Wer als Frau Politik macht, muss mit Hass rechnen. 21 Politikerinnen über Dickpics, Morddrohungen, Beleidigungen - und wie sie damit umgehen
Im Bundestagswahlkampf wird Frauenfeindlichkeit besonders sichtbar: gefälschte Nacktfotos der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, bösartige Kommentare zum Körper ihrer Parteikollegin Ricarda Lang nach einem Talkshowauftritt oder sexistische Beleidigungen gegen die SPD-Politikerin Franziska Giffey, nachdem sie ihren Doktortitel aberkannt bekam.
Dieser Sexismus ist nicht neu. Und er beeinflusst nicht nur die Arbeit von Spitzenpolitikerinnen, sondern von Abgeordneten und Kandidatinnen. Wer sich heute als junge Frau dafür entscheidet, politisch aktiv zu sein, muss nicht nur mit Vergewaltigungsfantasien rechnen. Da sind auch übergriffige Komplimente älterer Parteimitglieder oder ungebetene Einladungen zum Abendessen.
Wir haben mit 21 Politikerinnen über ihre Erfahrungen gesprochen und wie sie damit umgehen.
Wiebke Winter, 25, CDU, ist Mitglied im Bundesvorstand und kandidiert in Bremen und Bremerhaven für den Bundestag.
"Vor zwei Jahren gab es bei YouTube eine Abstimmung unter einem Video: Würdet ihr Geschlechtsverkehr mit Wiebke Winter haben wollen oder nicht? Ich hatte mich öffentlich gegen die Legalisierung von Cannabis ausgesprochen, ein YouTuber hat darauf reagiert, seine Fans sind ausgerastet. Ich bekam Morddrohungen, habe mich ohnmächtig gefühlt und konnte kaum schlafen zu der Zeit. Meine Familie und die Bremer Polizei haben mir geholfen, klarzukommen, ich habe auch mit jemandem von der Beratungsstelle Weisser Ring darüber gesprochen.
Seitdem bin ich ziemlich abgestumpft. Nachrichten bei Instagram filtert ein Freund für mich, ich lese und beantworte nur noch inhaltliche Fragen und Kommentare. Und ich habe eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, die Anwalts- und Prozesskosten deckt, wenn ich zum Beispiel gegen Morddrohungen vorgehe. Polizisten und Justizbeamte müssen für solche Fälle geschult werden. Es macht dich fertig, wenn du im Gericht sitzt, und die eigentlich gar nicht richtig wissen, was Onlinestalking ist und bedeutet."
Sarah-Lee Heinrich, 20, Bündnis 90/Die Grünen, ist im Bundesvorstand der Grünen Jugend.
"Ich war gerade 18, als mir Menschen schrieben, ich solle vergast werden. In einem Onlineformat des ZDF hatte ich über Rassismus gesprochen, viele Rechte von der AfD oder der Identitären Bewegung teilten den Ausschnitt. Und dann kamen die Morddrohungen. Ich hatte so eine Angst, dass ich meine private Adresse sperren ließ. Die Meldebehörden dürfen die sonst an jeden herausgeben, der sie wissen will.
Der Hass, den ich bis heute abkriege, ist oft beides: sexistisch und rassistisch. Rechte sind extrem gut darin geworden, auf junge, engagierte Frauen loszugehen und sie mundtot zu machen. Bei mir hat das anfangs funktioniert: Ich habe mich online erst mal zurückgezogen. Frauen wie Ricarda Lang haben mir beigebracht, dass es auch befreiend sein kann, den Hass öffentlich zu machen. Und trotzdem: Wenn ich sehe, wie sie und andere öffentlich komplett fertiggemacht werden, macht mir das Angst."
Amina Kanew, 22, Die Linke, ist Stadtvertreterin in Neubrandenburg und kandidiert für den Bundestag.
