Die Metal-Band Mantar hat es satt. Im August dieses Jahres wendet sich das Bremer Duo an seine Fans. "Die Leute sehen volle Stadien bei Rammstein, eine gut gelaunte Menschenmasse beim lokalen Ärztekonzert", schreiben sie auf Instagram, "Das ist jedoch leider nicht das, was wir erleben." Die Band musste 2022 einige Konzerte ihrer neuen Album-Tour verschieben, manche ganz absagen. Der Post erhielt 3339 Likes.
Harte Zeiten für Musikbands
Mantar ist nur ein Beispiel für viele kleine und mittelgroße Bands, die in dieser krisengebeutelten Zeit keine Tickets mehr verkaufen können. Doch was die Zuhörerschaft begehrt, ist nicht ganz klar: Das Kulturzentrum Schlachthof musste im Oktober sogar ein Konzert von Tocotronic absagen. "Im Schnitt läuft eine Veranstaltung im Monat so gut, dass sie ausverkauft ist, und häufig läuft dann eine so schlecht, dass sie abgesagt werden muss", sagt Elena Tüting, Pressesprecherin des Schlachthofs. Ein Muster lasse sich aber erkennen: Die Menschen meiden ruhige und schwere Themen. Stattdessen wollen sie "den Kopf ausschalten und die Sau rauslassen".
Als während der Pandemie alle Kulturhäuser abrupt schließen mussten, machten es sich viele Menschen notgedrungen zu Hause bequem. Filme schauen, digitaler Spieleabend oder ein im Netz übertragendes Livekonzert. All das war nur ein Ersatz. Dann öffneten sich die Tore wieder, doch der erhoffte Ansturm blieb aus – zumindest in der Konzertbranche. Aber auch viele Kinos und Theater kämpfen um jeden Platz. Weniger sorgenreich äußern sich dagegen die Museen. Äußerst schwierig ist es für kleinere Theater und Musikklubs, die auf Einnahmen durch Eintrittsgelder und Gastronomie angewiesen sind.
Epidemie der Trägheit
Die Corona-Pandemie war nur der Anfang einer Krisendauerschleife, die nicht spurlos an den Menschen vorbeigeht. In einer französischen Studie mit dem Titel "Epidemie der Trägheit" gaben 30 Prozent der Befragten an, dass sie generell weniger motiviert sind, als vor dem Corona-Jahr 2020. Mehr als ein Drittel macht es sich demnach am Wochenende lieber mit gutem Essen vor dem Fernseher bequem, als mit Freunden auszugehen. „Der Ruf des Sofas scheint sehr stark zu sein“, heißt es in der Studie.
Eine nicht repräsentative Online-Umfrage des WESER-KURIER zeichnet ein ähnliches Bild. Viele Teilnehmer geben an, dass sie vor Corona rund einmal die Woche eine Kulturveranstaltung besucht haben, in der anhaltenden Krisenzeit ist das oftmals nur noch einmal im Monat oder sogar nur halbjährlich der Fall. Als Gründe werden ein voller Terminkalender und weiterhin die Angst vor Ansteckung genannt. Nur einige wenige sagten, dass es zu Hause gemütlicher sei. Die allermeisten wiederum füllen ihre Freizeit mit Filmeschauen auf Netflix und Disney Plus.
Auch Michael Börgerding, Intendant des Bremer Theaters, hat mittlerweile zwei Streaming-Anbieter abonniert. Er kennt Opern-Liebhaber, die ihr Wohnzimmer mit modernen Musikanlagen ausgerüstet haben und sich über zwei Tage verteilt einen Opernzyklus anschauen. "Da alles so zugänglich ist, ist es schon schwer, im Opernhaus mitzuhalten", sagt Börgerding.
Soziales Miteinander im Theater
Und dann gibt es Erlebnisse und Gefühle, die in den eigenen vier Wänden nicht entstehen können. Ein jubelndes Publikum oder eine ausgebuhte Performance. Kurzum: Eine Menschenmenge die Stimmung erzeugt. "Theater ist eine Einmalerfindung in der Welt und wird auch nicht mehr verschwinden", meint Börgerding. Viele Menschen würden jetzt, wo sie wieder ohne Maske eng beisammen säßen, mitbekommen, dass das Theatererlebnis etwas mit anderen zu tun habe.
Im Herbst habe es einen Umschwung gegeben. "Wir sind mit den Zuschauerzahlen deutlich über dem Plan", sagt der Intendant. Das Musical "Hello Dolly" sei regelmäßig ausverkauft. Schwerer habe es dagegen das russische Kriegsdrama "Leben und Schicksal". "Es gibt eine Sehnsucht, dass wenn ich schon gehe, dann lass ich mich lieber unterhalten als ein Problemstück anzugucken." Dieses Verlangen scheint überall gleich zu sein. Und das Kino? Die Erneuerung ist eben der hochauflösende Fernseher samt Streamingdienst, meinen zynische Zungen.
Kino für die Jugend
Ja, es ist dramatisch, sagt der Leiter des Cinema Ostertor, Thomas Settje. "60 Prozent weniger Besucher als vor Corona." Das deckt sich mit Angaben des Statistischen Bundesamt, das von einem Minus von 68 Prozent im ersten Pandemiejahr ausgeht. Das Medium Film an sich ist jedoch nicht tot. Es ist der Ort als solcher. "Die Unterhaltung zu Hause, die auch Nachbarn und Freunde zusammenbringt, ersetzt das Gemeinschaftserlebnis im Kino", meint Settje. Dabei hafte dem Kino mehr an: "Man geht ins Kino, um eine andere Wahrnehmung zu erleben und die mit anderen Menschen zu teilen." Und wie kann dieses Alleinstellungsmerkmal zukunftsfähig werden?
