Hannah Prasuhn

Journalistin, Berlin/München

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Fastest man with no legs - klingt geil, oder?

Europameister, Weltmeister, Weltrekordhalter - und jetzt auch Paralympics-Sieger im Einzelwettbewerb. Johannes Floors, Para-Sprinter, hat seit Freitag eigentlich alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Der Fokus bei den Spielen Tokio lag klar auf den 400 Metern. „Die Zeit war auch geil, wir sind dieses Rennen auf Sieg angegangen", sagte Floors im anschließenden Interview.

Die Runde im Olympiastadion sprintete er in 45,85 Sekunden - Saisonbestleistung. Vorgenommen hatte er sich, seine Bestzeit zu schlagen, vor allem aber schneller zu sein als die anderen, wie er dem Tagesspiegel im Trainingslager in Kienbaum vor den Spielen berichtet hatte.

Es wurde zwar „nur" die schnellste Zeit seiner bisherigen Saison, aber den Titel kann ihm nun keiner mehr nehmen. „Fastest man with no legs - klingt geil, oder?" Floors wurde vom Jäger zum Gejagten, er gilt als einer der begabtesten paralympischen Leichtathleten der Welt.

Und diesen Druck merkte er. „Ich habe mir in die Hose geschissen." Vor dem Wettkampf sei er verschiedene Szenarien mehrfach im Kopf durchgegangen, hat sich Pläne zurechtgelegt, Gedanken über jede mögliche Situation gemacht. „Dann ist das viel mentale Stärke, die positiven Gedanken zu kanalisieren und mit denen dann an den Start zu gehen. Ja, ich glaube, das ist mir ganz gut gelungen."

Johannes Floors hält bei der Siegerehrung seine Goldmedaille hoch. Foto: dpa

Im Ziel wartete bereits seine Trainingspartnerin Irmgard Bensusan vom TSV Bayer 04 Leverkusen auf ihn. Die Deutschlandfahne in der Hand sprang sie ihm in die Arme: „Ich glaube, wir haben da eine richtig gute Truppe", sagt Floors, der über die 100 Meter bereits Bronze gewonnen hatte. Gemeinsam pushen sie sich im harten Training, gönnen sich gegenseitig die Siege, bejubeln zusammen Erfolge.

Ein Sushi-Wettessen krönt die Spiele

Bensusan feierte ihre Silbermedaille über die 100 Meter mit einem Sushi-Wettessen. Gegen David Behre, Sprinter, der nach seinem Auftritt in Tokio nun seine Karriere beendet hat, wird sich die 30-jährige vor dem Rückflug nach Deutschland messen. Floors wird möglicherweise noch als weiterer Starter mit in den Wettbewerb ziehen: „Ich glaube, die brauchen da noch einen Konkurrenten."

Mit einem paralympischen Rekord in ihrer Startklasse T44 sprintete Irmgard Bensusan in 12,89 Sekunden auf den zweiten Platz. Ein weiteres Mal musste sie sich ihrer Kontrahentin aus den Niederlanden, Marlene van Gansewinkel, geschlagen geben. Doch anders als nach ihrem Finallauf über 200 Meter, wirkt Bensusan ausgelassenund schien glücklich mit ihrem Erfolg. „Ich habe mein Bestes gegeben, ich habe gekämpft bis zum Schluss. Das ist Sport, die Konkurrenz war einfach stärker."

Kurz enttäuscht, dann happy: Die zweifache Silbermedaillen-Gewinnerin Irmgard Bensusan (links) neben Marlene van Gansewinkel. Foto: dpa

Nach ihrer Silbermedaille über die 200 Meter war sie nicht zufrieden, in den letzten Jahren hätte sie ihre Konkurrenz schon mehrfach mit einer halben Sekunde Vorsprung geschlagen. Es sei eine Überraschung gewesen, dass es auf der Strecke nicht für Gold gereicht hatte. Denn die 200 Meter seien eigentlich ihre Strecke, sie war „richtig abgefucked". Aber jetzt, auch nach ihrem Erfolg über die 100 Meter, sei sie „happy".

„Ich meine, Silber, das ist das Zweitbeste in der Welt!" Bensusan startete als einzige in der Klasse T44 in einem Feld, in dem alle ihrer Gegnerinnen mit Prothesen laufen. Dass sie da noch vorne mitlaufen kann „ist wirklich phänomenal". So glücklich wie sie über ihre zweite Medaille bei ihren letzten paralympischen Spiele spricht, so sehr freut auch sie sich über den Zusammenhalt ihrer Trainingsgruppe. „Die Jungs liegen so tief in meinem Herzen, ich habe die so lieb."

Der „Candyman" überrascht mit Bronze

Anstelle von Sushi wird es bei Weitspringer und Sprinter Ali Lacin Süßigkeiten geben. „Ich werde richtig cheaten. Ich musste mich drei Wochen hier in Japan zurückhalten, aber morgen wird es auf jeden Fall was Ordentliches zu essen geben."

Um sich dem Leistungssport mit Leib und Seele widmen zu können, übergab er das Süßwarengeschäft in Berlin an seinen Bruder, welches sie zuvor gemeinsam geführt hatten. Doch die Entbehrung wurde belohnt: in 24,64 Sekunden, Saisonbestleistung, sprintete er über 200 Meter zur Bronzemedaille. „Ja, cool, abgeschlossen, mit einer Medaille nach Hause geflogen." Noch außer Atem spricht Lacin von seiner Vorbereitung auf das Rennen: „Es war ein Mischmasch der Gefühle. Entweder wird es top oder flop. Ich konnte das gar nicht einschätzen."

Mit einem Blick auf die Bestenlisten im Vorfeld, hatte sich der Berliner Athlet Hoffnungen auf Silber gemacht, sei aber zu schwach gestartet. Für die Zukunft sieht er definitiv noch Potential im Weitsprung. Der Doppelstarter sprang bei seinem Paralympics-Debüt nur auf den fünften Platz.

Bronzemedaillen-Gewinner Ali Lacin (l-r) aus Deutschland neben Richard Whitehead aus Großbritannien und Ntando Mahlangu aus... Foto: dpa

Lacin, der erst 2016 seinen ersten Auftritt im Nationaltrikot bei der Europameisterschaft hatte (Platz 5 über 200 Meter), merkte jetzt, dass „ich bei den 200 oben mitmischen kann". Jahrelang hatte er als Jugendlicher mit seiner Behinderung zu kämpfen, litt unter Depressionen und „war der größte Pessimist", wie er dem Deutschen Behindertensportbund im Interview während des Pre-Camps in Miyazaki berichtete. Als er später die Prothesen gegen einen Rollstuhl tauschen musste, merkte er, dass er seine Einstellung ändern muss. Der Sport kam wieder in sein Leben - und das Selbstbewusstsein gleich mit. Mit diesem Gefühl und dem Wissen, dabei sein zu können, Ziele zu erreichen und Hürden überwinden zu können, will er jetzt motiviert in die nächste Saison starten.

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.

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