"Vor zwei Jahren trat ich bei der Kommunalwahl in Neubrandenburg an und war zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Ich war, wie meistens, die einzige Frau. Ich trug, wie meistens, ein T-Shirt mit einer politischen Botschaft: Kein Mensch ist illegal. Bevor es losging, kam der CDU-Kandidat zu mir und meinte: 'Sie tragen das Shirt mit dem Spruch drauf doch nur, damit man Ihnen auf die Brüste schaut.' Ich war sprachlos. Ich bin in der Politik, weil ich etwas zu sagen habe, nicht, um meinen Körper kommentieren zu lassen.
Ich erlebe immer wieder ähnlich absurde und abwertende Kommentare. Ständig soll ich mich dafür rechtfertigen oder werde direkt dafür beleidigt, dass ich eine Frau bin, noch dazu links, sehr jung und die Tochter eines Mannes, der aus Ägypten geflohen ist. Auf Social Media schreiben mir Männer, man sollte mich mit einem Bügeleisen bewerfen oder gleich begraben. Bei einer Demo vor einem Jahr haben mich Neonazis getreten.
Natürlich fühle ich mich manchmal eingeschüchtert. Aber jeder Blick und jede Hassnachricht bestärken mich, weiterzumachen, weil das zeigt, wie viel in Deutschland noch zu tun ist und wie wichtig es ist, Verantwortung dafür zu übernehmen. Viele Frauen schreiben mir auf Instagram, wie gut und wichtig sie meine Arbeit finden. Das gibt mir Kraft."
Anna Peters, 25, Bündnis 90/Die Grünen, ist Bundessprecherin der Grünen Jugend.
"Will ich mich diesem Hass wirklich aussetzen? Das war die größte Frage für mich, als ich vor zwei Jahren überlegte, ein Amt in der Grünen Jugend zu übernehmen. Ich habe mich dafür entschieden - und das Gefühl, dass der Sexismus seitdem noch zugenommen hat, vor allem im Netz. Ich bekomme immer wieder anzügliche und ekelhafte Nachrichten, Vergewaltigungsfantasien. Das verändert deine Gedanken: Welche Bilder lade ich auf Social Media hoch? Kann man in dem Post erahnen, wo ich wohne?
Vielen Politikerinnen in meinem Umfeld, egal welcher Partei, geht es genauso. Das gibt mir das Gefühl, nicht allein zu sein. Und es motiviert mich, was gegen den Hass zu tun. Wir sollten es nicht privaten Plattformen überlassen, was auf welcher Grundlage gelöscht wird. Das muss die Politik regeln."
Bela Bach, 30, SPD, ist die aktuell jüngste Abgeordnete im Bundestag. Sie vertritt den Landkreis München.
"Ich habe mich als Frau nie so benachteiligt gefühlt wie im Deutschen Bundestag. Mir ist schon klar: Überall, wo es Macht zu verteilen gibt, gibt es Sexismus. In den ersten Wochen war ich trotzdem schockiert. Wenn ich mit Kollegen sprach, wurden meine Argumente manchmal übergangen. Wies ich darauf hin, dass ein männlicher Abgeordneter dasselbe glaube, wurde plötzlich doch diskutiert. Einmal brauchte ich Unterstützung für ein Projekt. Ich schrieb einem Abgeordneten aus meiner Fraktion. Seine Antwort: Er würde mich unterstützen - wenn ich mich dafür privat mit ihm treffe. Ich habe ihm geschrieben, wie irritierend ich sein Verhalten finde, und abgesagt. Auch andere Kolleginnen haben so was erlebt. Wenn sich diese Kultur nicht ändert, wird es einen Braindrain geben. Junge, kluge Frauen werden sich den Kampf durch patriarchalische Parteistrukturen in einem sexistischen Parlament nicht mehr lange antun."
Delara Burkhardt, 28, SPD, ist die jüngste deutsche Abgeordnete im EU-Parlament.
"Auf
Instagram habe ich gerade 230 ungelesene Nachrichten. Inzwischen schaue
ich da nicht mehr gern rein, weil mir Männer immer wieder Dickpics
schicken und anderes unangenehmes Zeugs. Das ist super schade, weil dort
eben auch oft die lieben Nachrichten von Schülerinnen und Schülern
landen, die sich bei mir melden, und die will ich natürlich alle
beantworten. Aber Liebe und Hass, das gehört in den sozialen Netzwerken
leider oft zusammen.
