* Eine Altbauwohnung im Kreuzviertel von Münster: In der Küche sitzen Jonas Fastabend und Niklas Keßler, auf einem dritten Stuhl thront ihre Erfindung, auf den ersten Blick ein simpler Karton. Auf den zweiten: die Box2fly. Mit 55 mal 40 mal 20 Zentimetern hat der kastige Kofferersatz aus mehrlagiger Wellpappe maximale Handgepäckmaße und ragt knapp über den Stuhlrücken. Er ist gerade mal 850 Gramm schwer und wiegt damit weniger als die jüngste Generation der Ultraleichtkoffer. Wer die Box als Gepäck benutzt, gewinnt locker ein gutes Kilo für Kleidung und Kulturbeutel; das erlaubte Maximalgewicht von meist acht bis zehn Kilogramm kann er so optimal für Persönliches nutzen. Einziger Schmuck auf der schlichten braunen Außenhaut ist das dreizeilige Branding in weißen Lettern. Das nachgesetzte .com verweist gleichzeitig auf den Netzauftritt mit angeschlossenem Shop, bislang die einzige Bezugsquelle für die Flugboxen.
„Ein Büro haben wir genauso wenig wie ein Lager", sagt Fastabend, der gerade sein Referendariat angetreten hat, um Mathematik und Sozialwissenschaften zu unterrichten. Anfragen und Bestellungen bearbeitet er am Schreibtisch im Zimmer nebenan; im Keller eines Bekannten lagern die gefalteten Boxen. Keßler ist nur zu Besuch in Westfalen, er wohnt in Berlin, wo er nach einem Pädagogik- und Skandinavistik-Studium in einer Agentur arbeitet.
Ein unkompliziertes Handgepäck zu entwickeln, das viel fasst, wenig wiegt und sich jeder leisten kann, darauf brachte die Freunde die Low-Budget-Linie Ryanair. An deren Abflugschalter in Manchester wurde Fastabend auf ein Demo-Modell aus Karton aufmerksam, das die erlaubten Maximalmaße für Freigepäck veranschaulichen sollte. „Nicht nur die irische Fluggesellschaft, auch andere Billigflieger erheben inzwischen eine Gebühr von bis zu 45 Euro pro Gepäckstück, das über Handgepäckmaße und -gewicht hinausgeht. Und zwar pro Flug. Wer es erst am Gate statt online eincheckt, zahlt bei Ryanair sogar deutlich mehr", sagt Keßler.
Bereits einen Monat später stand der erste Prototyp, produziert von einem schwedischen Wellpappenhersteller. Fastabend, der inzwischen für ein Auslandssemester in Schweden studierte, hatte ihn im Netz gefunden. Der Produzent fand das Projekt so spannend, dass er bereit war, kostenlos einige Muster zu fertigen. „Das Modell kam unseren Vorstellungen schon relativ nahe, allerdings entpuppte sich die Griffkonstruktion als recht kniffelig. Einerseits sollte der Griff stabil sein und gut zehn Kilo tragen können; andererseits sollte er keinen Platz wegnehmen, um die Maximalgröße voll ausreizen zu können", sagt Fastabend. Ebenfalls als Problem erwies sich die Frage, ob ein gesteckter oder geklebter Boden mehr Stabilität bieten würde.
Zurück in Deutschland wurde die Lösung gefunden - und ausgiebig auf Reisen getestet. Bestehend aus vier Materialschichten und überall dort verstärkt, wo es möglich und nötig war, lässt sich der Griff nun mit wenigen Handgriffen einklappen. Die Freigepäckmaße werden so exakt eingehalten. Ihre Griffkonstruktion haben die 26- und 27-jährigen Gründer beim Deutschen Patent- und Markenamt schützen lassen.
Das Kapital für die Serienfertigung konnten sie bei der Crowdfunding-Plattform Startnext einwerben. „Unsere eigentliche Feuerprobe", sagt Niklas Keßler. Innerhalb einer Laufzeit von knapp acht Wochen sollten 7500 Euro zusammenkommen - andernfalls hätten die beiden einpacken können. Und auch wollen. „Wir begreifen Crowdfunding nicht nur als Finanzierungshilfe. Die Resonanz zeigt auch, ob ein Produkt marktreif ist." Am Ende wurde die angepeilte Summe sogar um einige Hundert Euro überschritten; 171 Unterstützer halfen dem Projekt auf die Beine und wurden dafür mit dem gesponserten Produkt belohnt. Neben Stanzformen und dem Druckklischee haben Keßler und Fastabend mit dem Geld die Produktion der ersten Charge von 1000 Boxen finanziert.
Verkauft sei die nach knapp einem Jahr noch nicht ganz. Zehn Euro kostet eine Box2Fly, dazu kommen 5,90 Euro Versandgebühren. Ein Euro pro verkaufter Box fließt an Atmosfair, eine gemeinnützige Klimaschutzorganisation. Sie initiiert und unterstützt Energiesparprojekte in Entwicklungsländern, um den CO2-Ausstoß zu kompensieren, der bei Flugreisen anfällt.
Die Boxen werden von einem regionalen Hersteller produziert, die verwendete Wellpappe hat einen Altpapieranteil von mehr als 50 Prozent. Das Pappgepäck kann mehrfach benutzt werden und passt zusammengefaltet problemlos hinter den Schrank oder unters Bett. Selbst Feuchtigkeit ist unproblematisch, weil die oberste Papierschicht einen zuverlässigen Schutz bietet. ---
Kontakt: www.box2fly.com