Hannah Krug

Multimedia Journalistin, Basel

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Artikel

Vom Umgang mit dem Hass

Landkreis Osterholz. Der Weg zu den Rathäusern der Gemeinden ist in der Regel kurz. Diese räumliche Nähe ist in den vergangenen Jahren zu einer unverkennbaren Gefahr für Lokalpolitiker geworden. Themen, die polarisieren, wie die Unterbringung von Geflüchteten oder die aktuellen Corona-Maßnahmen, heizen die Debatten an und motivieren manch eine Person dazu, ihren Unmut über politische Entscheidungen am nächsten erreichbaren Funktionsträger auszulassen. Nur in Einzelfällen mündet dies in einer Katastrophe – der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019 verdeutlicht aber, welcher Gefahr lokale Amtsträgerinnen und Amtsträger generell ausgesetzt sind.

Der Angriffsweg im Internet ist noch kürzer. Hier braucht es nur einen Klick und schon landet eine hasserfüllte Botschaft im Postfach. Die dynamische Kommunikation in sozialen Netzwerken und die Anonymität im Netz lassen die Hemmschwelle für Beleidigungen und Drohungen sinken. Auch einfache Bürgermeisterinnen und Bürgermeister bekommen das zu spüren.

In einer Befragung des Forsa-Instituts im Auftrag der Körber-Stiftung aus dem vergangenen Jahr gaben 57 Prozent der befragten Bürgermeister und Bürgermeisterinnen an, dass sie oder Personen aus ihrem privaten Umfeld aufgrund ihrer Tätigkeit schon einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden sind. 61 Prozent der Befragten wussten zudem von Angriffen gegen Mitarbeitende der Verwaltung oder Ratsmitglieder zu berichten. Aber nur ein Drittel hat bereits einmal Anzeige erstattet. Knapp die Hälfte will derlei Vorfälle in Zukunft der Polizei melden.

Diskussion nicht anfachen

Der Farbanschlag auf das Haus des Bürgermeisters Stefan Schwenke in Worpswede am vorvergangenen Sonnabend zeigt, dass auch im Landkreis Osterholz Kommunalpolitiker Opfer von Hass-Angriffen werden können. Dabei gehören heftige verbale Angriffe im Netz normalerweise nicht zu seinem Arbeitsalltag, sagt Schwenke: „Hass-Posts sind hier relativ verhalten“, sagt er. Ihm sei bewusst, dass der eine oder andere Kommentar im Netz „nicht besonders schön ist“. Und auch in der im Zuge der sogenannten Corona-Spaziergänge größer gewordenen Telegram-Gruppe tauche öfter sein Name auf. Aber er und sein Team beriefen sich bisher darauf, solche Diskussionen nicht weiter anfachen zu wollen.

Strategien und Vorgehensweisen, wie man am besten mit solchen Attacken umgehe, würden in Seminaren besprochen, die vom niedersächsischen Städte- und Gemeindebund regelmäßig angeboten würden. Auch gebe es so einen Raum, in dem sich von Gewalt betroffene Amtsträger und -trägerinnen austauschen könnten.

Schärfere Töne

Stefan Schwenke ist keineswegs allein, auch andernorts steigt der Druck: „Der Ton verschärft sich“, meint zum Beispiel auch Jürgen Weinert, Fachbereichsleiter im Rathaus Lilienthal. Er kommt direkt auf das gesamtgesellschaftliche Problem zu sprechen: „Ein freundlicher Umgang miteinander ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich.“

Dabei verfolge die Gemeinde die Kommentarspalten in den sozialen Netzwerken gar nicht weiter. Nur ganz selten werde man von Dritten über problematische Aussagen informiert. Falls diese strafrechtlich relevant wären, würde der Gemeindevorstand allerdings sofort Strafanzeige erstatten. „Als Dienststelle stellen wir uns vor unsere Mitarbeiter“, sagt Weinert und er sagt das nicht ohne Grund. Als eine Mitarbeiterin der Lilienthaler Verwaltung in der Vergangenheit im persönlichen Gespräch bedroht wurde, hätte man sofort die Polizei informiert. Es folgte eine Schulung in Deeskalation und Verteidigung am Arbeitsplatz. Die Büros im Rathaus in Lilienthal seien mittlerweile mit einem Alarmsystem ausgestattet und so eingerichtet, das andere Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter schnell zur Hilfe herbeieilen können.

Interner Austausch

Nicht alle Gemeinden können regelmäßige oder grenzüberschreitende Bedrohungen bestätigen. Laut Stefan Ritthaler, Allgemeiner Vertreter der Bürgermeisterin der Gemeinde Grasberg, sind solche Angriffe bisher an seinen Leuten im Rathaus an der Speckmannstraße vorbeigegangen. „Man kennt sich hier“, fügt er hinzu. Er erinnert sich aber an einen Vorfall, bei dem eine Mitarbeiterin bei Facebook einmal persönlich beleidigt worden sei. In solchen Situationen tausche man sich intern darüber aus; in den Chats im Internet wolle man jedoch keine neue Dynamik erzeugen, der sich womöglich andere anschließen.

Auch Oliver Moje wurde bislang in Ruhe gelassen: In den zweieinhalb Monaten Amtszeit seien ihm keine Anfeindungen begegnet, sagt der Mann, der seit November als Samtgemeindebürgermeister in Tarmstedt tätig ist. Er erwähnt allerdings den Wahlkampf, bei dem es doch einen Fall gegeben hätte. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe sei über ein lokalpolitisches Thema diskutiert worden, hin und wieder sei dann auch ein „unsachlicher Kommentar“ gefallen. Auf Nachfrage sagt Moje: „So etwas wie ,Messer im Rücken‘.“ Als Morddrohung möchte er das jedoch nicht deklarieren. Bei solchen Debatten verfahre er in der Regel so, dass er darauf hinweise, sachlich zu bleiben. „Wenn das nicht möglich ist, muss man das ignorieren.“


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