"Auf Twitter habe ich am 20. Juni, am Aktionstag für Geflüchtete, über
meine Oma geschrieben. Sie ist aus dem Iran nach Deutschland geflohen,
ihre Geschichte hat mich politisiert. Sofort stürzten sich Trolle auf
mich. Das permanente Abwerten von Politikerinnen ist ein Grundrauschen.
In Momenten, in denen mich das wütend, traurig oder ohnmächtig macht,
versuche ich mir immer auch zu sagen: 'Hey, hier sind auch 400 Leute,
die dein Statement gelikt haben und das ist viel wichtiger'. Ich
wünsche mir, dass es nicht immer nur Hass oder Liebe gibt, sondern dass
wir auch im Internet eine demokratische Debattenkultur und Zivilcourage
erleben. Ich möchte als Politikerin gesehen werden und nicht nur als
junge Frau in der Politik."
Noreen Thiel, 18, FDP, kandidiert im Berliner Bezirk Lichtenberg für den Bundestag.
"Bei jedem meiner Posts, der halbwegs Reichweite hat, kann ich die Uhr danach stellen, dass sexistischer, herabwürdigender Dreck über mein Alter oder meinen Körper in den Kommentaren auftaucht. Ich erinnere mich an eine Hasstirade, die ich nach einem Post bekam. In der letzten Nachricht stand: 'Du kannst glücklich sein, wenn dich überhaupt wer vögelt'. Ich war 17, als er das schrieb. Ich bin leider jemand, die negatives Feedback, so unsachlich und schwachsinnig es auch ist, immer stärker wahrnimmt als positives. Inzwischen habe ich gelernt, den Hass größtenteils zu ignorieren und alles abzuschalten, wenn es arg beleidigend wird. Also wirklich abzuschalten: Ich mute Kommentare, lese nichts mehr mit."
Jessica Rosenthal, 28, SPD, ist Bundesvorsitzende der Jusos und kandidiert in Bonn für den Bundestag.
"Ich habe keine Lust, immer nur Opfergeschichten zu erzählen. Das würde meiner Position als junge Frau in der Politik nicht gerecht. Klar ist es wichtig, Sexismus aufzudecken. Gerade für die, die nicht auf den gut ausgeleuchteten Bühnen stehen, sondern Plakate kleben und sich in der Kommunalpolitik gegen Platzhirsche durchsetzen müssen. Ich will als starke Frau wahrgenommen werden, die für Bildungsgerechtigkeit, bezahlbaren Wohnraum und faire Löhne kämpft.
Antonia Grage, 28, CDU, ist Kreisvorsitzende der Jungen Union Kiel und arbeitet im Bildungsministerium Schleswig-Holstein.
"Wenn man als Frau mit 18 oder 19 Jahren in eine Partei eintritt, wird das von manchen Mitgliedern als Gelegenheit verstanden, einen anzugraben. Ich selbst wurde von einem älteren FDPler auf einer politischen Veranstaltung angefasst. Aber auch in der CDU gibt es ältere Herren, die Frauen aus der Jungen Union gezielt aufdringliche Nachrichten schreiben. Eine Freundin bekam mal von einem die Visitenkarte in die Hand gedrückt: 'Wenn du in der Nähe bist, kommst du mal vorbei, dann gehen wir essen.' Da war sie 18. Ich würde heute mit 28 zu so jemandem sagen: 'Entschuldigung, ich kenne Sie nicht, ich möchte nicht mit Ihnen essen gehen.' Aber wenn man so jung ist und vielleicht das erste Mal auf einer Veranstaltung, hat man das Gefühl, das gehöre dazu.
In meinem Landesverband der
JU sind wir uns einig, dass das ein Problem ist, es wird daher zukünftig
auf allen Veranstaltungen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für
solche Situationen geben. Ich habe lange gedacht, das mit dem Sexismus
wäre eine Generationenfrage. Mittlerweile glaube ich das nicht mehr.
Auch für Männer in meinem Alter ist es nicht selbstverständlich, dass
Parteivorstände paritätisch besetzt sind. Auch die bleiben gerne unter
sich und fördern nicht aktiv junge Frauen."
