Hanna Silbermayr

Freie Auslandsjournalistin, Caracas

14 Abos und 19 Abonnenten
Artikel

Paroli Magazin (2)

Seine Popularität, so sagt man, steige und falle mit den Erdölpreisen. Diese müssen während der letzten 14 Jahre relativ hoch gewesen sein, konnte doch niemand den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez innerhalb dieser Zeit aus dem Amt jagen. Nach turbulenten Monaten als Putschist, stellte er sich Ende 1998 schließlich dem Volk in regulären Wahlen und zog mit 56% der Stimmen in den Präsidentenpalast ein.

Seitdem ist er von der politischen Bildfläche Lateinamerikas kaum mehr wegzudenken. Kaum jemand, der seine permanenten Tiraden nicht kennt, die er regelmäßig Richtung USA und Westen schickt. Ohne diese Verbal-Attacken bliebe Hugo Chávez womöglich im Weltgeschehen relativ unbeachtet. Doch jemand, der George W. Bush während einer Rede vor den "Vereinten Nationen" als Teufel und Angela Merkel als Hitler bezeichnet, kann kaum übersehen werden.

Er gibt sich volksnah und scheint damit einen großen Teil der Venezolaner überzeugen zu können. Kurz nach seinem Amtsantritt vor 14 Jahren ließ er über eine neue Verfassung abstimmen, die unter anderem neuerliche Wahlen für alle Ämter, einschließlich jenes des Präsidenten, vorsah. Bei der "megaelección" (Megawahl) im Jahr 2000 konnte Hugo Chávez seinen Erfolg von 1998 toppen: Er wurde mit 60,3% der Stimmen in seinem Amt bestätigt.

Sein Erfolg mag darin liegen, dass er den Venezolanern tiefgreifende Reformen versprochen hatte. Im Zuge seiner "Bolivarische Revolution" veranlasste er unzählige so genannte "Missionen", die der sozial schwächeren Gesellschaftsschicht zugute kommen sollten: Es wurden Lebensmittel verteilt, der Analphabetismus bekämpft, 50 neue Universitäten gebaut, mobile Ambulanzen eingerichtet und neuer Wohnraum geschaffen. Die Liste ist lang. Jedenfalls reichte Chávez' Engagement zu einer neuerlichen Wiederwahl im lateinamerikanischen "Super-Wahljahr", als zehn der 20 Länder des Kontinents ihre Staatsoberhäupter neu wählten und damit die Ära der linksgerichteten Regierungen einläuteten.

Am Sonntag diesen Jahres ist es nun wieder so weit: Das venezolanische Volk wird abermals an die Urnen gebeten. Chávez hat während der letzten 14 Jahre keine einzige Wahl verloren. Doch dieses Jahr könnte sich das ändern.


Die Opposition vereinigt

Während der letzten Monate muss der Ölpreis etwas gesunken sein. Anders lässt sich nicht erklären, wieso die Popularität von Hugo Chávez dahinzuschwinden scheint. Vielleicht hat es etwas mit der Explosion in einer der wichtigsten Ölraffinerien Venezuelas zu tun, bei der Ende August 50 Menschen getötet und mehr als 150 verletzt wurden.  

Hugo Chávez machte sich sofort auf den Weg zur Amuay-Raffinerie, über der noch Tage nach der Explosion dicke Rauchwolken standen. Dort hörte er zu, tröstete er und beschwichtigte die Presse. So kurz vor den Präsidentschaftswahlen durfte es zu keinem Preisverfall des venezolanischen Öls kommen.

