Rathenow. Dienstagabend kurz nach 18 Uhr in Rathenow, die meisten Geschäfte haben gerade geschlossen. Die Straßen leeren sich, ein paar Kinder spielen noch zwischen den Wasserfontänen auf dem Märkischen Platz und in der Eisbar lassen die letzten Gäste entspannt den Tag ausklingen. Der kleinen Gruppe, die sich wenige Meter weiter, direkt vor dem Kulturzentrum mit Fahnen, Lautsprecher-Anlage und ernsten Gesichtern versammelt, um den Rücktritt der Kanzlerin und die Schließung der Grenzen zu fordern, schenkt kaum jemand Beachtung.
Es scheint, als hätte sich die Stadt an die 14-tägigen Demonstrationen des Bürgerbündnisses Havelland gewöhnt. Die Vereinigung formierte sich im Oktober 2015. Damals suchten Tausende Flüchtlinge in Deutschland Schutz und die Pegida-Demonstrationen in Dresden erreichten ihren Höhepunkt. Noch immer rufen Christian Kaiser, Mitbegründer des Bündnisses, und seine Mitstreiter zu Kundgebungen im Stadtgebiet auf. Allerdings folgen ihnen immer weniger Menschen. Konnten sie im Herbst 2015 bis zu 800 Teilnehmer mobilisieren, sind es nun kaum mehr als 20 die den Reden lauschen.
„Das ist nur Hetze"„Ich nehme das gar nicht mehr war", sagt eine Verkäuferin, die von ihrem Geschäft aus direkt auf den Märkischen Platz schauen kann. Sie findet es wichtig, dass Menschen auf die Straße gehen, wenn sie unzufrieden sind. „Aber was diese Demonstrationen betrifft, da haben doch die meisten schnell gemerkt, dass es nur Hetze ist", so die Frau.
Von Hetze spricht auch der freie Journalist Hardy Krüger, der kaum eine Kundgebung des Bürgerbündnisses Havelland - seit Ende 2016 ein eingetragener Verein - verpasst hat: „In den Redebeiträgen wird zu weilen recht deutlich für die AfD geworben, das Grundgesetz in Frage gestellt und explizit gegen den Islam gehetzt." Auch eine Nähe zur NPD wird immer wieder deutlich und auf der letzten Kundgebung am 20. Juni sprach NPD-Funktionär Richard Miosga. Selbst Sympathisierende des extrem rechten „Bärgida eV" und der „Bürgerbewegung Pro Deutschland" waren schon dabei.
„Dumpfer Rassismus" auf öffentlichen Plätzen RathenowsImmer wieder äußern sich die Redner in aggressivem Ton unsachlich, verunglimpfen und beleidigen bestimmte Personen oder Personengruppen und verbreiten Verschwörungstheorien, auch Reichsbürger-Inhalte werden thematisiert. „Ihr Ziel scheint es zu sein, Ängste zu schüren und Hass hervorzurufen", meint Hardy Krüger. Er spricht auch von „dumpfem Rassismus", der sich beispielsweise zeigt, wenn Vereinskassenwart Wolfgang Hoppe vor Menschen mit dunkler Hautfarbe warnt.
Diese Botschaften scheinen an den meisten Rathenowern inzwischen abzuprallen. „Ich nehme diese Gruppe durchaus noch war. Aber das ist doch ein schlechter Witz. Schade um die Steuergelder, die für den Einsatz der Polizei verschwendet werden", meint der Mitarbeiter eines Geschäfts im City Center.
Bürgerbündnis nicht nur in Rathenow aktivIm Oktober 2015 trat das Bürgerbündnis Havelland erstmals in Erscheinung, um gegen die Asylpolitik der Bundesregierung zu demonstrieren.
Seither versammeln sich die Anhänger alle 14 Tage dienstags auf Rathenower Plätzen.
Zudem nehmen sie an ähnlichen Veranstaltungen im Bundesgebiet teil.
Durch eine „Reichsgründungsfeier" im Januar oder dem revisionistisch geprägten Gedenken an die Bombardierung Dresdens im Februar zieht die Vereinigung rechtes Publikum an.
An einer Versammlung Ende April 2017 beteiligten sich Anhänger der Identitären Bewegung und der neonazistischen „Freien Kräfte".
Von den vielen von Pegida beeinflussten Brandenburger Initiativen führt allein das Bürgerbündnis Havelland noch regelmäßig Versammlungen durch.
Redebeiträge von Versammlung werden online veröffentlicht.
Zuletzt konnten die Bündnisanhänger Anfang März 2016 begleitet von mehreren hundert Polizisten rund 400 Menschen auf die Straße bringen, darunter bekennende Neonazis. Aus dem Bürgerbündnis Havelland sollte das Bürgerbündnis Deutschland werden. Doch der Versuch, die lokale Vereinigung auf nationale Ebene zu heben, misslang. Seither schrumpft die Vereinigung.
Präsenz zeigen einige Mitglieder des Bürgerbündnisses seit geraumer Zeit in der Rathenow Stadtverordnetenversammlung. Christian Kaiser und seine Anhänger nutzen die Einwohnerfragestunde, stellen sich dabei aber häufig selbst bloß. „Sie können sich nicht benehmen, äußern sich diffamierend und zeigen keinen Respekt vor einem demokratisch gewähltem Gremium", sagt der Abgeordnete Jean-Luc Meier (Bündnisgrüne).
„Autonome Nationalisten" sprühen extrem rechte ParolenInzwischen ist aus den Reihen des Bündnisses auch die Ortsgruppe „Autonome Nationalisten" entstanden. Deren Mitglieder hinterlassen immer deutlicher ihre Spuren in der Stadt in Form von neonazistischen und extrem rechten Parolen, die sie an öffentliche Wände sprühen, so Hardy Krüger.
„Auch wenn das Bürgerbündnis zahlenmäßig kaum noch eine Rolle spielt, ist der regelmäßige Transfer von extrem rechten Ideologiefragmenten bedenklich. Insbesondere seit Ende des Jahres 2016 ein deutlicher Rechtsruck erkennbar ist", warnt Hardy Krüger. Er wird weiterhin dabei sein, wenn Christian Kaiser und seine Mitstreiter sich treffen, genau wie die Polizisten, die diese Versammlungen schützen müssen.
Von Christin Schmidt