Diana
Kinnert, 30, CDU, ist Polit-Influencerin und Unternehmerin. Gerade ist
ihr Buch "Die neue Einsamkeit" bei Hoffmann & Campe erschienen.
"Als ich vor mehr als
zehn Jahren in die Politik eingestiegen bin, hingen mir Beleidigungen
noch lange nach. Gefühle von Scham, Schuld und Wut hielten mich nachts
wach. Damals diskutierte ich in Facebook-Kommentaren. Dass meine Familie
oder Freunde mitansehen, was mir Fremde schrieben, war unangenehm für
mich. Ich fühlte mich bloßgestellt.
Rebekka Grotjohann, 22, Die Linke, ist im Landesvorstand ihrer Partei in Sachsen-Anhalt.
"Anfang Januar, als die
CDU ihre Landesliste für die Landtagswahl bekannt gegeben hat, habe ich
auf Instagram ein Foto von mir mit dem Spruch 'Pimmelbude CDU bitte
abwählen' geteilt. Das war in Anlehnung an den goldenen Pimmel, den die
Linksjugend bei der letzten Landtagswahl der Staatskanzlei überreicht
hatte. Ich wollte damit auf die fehlende Repräsentation von Frauen in
der Politik aufmerksam machen und ein bisschen pöbeln. Ein paar Typen
haben das kommentiert, das war alles erwartbar. Erst vier Monate später
sind viele Konservative und Rechte auf den alten Post aufmerksam
geworden, nachdem die Linksjugend ein Statement von mir über den
Verfassungsschutz geteilt hatte. Dann begann eine Art Schlacht: Die
Publizistin Birgit Kelle twitterte das Foto, auch die CDU-Politikerin
Linnéa Findeklee oder Marcus Pretzel, der Mann von Frauke Petry. Die
haben dazu nur geschrieben 'Linke Nachwuchshoffnung', aber deren Fans
sind schlimmer. Mich attackierten bestimmt 1.000 Leute auf allen
Kanälen. Einer wünschte mir Hirn statt Titten, einer nannte mich
'Ohneglied in einer extremistischen Gruppierung', einer schrieb, dass
jeder Jungkommunist einmal auf mir ablaichen möchte. Der Hass fühlte
sich an wie ein gruseliger Feldzug gegen Frauen, die etwas verändern
wollen. Ich finde es nicht leicht, damit umzugehen. Mir helfen die
Solidarität anderer Frauen und Humor. Ich denke dann: 'Es freut mich,
dass du stolzer Deutscher bist, aber Hure schreibt man ohne H hinter dem
U.'"
Merve Yılmaz, 29, CDU, engagiert sich ehrenamtlich im Kampagnenteam eines Kandidaten für das Berliner Abgeordnetenhaus.
"Auf Social Media bekomme
ich eigentlich alles an Beleidigungen, was es so gibt,
'Zickenficker-Schlampe' ist nur ein Beispiel. Das entwickelt manchmal
eine irre Dynamik. Männer schreiben mir E-Mails, wie gern sie mich
abschieben würden. Meine erste Morddrohung bekam ich 2015, da war ich 23
Jahre alt: Jemand schrieb mir, dass er mich und meine Familie durch die
Dusche und dann durch den Kamin jagen wolle. Ich wollte Anzeige
erstatten, aber ein Beamter sagte, dass das aussichtslos sei. Natürlich
macht das etwas mit einem. Manchmal saß ich in der Bahn und fragte mich,
wer von den Menschen hier wohl Hasskommentare verfasst. Gerade seit dem
Mord an Walter Lübcke muss man so was ernst nehmen. Als Juristin weiß
ich, wo die Grenzen liegen und wie ich dagegen vorgehen kann. Egal, wie
krass der Frauenhass im Netz ist, die Solidarität ist genauso groß. Wenn
es krass wird, schreiten wir Politikerinnen füreinander ein. Damit sich
langfristig etwas ändert, müssen wir dann sprechen, wenn andere
verschämt schweigen oder wegschauen. Über Diskriminierung in politischen
Strukturen zu sprechen, ist fast noch schwerer als im Netz. Wenn du
eine Wahl verlierst und auf Sexismus hinweist, heißt es: schlechte
Verliererin. Wenn du gewinnst und was darüber sagst, bist du die
Schlampe und bekommst auf politischen Veranstaltungen hämisch süße Mäuse
hingelegt. Wir sind alle verloren, wenn das nicht aufhört. Hass ist
zwar krass, aber Solidarität ist krasser."