Vielleicht aber ist auch der junge Präsidentschaftskandidat der Opposition verantwortlich für das Sinken der Beliebtheitswerte von Hugo Chávez. Der 40-jährige Henrique Capriles Radonski, gegenwärtig Gouverneur des Bundesstaates Miranda, ist die neue Polithoffnung des Landes. Während der letzten 14 Jahre hatte es die Opposition, die aus 32 unterschiedlichen Kleinparteien besteht, nicht fertig gebracht, einen aussichtsreichen Kandidaten in die Wahl zum Präsidenten zu schicken. Als im Februar 2012 Capriles aber die landesweiten Vorwahlen der Opposition mit großer Mehrheit gewinnt, spricht er von einer neuen Wende für das Land. Am Tag nach den Vorwahlen erklärt er in einem Interview mit dem venezolanischen Fernsehsender Venevisión, dass nun endlich die Zukunft gewonnen hätte. Und tatsächlich schafft er etwas, das vor ihm außer Hugo Chávez kaum jemand zustande gebracht hat: Er lässt sich während seiner Wahlkampftour in den Straßen Venezuelas feiern, als hätte er bereits gewonnen und gibt sich mindestens genauso populistisch wie sein Gegner.


Unzuverlässige Umfragewerte

In Zusammenhang mit Venezuela gibt es aber ein Problem: man kann sich auf Umfragewerte vor Wahlen praktisch nicht verlassen. Eine Sache, die man aber aufgrund der Werte dennoch vermuten kann ist, dass die Wahl am kommenden Sonntag womöglich sehr knapp ausgehen kann. So konstantierten in den letzten Wochen immer mehr Umfrageinstitute beiden Kandidaten einen Prozentsatz an Stimmen, der knapp um die 50 liegt. Manche sehen Henrique Capriles vorne, andere widerum Hugo Chávez. Eine Sache hat Capriles jedenfalls mit dem amtierenden Präsidenten gemein: Er hat ebenso noch keine einzige Wahl verloren und ist in Venezuela durchaus kein Unbekannter.

Der Enkelsohn einer polnischen Holocaust-Überlebenden war 1998 mit nur 26 Jahren der jüngste Abgeordnete im venezolanischen Parlament. Zwei Jahre später, nachdem die Opposition große Teile der Parlamentssitze an die Partei von Hugo Chávez verloren hatte, wurde er mit 60% der Stimmen zum Bürgermeister von Baruta gewählt und 2004 mit beinahe 80% wiedergewählt. Während seiner Amtszeit kam es im Jahr 2002 - wie es die venezolanische Regierungspartei auslegte - zu einem Putsch gegen Hugo Chávez. Man verdächtigte Henrique Capriles als Anführer und sperrte ihn noch während seiner Zeit als Bürgermeister für vier Monate ins Gefängnis. 2006 wurde er von allen Belangen freigesprochen. Dass er durch diesen Zwischenfall nicht an Popularität eingebüßt hat, beweisen die Wahlen im Jahr 2008, die ihn zum Gouverneur des Bundesstaates Miranda machten.

Sollte er am Sonntag die Präsidentschaftswahlen gewinnen, so verspricht Henrique Capriles weitreichende Reformen und vor allem eines: Fortschritt. Das bedeutet, dass die Wirtschaft umgekrempelt werden würde: Heute ist Venezuela von seinen Erdölexporten abhängig, 95% der Devisen stammen aus diesem Industriezweig. Es wäre gefährlich, einen Staat von einer einzigen Ressource abhängig zu machen, wettert Capriles immer wieder. Man müsse andere Industriezweige entwickeln, um die Zukunft des Landes zu sichern. Dennoch stellt er sich nicht komplett gegen die Errungenschaften Chávez' im Sozial- und Bildungsbereich. Wäre ein Projekt gut, würde man es weiterführen. Dies müsse aber vorher eruiert werden, sagt er im Interview mit Venevisión. 

Ob am Sonntag nun Hugo Chávez oder Henrique Capriles Radonski erstmals eine Wahl verlieren wird, lässt sich aus den Umfragen jedenfalls nicht ablesen. Dass die Wahlen, wenn zwei Populisten gegeneinander antreten, spannend werden, davon kann man jedenfalls ausgehen.

Zum Original