Der kürzlich erschienene Nachfolger von "Avatar", dem erfolgreichsten Science-Fiction-Film aller Zeiten, zeigt, dass sich auch Filme technisch weiterentwickeln. Das reicht jedoch nicht, meint Settje. "Das ist eine grandiose Optik, aber die Geschichte ist total dünn." Erneuerung müsse vielmehr auf anderen Ebenen stattfinden. Settje setzt auf die Jugend. "Sie prägt unsere zukünftige Gesellschaft." Schulkinowochen und ein vom Bund finanzierter Kulturpass seien ein Anfang. In der Tat hat der Bundestag 100 Millionen Euro locker gemacht, um Jugendlichen einen 200-Euro-Kulturbonus auszuzahlen. Alle, die im kommenden Jahr 18 Jahre alt werden, sollen das Guthaben online gegen Konzert-, Theater- ,Kino- und Museumskarten einlösen können. Mehr ist noch nicht bekannt.
Überlebenskünstler Museum
Beständiger scheinen hingegen die großen staatlich geförderten Museen zu sein. Bereits zum dritten Mal besucht eine pensionierte Lehrerin die "Sunset"-Ausstellung in der Kunsthalle Bremen. "Für mich hat es etwas Beruhigendes. Ich werde vom Alltäglichen abgelenkt, indem ich mich auf den Künstler einlasse", sagt sie. Hier komme sie ins "Denken und Fühlen". Gleichzeitig wisse sie um ihre Privilegien, sich den Museumsbesuch leisten und vor allem friedlich leben zu können.
Die Kunsthalle Bremen aber auch das Übersee-Museum verzeichnen steigende Besucherzahlen. "Wir bemerken einen ganz großen Bedarf, rauszukommen und Gemeinschaftserlebnisse zu haben", sagt die Direktorin des Übersee-Museums, Wiebke Ahrndt. Veränderungen seien dennoch spürbar. "Man entscheidet sich eher für individuelle Besuche als für die Teilnahme an Gruppenführungen", sagt der Geschäftsführer der Kunsthalle Stefan Schnier. Mehr Spontanität führe zu weniger Vorverkauf und damit zu weniger Planbarkeit.
Innovation und Zuversicht
Die Veränderungen bringen Lerneffekte mit sich. "Wir haben den ersten Lockdown zum Anlass genommen, uns komplett zu hinterfragen und ein Zukunftskonzept zu entwickeln", sagt Ahrndt. Eine günstige Jahreskarte soll ebenso die Schwelle senken wie die Neugestaltung des Lichthofes, wo mancherorts auch das Picknick ausgepackt werden könne. Mit Menschen im Südpazifik können sich Besucher mittlerweile digital direkt verbinden. Die Kunsthalle Bremen bietet neuerdings digitale Führungen und eine Live-Gesprächsreihe mit Bremer Prominenten auf Instagram an. Das Kulturzentrum Schlachthof hat in diesem Jahr ein Kindertheaterfestival veranstaltet, das mit rund 166 Besuchern großen Zuspruch erhielt, so Pressesprecherin Tüting.
Am Ende steht auch die Frage: Für wen öffnet man sich? "Es passt nicht in unser Selbstverständnis, nach dem Kommerz zu gehen", sagt Tüting, "Wir wollen das machen, was wir für gesellschaftlich und künstlerisch relevant halten." Zum Beispiel diversere Künstlerinnen auf die Bühne holen. Auch das Theater Bremen macht sich Gedanken, inwiefern es die Sehnsucht der Menschen erfüllen kann. "Wir machen beides", sagt Börgerding. Nur weil ein Musical gut laufe, werde nicht direkt wieder eines gemacht. "Wir denken etwas länger darüber nach. Ich finde es wichtig, unter der Welle durchzutauchen. Man wird verrückt, wenn man mit jeder Welle mitschwimmt."
So ein Satz geht privat organisierten Einrichtungen wie dem Theaterschiff Bremen oder dem Boulevardtheater, die in der Regel keine staatliche Förderung erhalten, vermutlich nicht so leicht über die Lippen. Um sich Zeit für kreative Projekte nehmen zu können, dürfen die Geldsorgen nicht erdrückend sein. Sie brauchen vor allem Sichtbarkeit und Förderung.
Mehr Sichtbarkeit für die Kleinkunst
Gerade die Kleinkunst setzt auf Innovation und Experimente. Der Audiowalk "Shaking Hands with Ghosts", der die Geschichte der Weser Werft interaktiv aufbereitet und die szenische Lesung "Aus den Akten auf die Bühne" in der Shakespeare Company sind Beispiele für moderne Kulturformate, die in den vergangenen zwei Jahren restlos ausverkauft waren. Auch das Improvisationstheater AMS! hat sich, nachdem es seinen Proberaum in den Pusdorf Studios verloren hat, nicht entmutigen lassen und ein Ladenlokal mitten in der Neustadt angemietet. Der kleine Raum ist immer gut besucht. "Die Schauspieler bringen lokale und persönliche Themen auf die Bühne, darin erkennt sich das Publikum wieder", sagt Tobias Sailer vom AMS!-Theater. Lokale Themen scheinen bei Bremern und Bremerinnen wieder eine kulturelle Neugier, zu wecken. Tüting bezeichnet die Krise auch als "Katalysator für Entwicklungen, die vorher schon da waren". Und am Ende ist es ein Satz, der zählt: "Wir können ja nicht völlig den Optimismus verlieren, da kann man ja gleich aufgeben."
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