Gyde Jensen, 31, FDP, ist Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein.
"Ich werde als Abgeordnete manchmal für die Praktikantin gehalten und bekomme natürlich auch frauenfeindliche Sprüche zu hören. Trotzdem finde ich nicht, dass Sexismus meinen Alltag als Politikerin prägt oder geprägt hat. Ich würde aber nie zu anderen Politikerinnen sagen: Jetzt stell dich nicht so an, ich habe mich auch nicht so angestellt. Mir hilft, den Kampf nie allein ausfechten zu müssen. Wenn Männer in Ausschusssitzungen oder auf Delegationsreisen sexistische Sprüche bringen, gibt es heute fast immer Kollegen oder Kolleginnen, die darauf aufmerksam machen und widersprechen, oft, bevor ich selbst antworten muss. So bleibt danach für mich ein gutes Gefühl. Anfeindungen zeigen mir: Ich bin genau richtig im Bundestag. Ich will ja nicht, dass Politik nur männlich und ü50 ist. Und wenn das einzige Argument von Ü50-Männern gegen mich ist, dass ich eine junge Frau bin, denke ich immer: Na, wenn's nur das ist. Der positive Trotz macht mich stärker."
Jamila
Schäfer, 28, Bündnis 90/Die Grünen, ist stellvertretende
Bundesvorsitzende ihrer Partei und kandidiert in München-Süd für den
Bundestag.
"In den vergangenen Wochen habe ich wieder mal so viele Hasskommentare bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen auf Twitter und Instagram bekommen, dass ich meine Benachrichtigungen und die Kommentarfunktion ausgeschaltet habe. Dinge wie: 'Man müsste dich nur mal so richtig durchnehmen und dann kommst du schon wieder auf klare Gedanken.' Dazu Beleidigungen, Infantilisierungen und Kommentare zu meinem Aussehen.
Manchmal mache ich Screenshots und zeige die Täter an, wenn etwas strafrechtlich relevant sein könnte. Das ist mir wichtig, führt aber selten zum Erfolg, weil auch unsere Behörden damit teilweise überfordert sind. Einmal habe ich eine Morddrohung von einem Typen unter Klarnamen bekommen, der hatte sogar angegeben, wo er arbeitet. Wochen nach meiner Anzeige schrieb die Polizei, dass er nicht ermittelt werden konnte. Wirklich frustrierend. Außerdem kostet es enorm viel Zeit, die dann wieder für sachliche Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern fehlt. Trotzdem werde ich mich weiter wehren. Stärke zeigen, auch indem ich ehrlich ausspreche, was dieser Hass mit mir, aber vor allem mit unserer Demokratie macht. Und nicht aufhören, für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der Menschen ohne Angst verschieden sein können."
Laura Hopmann, 31, CDU, ist Landtagsabgeordnete in Niedersachsen und Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei.
"Männer unterbrechen Frauen, egal wo. In ehrenamtlichen Parteisitzungen, in Fraktionstreffen, im Landtag. Je mehr Männer in einer Runde sitzen, desto schwieriger ist es, zu Wort zu kommen und auszureden. Das ist echt anstrengend für mich. Genau wie der Sexismus, den ich im Wahlkampf erlebe. Als ich 2017 zum ersten Mal kandidierte, schrieb ein SPD-Mitglied unter mein Bild: 'Die gehört in den Playboy und nicht in den Landtag.' Im Haustürwahlkampf gab es oft ähnliche Sprüche. Damals hat mich das oft überrumpelt und ich schwieg. Heute mache ich klar, wie unangemessen das ist. Auch wenn ich eigentlich um Stimmen werbe. Wenn jemand in ein Fettnäpfchen getreten ist, okay, aber wenn mich jemand bewusst abwertet, will ich nicht mehr gut auseinandergehen. Das habe ich mir abgewöhnt."
