Im Zweifelsfall kann man sich dann aber an die Kollegen wenden. Die interne Kunstwelt ist eigentlich sehr klein, und man weiß mit der Zeit, wer sich mit welcher Kunst beschäftigt."
Künstler Thitz zeigt seine "Tütenbilder" in der Galerie Trost
Foto: Andreas Wäß
Gibt es eine Kunstrichtung, die Sie gar nicht mögen?
Dr. Helga Wäß: „Mögen ist immer relativ. Wenn ich etwas im Kunstbereich nicht mag, dann denke ich im nächsten Schritt, hoppla – und werde neugierig, was sich dahinter für eine Gedankenwelt, für ein Künstlerherz verbirgt."
Welche Künstler werden Ihrer Meinung nach viel zu sehr hochgejubelt?
Dr. Helga Wäß: „Sie spielen auf die spektakulären Auktionsergebnisse von Zeitgenossen an, die ihre eigenen Werke versteigern lassen. Insofern schon wieder interessant, weil dahinter eine Idee steckt. Vielleicht wollen jene Künstler uns ja vorführen und nur zeigen, wie widersinnig sich die Kunstwerte-Welt verändert hat. Mich erinnerte das Ganze an eine sehr gute Performance. Hier wird der 'arme Poet' ad absurdum geführt."
Was halten Sie davon, wenn Kunst als Anlageobjekt betrachtet wird?
Dr. Helga Wäß: „Sorry, falscher Fuß! Sicher, Kunst kann auch als Anlage genutzt werden, aber um mit ihr zu spekulieren, muss man viel Kenntnis und Geduld haben. Bei guten Altmeistern und manchen Künstlern der Moderne, aber auch bei wenigen Zeitgenossen kann man von 'sicheren Werten' sprechen, sie sind ohne jeden Zweifel weltweit gesucht und so genannte 'BLUE SHIPS' an der Wand. Und die nach 1945 findet sich im Aufwind. Hierzu tragen nicht zuletzt museale Ausstellungen, wie hier in München in der Pinakothek der Moderne oder dem Museum Bandhorst bei. Die Kunstlandschaft wird, wie alles, globaler, das heißt wir finden in den Galerien immer mehr hochkarätige Künstler aus der ganzen Welt vertreten. Als Einsteiger oder bei kleinerem Budget sollte man mit Grafik oder mit zeitgenössischer Fotografie anfangen. Gerade im Bereich der Fotografie sind die Entwicklungen erstaunlich. Aber bitte darauf achten, dass die Werke signiert oder vom Nachlass gestempelt und damit genehmigt sind. Nur ein Original ist ein Original! Was es kostet? Setzen Sie sich selbst ein Limit. Aber sehen sie sich vorher viel an. Und sammeln sie nicht nur im Hinblick auf eine Geldanlage, sondern denken sie daran, dass das Kunstwerk ihr Lebensumfeld bereichern soll."
Sind Sie selbst Kunstsammlerin?
Dr. Helga Wäß: „Nein. Eine logische Sammlung kann ich nicht vorweisen. Ich baue hier und da eigene Sammlungs-Konzepte auf, wandle gedanklich durch diese 'Ausstellungen' und verwerfe sie dann wieder. Aber man kann Kunst immer auch geistig besitzen."
Haben Sie nicht den Wunsch, echte Kunstwerke zu besitzen?
Dr. Helga Wäß: „Doch! Aber eine Sammlung aufzubauen, braucht viel Raum. Hier kann ich Galeristen verstehen. Dennoch: bei mir kommt nur Echtes an die Wand. Keine Poster! - Ausnahme: ein Siebdruck von Andy Warhol, aber nur als Original! - Und ich kann auch Anfängergeschichten erzählen: Eine erste Grafik, die ich während des Studiums sah und beim Galeristen monatlich abstotterte. Dann das Glückgefühl, als sie mein eigen war. Oder das Gefühl, wenn man ein Gemälde in einer Ausstellung sieht und es dann erwirbt. Der Moment der Bildübergabe, dieses warme Glücksgefühl, wenn es schließlich nach Hause getragen wird, und schließlich die Momente, wenn man das Kunstwerk in den eigenen vier Wänden immer wieder betrachten kann, wieder und wieder lächeln muss, weil man sich an dem Motiv nicht sattsehen kann. Ein Original, ist ein … aber das hatten wir schon."
