Die Virusvariante Omikron lässt die Infektionszahlen explodieren. Während am Arbeitsplatz noch die Homeoffice-Pflicht gilt, sind die Schulen weiterhin für den Präsenzunterricht geöffnet. Sie gelten aktuell als Corona-Hotspots. In Berlin, Brandenburg und Hessen wurde die Präsenzpflicht wieder ausgesetzt. Erst vor einigen Tagen sorgte der Protestbrief von mehr als 100 Schülervertretern und -vertreterinnen unter dem Motto #wirwerdenlaut deutschlandweit für Wirbel. Wie fühlt es sich an, aktuell die Schule zu besuchen? Die WÜMME ZEITUNG hat fünf Schülerinnen und Schüler von der Integrierten Gesamtschule (IGS) und vom Gymnasium in Lilienthal dazu befragt. Ein Protokoll.
Hannah Krug
"In der Schule fühle ich mich sehr sicher"
Marc Stößel, 19, ist Schulsprecher der IGS Lilienthal. Seine Leistungskurse sind Chemie, Physik und Mathematik.
"Das Abitur ist sehr anstrengend. Unser Jahrgang hat das Glück, dass das Kultusministerium sehr viel Stoff gekürzt hat und nicht alle Inhalte in den Abiturprüfungen vorkommen werden. Wir leiden schon unter dem Druck, aber wir wollen trotzdem weiter in die Schule gehen und unser Abitur durchziehen. Distanzunterricht ist in der Oberstufe nicht sehr vorteilhaft. Erst im Präsenzunterricht erhalten wir eine wichtige Nähe zum Lehrer. Wir können schnell die Hand heben und nach Hilfe fragen. Beim Homeschooling kommt es immer wieder zu technischen Problemen und es können schnell einmal 20 Minuten von der Unterrichtseinheit wegfallen. In der Schule fühle ich mich sehr sicher, auch weil ich weiß, dass alle, die nicht geboostert sind, sich jeden Tag testen lassen müssen. Ich selbst bin geimpft, weil ich mir gedacht habe: Der Schutz der anderen geht vor mein Eigenwohl. Ich wohne in einer Wohngruppe zusammen mit Leuten, die auch Vorerkrankungen haben und ich möchte diese Leute gerne schützen. In unserem Jahrgang versuchen wir alles Mögliche, um die Gemeinschaft zu stärken. Wir hängen uns richtig rein, einen Abiball und eine Abifahrt zu organisieren. Anfang Juni soll es nach Lloret de Mar in Spanien gehen und wir haben natürlich auch an einen Coronarückreiseschutz gedacht. Ich wünsche mir für den Jahrgang und mich, dass das alles klappt."
Hannah Krug
"Ich habe gar nicht mehr das Gefühl, dass es Normalität noch gibt"
Jana Losereit, 17, ist Sprecherin des elften Jahrgangs am Gymnasium Lilienthal.
"Ich freue mich total, dass die Schule wieder offen ist. Die Interaktion mit anderen Schülern und Schülerinnen hat mir am meisten gefehlt. In meinem Freundeskreis gibt es auch einige Menschen mit mentalen Problemen. Ich denke, das ist mit Corona zum ersten Mal aufgetaucht, aber vermutlich war es vorher schon da. Die plötzliche Isolation, von allen getrennt sein und nur mit sich selber beschäftigt zu sein, hat bei vielen Folgen hinterlassen. Das reicht von der Essstörung bis zur Depression – da ist alles mit dabei. Präsenzunterricht ist ein kleiner Ausgleich, weil man rauskommt. Mir selbst gibt das auch wieder ein Zeitgefühl. Während des Lockdowns wusste ich manchmal nicht, welcher Tag es ist. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Menschen impfen lassen, gerade wenn das Angebot besteht. Wir sind nicht besonders schutzbedürftige Menschen, aber es fallen schon viele Sachen weg, die man in der Jugend erlebt. Wenn sich alle Menschen impfen lassen, die es können, dann wären wir vielleicht auch irgendwann mal durch damit. Ich habe gar nicht mehr das Gefühl, dass es Normalität noch gibt. Ich meine damit, dass mein Verständnis von Normalität gar nicht mehr das ist, was vor Corona mal als normal galt. Das war vor zwei Jahren und in zwei Jahren mache ich hoffentlich mein Abitur. Und dann war die ganze Zeit Corona?"
Hannah Krug
"Es ist sehr frustrierend, dass das jetzt immer so weiter geht"
Jonathan Kaufmann, 16, ist Schulsprecher im Gymnasium Lilienthal.