Rasha Nasr, 29, SPD, ist Bundestagskandidatin im Dresdner Süden.
"Wenn die Leute mein Gesicht sehen, meinen Namen hören, denken viele: 'Das ist die Ausländerin.' Oder: 'Ach, die ist schon ganz süß, aber ernst nehmen kann ich das nicht.' Dabei kämpfe ich für gute Bildung und die Demokratie. Ich bin mehr als meine Diskriminierungserfahrungen. Spreche ich aber mal in der Öffentlichkeit darüber, dass ich irgendwelchen Machos oder Nazis auf Instagram nicht dünn, hübsch oder deutsch genug bin, heißt es oft: Die will doch einfach nur Aufmerksamkeit. Das ist lächerlich. Ich will Frauen ermutigen, sich einzumischen. Als Kind habe ich im Bundestagswahlkampf 2002 die erste Frau auf einem Wahlplakat gesehen und dachte: 'Wow, wie cool!' Es macht mich glücklich, wenn mir junge Frauen heute etwas Ähnliches schreiben, weil sie mich gesehen haben."
Terry Reintke, 34, Bündnis 90/Die Grünen, ist Mitglied des
Europäischen Parlaments und stellvertretende Vorsitzende der Grünenfraktion.
"Am schlimmsten wird es, wenn sich der orchestrierte Hass der Troll-Armeen im Netz auch in die Offlinewelt überträgt. Nach einer Podiumsdiskussion hat mich mal ein Typ gefilmt und bedrängt. Der hat mir einfach die Kamera ins Gesicht gehalten und ist nicht mehr gegangen. Oder bei meinem ersten Shitstorm 2014, als ich gerade neu im EU-Parlament war. Da kamen über Wochen und Monate Anfeindungen. Manche schrieben mir, sie wüssten, wo ich wohne. Das ist besonders hart, weil es dann nicht mehr nur um mich geht, sondern auch um die Sicherheit meiner Mitbewohnerinnen, meiner Freunde und der Familie. Ich habe damals den Fehler gemacht und alle Kommentare gelesen. Das war der schlimmste Sommer meines Lebens. Heute sind die Angriffe gegen uns Politikerinnen noch gezielter geworden. Manchmal werde ich gewarnt, wenn Leute in bestimmten Telegram-Chats einen Tweet von mir teilen und dazu schreiben: 'Die machen wir jetzt fertig.' Dann weiß ich, es geht wieder los. Ich habe inzwischen eine strikte Policy und lese die Hassmails nicht mehr. Diese aggressive Atmosphäre kann dazu führen, dass nur noch eine bestimmte Gruppe von Menschen überhaupt in die Politik geht. Das sollte nicht so sein."
Laura
Schieritz, 23, FDP, ist Mitglied im FDP-Bundesvorstand und kandidiert
im Wahlkreis Cottbus – Spree-Neiße für den Bundestag.
"Zum Glück habe ich bisher
nicht den Hass und die Menschenverachtung erlebt, die über vielen
Kolleginnen von den Grünen oder der SPD ausgekübelt werden. Sexismus
bekomme ich eher in scheinbare Komplimente verpackt zu hören. Vor zwei
Wochen war ich auf einer lokalen Veranstaltung, ein Herr sagte grinsend
zur Begrüßung: 'Ach, Sie sind die Bundestagskandidatin der FDP? Dann
kriegen die wohl diesmal meine Stimme.' Ich habe nett gelächelt und
innerlich die Augen verdreht. Meistens spare ich mir die Diskussion und
konzentriere mich darauf, zu zeigen, welche inhaltlichen Argumente für
mich und meine Partei sprechen. Wenn ich mich diskriminiert fühle, dann
eher wegen meines Alters. Deshalb achte ich in diesem Wahlkampf auch
darauf, keine Kleider oder zu lockere Kleidung zu tragen, sondern
Blazer, um nicht noch jünger auszusehen."
Ronja Kemmer, 32, CDU, ist Bundestagsabgeordnete aus Ulm.