Wie entstehen Kunsttrends?
Dr. Helga Wäß: „Es gibt sie immer wieder und zu jeder Zeit. Mal waren es die Artefakte von Performances, dann sind es Skulpturen undsoweiter. Zeitgenössische Kunst präsentiert halt immer ihre Zeit, und wie in unserem Alltag, so entwickeln sich auch hier sogenannte Trends. Spannend sind dann jene Künstler, die antizyklisch arbeiten und ihre eigene, zeitgenössische Weltsicht zeigen, auf die Trendschiene nicht aufspringen, sondern sich entwickeln, verändern und ausleben."
Thitz, Giovane Elber & seine Frau (rechts), Dr. Helga Wäß in der Galerie Trost
Foto: Dimitri Davies
Jetzt haben wir die ganze Zeit über Kunst gesprochen, aber Sie haben noch eine andere Leidenschaft, Sie schreiben auch Kinderbücher...
Dr. Helga Wäß: „Ja, ich relaxe beim Schreiben und illustriere meine Kinderbücher selbst. Nach drei Abenteuern von „Hetti Hexenfee" für Kinder ab 5 Jahren und 'Das Kabinett der Kobolde' ab 11 Jahren, das von zwei Kobolden handelt, die im Münchner Hotel ‚Bayerischer Hof’ und in den umliegenden Kunsthandlungen ihr Unwesen treiben, habe ich im Mai 2011 mein 14. Originaldrehbuch fertiggestellt. Ich stieg Anfang letzten Jahres gegen Ende der 1. Staffel bei der internationalen TV-Zeichentrickserie „The Magical Toothfairies" ein. Produzent und geistiger Vater der sieben Hauptcharaktere und des Ortes Toothfairy-Town ist Henry Olberg, gezeichnet werden die wichtigsten Gestalten von der Kinderbuchillustratorin Svetlana Loutsa. Die ersten 26 Folgen sind fast fertig produziert. Geplant sind erst einmal 52 Folgen. Ich erfinde die Geschichten zu meinen Zeichentrickfilmen und bin immer ganz begeistert, wenn meine Fantasie auf dem Bildschirm zu laufen beginnt. Das ist schon spannend. Sie können sich denken, wie meine Abende und Wochenenden aussehen. Aber schreiben ist für mich wie lesen, und ich kenne sehr viele Leute, die in ihrer Freizeit sehr viel lesen."
Das klingt nach sehr viel Fantasie.
Dr. Helga Wäß: „Fantasie und Kreativität braucht man in der historischen Forschung, wenn es darum geht, neue 'alte' Bezüge zwischen den Dingen zu sehen und auch mal ungewöhnliche Quellenbezüge herzustellen. Wenn ich alte Urkunden in Mittellatein entziffere und mehr oder weniger bekannte Orte und Namen finde, dann braucht man häufig viel Fantasie, um vom damaligen Namen des 14. Jahrhunderts auf heutige Schreibweisen zu kommen. Die Quellenlage ist dann aber wieder äußerst real zu dokumentieren. Wenn sie die Provenienz eines Altmeistergemäldes recherchieren müssen, ist bei der Suche nach den Quellen ebenfalls viel Fantasie gefragt, dann aber zählt nur die Realität: Alles muss lückenlos nachweisbar sein. Außerdem habe ich in Europäischer Ethnologie 'Die Geschichte der Kindheit und Jugend' zu meinem Steckenpferd gemacht – hier spielte das Kinder- und Jugendbuch schon immer eine große Rolle. Als Kinder- und Jugendbuchtrendscout bin ich seit über zehn Jahren für TV-Produktionsfirmen tätig und da ist es zum eigenen Kinderbuch nicht mehr weit ... Man braucht die Fantasie, aber auch bei der Kunstbetrachtung – wenn Sie den verschlungenen Ausführungen eines Künstlers folgen wollen –, genauso wie im wirklichen Leben und beim Schreiben."