"Ich finde es schade, dass so viele Veranstaltungen immer noch abgesagt werden. Vor Corona haben wir immer eine Benefiz-Weihnachtsfeier, einen Open-Stage-Abend oder Konzerte organisiert. So langsam müssten wir mal wieder an den Punkt kommen, dass solche Events wieder stattfinden dürfen. Es wird immer gesagt: Ihr habt noch so viel Zeit und könnt das ja später noch machen. Ihr verliert doch nur zwei bis drei Jahre. Als der Impfstoff kam, haben wir auch gedacht: Jetzt ist es vorbei, aber das war es dann aber nicht. Es ist sehr frustrierend, dass das jetzt immer so weiter geht. In der Oberstufe haben wir eine sehr hohe Impfquote, deswegen gibt es bei uns kaum Quarantänefälle. Aber meistens bekommen wir es gar nicht mehr mit, wenn jemand Corona hat. Manche Personen sind in Quarantäne, aber nicht alle erzählen, ob sie Corona hatten. Die Fallzahlen sind so hoch. Mir scheint es so, dass es nicht mehr verwerflich ist, wenn jemand Corona hat. Es ist eine Krankheit und man kann sich schützen. Ich habe jetzt keine Panik mehr. An unserer Schule haben wir einen Freiraum, wie wir uns schützen wollen: Welche Maske oder welchen Abstand – das können wir selbst bestimmen. Am Anfang von Corona wurden die Schulen geschlossen, um alle zu schützen. Aber jetzt ist es so, wenn wir die Schulen zu machen, müssen wir auch daran denken, dass das soziale Folgen haben kann. Ich bin froh, dass unser Schulvorstand beschlossen hat, eine junge Psychologin einzustellen, an die wir uns bei Problemen wenden können."
Hannah Krug
"Ehrlich gesagt, habe ich meine Winterjacke nie abgelegt"
Ndira Djamaludin, 19, ist im Abi-Organisations-Team und hat die Leistungskurse Kunst, Deutsch und Englisch belegt.
"Ich persönlich bin sehr gut mit dem Distanzunterricht klar gekommen. Es war sehr entspannt, dass ich mir alles selber einteilen konnte. Ich habe es nicht vermisst, mich jeden Morgen stressen zu müssen, um zur Schule zu fahren. Aber ich weiß auch, dass das für viele andere eine große Herausforderung war. An das Masketragen habe ich mich gewöhnt, weil das ja überall so ist. Das einzige, was mich stört, ist das Lüften. Zurzeit ist es noch sehr kalt und mir wird auch immer schnell kalt. Es ist halt doof, wenn ich meine Jacke die ganze Zeit anziehen und ausziehen muss. Am Anfang hatten wir die Lüftungsordnung: 20 Minuten Unterricht – fünf Minuten Lüften – 20 Minuten Unterricht und dann in der Fünf-Minuten-Pause wieder Lüften. Die wird nicht mehr ganz so gut eingehalten, weil wir jetzt eine Lüftungsampel haben. Wenn der Wert 1000 überschritten ist, reißen wir das Fenster auf. Ehrlich gesagt, habe ich meine Winterjacke nie abgelegt. Gerade wird versucht, alles offen zu halten, was geht. Das hat meiner Meinung nach nur wirtschaftliche Gründe und da wird nicht spezifisch an uns Schüler und Schülerinnen gedacht. Die Regierung hat mehr den Gedanken: Was machen wir, wenn die Wirtschaft zusammenbricht? Ich würde mir wünschen, dass wir mehr gefragt werden, wie es uns geht. Die Regierung sollte auch fragen: Was machen wir, wenn die Jugendlichen alle Depressionen haben?"
Hannah Krug
"Vor den Abiturprüfungen sollte ich kein Corona mehr bekommen"
Henri Simanek, 18, arbeitet neben der Schule in einem Obstladen und hat die Abiturfächer Mathematik, Biologie und Chemie gewählt.
"Vor den Abiturprüfungen sollte ich kein Corona mehr bekommen. Ich arbeite nebenbei in einem kleinen Obstladen und da habe ich mir jetzt zwei Wochen vor den Abiprüfungen Urlaub eingetragen, damit ich auf der Arbeit nicht mehr mit so vielen Menschen in Kontakt komme. Ansonsten werde ich gucken, dass ich vor der Abizeit etwas zurückfahre. Normalerweise habe ich keine große Angst mich anzustecken. Trotzdem hat eine gute Freundin von mir vor Kurzem eine schwere Corona-Infektion durchgemacht. Das war dann doch ein Schockmoment, weil das wohl heftig war. In der Schule ändern sich auch regelmäßig die Bestimmungen, was man darf und was nicht. Es gab zum Beispiel die Regelung: Wenn innerhalb deiner Kohorte (Die Schüler eines Jahrgangs bilden eine Kohorte und sollten sich nur in diesem Kreis während der Schulzeit aufhalten, die Red.) ein Corona-Fall auftritt, dann musst du dich – egal ob du geimpft bist oder nicht – fünf Tage lang testen lassen. Einen Tag bevor die Regel eingeführt wurde, gab es in unserer Kohorte einen positiven Schnelltest. Wir haben nachgefragt, ob wir uns jetzt alle testen müssen und es hieß: Nein, müsst ihr nicht, weil der Fall einen Tag vor Einführung der Regel aufgetreten ist. Wäre das einen Tag später passiert, hätten wir uns alle testen lassen müssen."
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