"Der Ton gegen
Politikerinnen ist rauer geworden, seit ich vor fünfeinhalb Jahren in
den Bundestag kam. Nicht jede Kritik ist gleich Sexismus. Aber ich werde
heute auch härter bedroht und beschimpft, als Schlampe oder
Schlimmeres. Krasse Drohungen zeige ich an, etwa wenn mir Leute Bilder
von Erhängten schicken. Meistens führen die Anzeigen zu nichts. In einem
Fall konnte die Polizei mal den Absender bis zum Internetanschluss
zurückverfolgen. Weil es in der Wohnung mehrere Bewohner gab, ließ sich
der Täter aber nicht ermitteln. Andere junge Politikerinnen
erzählen mir von ähnlichen Erfahrungen. Auch Kommunalpolitikerinnen und
Ehrenamtliche. Viele zweifeln, in der Politik zu bleiben, manche steigen
aus. Ich versuche, mich nicht entmutigen zu lassen. Ich sage mir immer:
Der Hass hat mit meinem Mandat zu tun, nicht mit mir."
Lucie Hammecke, 24, Bündnis 90/Die Grünen, ist Abgeordnete im Sächsischen Landtag.
"Als Abgeordnete im
Sächsischen Landtag erlebe ich Sexismus oft subtil: Etwa wenn meine
Redebeiträge in Ausschüssen einfach übergangen werden, danach ein Mann
genau dasselbe sagt und für seine tolle Idee gelobt wird. Oder wenn bei
Veranstaltungen noch dreimal nachgefragt wird, ob ich wirklich
Abgeordnete bin. Eine 24-jährige Frau passt offensichtlich immer noch
nicht in das Bild, das viele von Politikern haben. Letztens sagte ein
AfD-Mitglied zu einem anderen: 'Kettest du deine Frau auch immer in der
Küche an?' Das fand ich richtig krass. Mir ist wichtig, mit
Zwischenrufen oder Gegenreden klarzumachen, dass ich so was nicht
hinnehme. Mir hilft, mit anderen Politikerinnen über ihre Erfahrungen
und die Frauenfeindlichkeit zu reden. Auch deshalb habe ich mit zwei
Abgeordneten aus Brandenburg und Thüringen einen Podcast gestartet: Lass uns mal machen."
Katja Maurer, 30, Die Linke, ist Abgeordnete im Thüringer Landtag und Fraktionsvorsitzende im Erfurter Stadtrat.
"Da sind die Typen, die dich auslachen, wenn du mit deiner angeblichen Girly-girl-Stimme eine Demo moderierst. Die AfD-Mitarbeiter im Aufzug in deiner ersten Woche als Landtagsabgeordnete, die dich bedrängen. Die Männer, die dir auf Instagram schreiben, wie schön deine Lippen sind und ob du ihnen einen bläst, wenn sie dich wählen. Was mir aber wirklich das Herz bricht, ist der Hass, der Mädchen entgegenschlägt, die sich politisch engagieren. Wenn du schon mit 16, 17 Jahren oder noch früher so angegriffen wirst, kann ich verstehen, dass du dir das nicht lange antun willst.
Ich bin eigentlich eine fröhliche, gelassene Person. Aber ich fühle mich öfter angespannt und reizbar, seit ich öffentlich spreche und sichtbar bin. Sport hilft gegen meine Wut. Oder Jurij, mein Labrador. Wenn der in Pfützen planscht und an Gräsern schnuppert, vergesse ich vieles. Aber es kann ja nicht die Lösung sein, dass wir uns jetzt alle Hundebabys kaufen. Manchmal habe ich keinen Bock mehr, aber Politik ist auch wie ein Superheldinnencape: Du hast die Macht, Dinge zu verändern. Du kannst ein Vorbild sein für alle Frauen, die nach dir kommen. Und du hast die Macht, Dinge zu verändern. Das heißt auch, öffentlich anzusprechen, dass Sexismus nicht nur Politikerinnen und Schauspielerinnen betrifft, sondern auch jede Frau an der Supermarktkasse oder am Bartresen."
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