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Wirtschaft und Netzszene im Zustand des gegenseitigen Nichtverstehens - Das muss sich ändern #NEO15

Auf der #NEO15 dann mit Experten auf der Bühne

Mehr denn je braucht Deutschland für den neuartigen, disruptiven Wandel von Ökonomie und Gesellschaft den Dialog zwischen Wirtschaft und Netzszene. Ein „Weiter so" ist ebenso wenig eine Option wie eine Dialogunfähigkeit zwischen den relevanten Gruppen. Die Wirklichkeit sieht allerdings aus.


„Wir müssen gegen die Vorstellung der Traditionalisten argumentieren, die meinen, dass es sich bei den Folgen der Digitalisierung allein um eine Skalierung oder lineare Fortschreibung vorhandener Prozesse handeln würde. Es herrscht im Einklang damit ein relativ großes Unverständnis über die Bedeutung der digital ermöglichten Disruption und ihre Bedeutung für angestammte Tätigkeitsfelder eines Unternehmens oder auch einer Institution. Die Gesellschaft der zwei Geschwindigkeiten findet sich zunehmend auch innerhalb von Unternehmen", bemerkt Ole Wintermann von der Bertelsmann-Stiftung.


Vernetztes Arbeiten verändert Unternehmen


Das vernetzte Arbeiten würde systematisch dem in der deutschen Industrie tief verankerten Management- und Ingenieursdenken widersprechen, da es dezentral kreativ, netzwerkbasiert und multikausal ausgerichtet ist. Dieser Widerspruch dürfte für Deutschland bald zum Problem werden. So wie der Wechsel auf digitale Plattformen die Macht der Kunden über Rezensionen, Transparenz und netzöffentlichen Druck gegenüber Konzernen gestärkt habe, wird Arbeiten 4.0 die Position der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber verändern.


Sind deutsche Unternehmen auf diesen Wandel vorbereitet, fragt sich Wintermann. Ist die Netzszene darauf vorbereitet?


Die Hidden Champions des produzierenden Gewerbes blicken auf ihre Erfolgsgeschichten und können mit den Themen der Blogosphäre wenig anfangen. Dieses Ausblenden der neuen digitalen Wirklichkeiten und ihrer Community wird zurecht von der Netz-Community kritisiert. Aber ist das wirklich das einzige Problem, was uns an unserem Transformationserfolg hindert?


„Sind wir in der Netzszene nicht viel monströser? Wir treiben mit hoher Geschwindigkeit die digitalen Themen voran und vergessen schlichtweg, diese Leute in der Provinz abzuholen", so der Mittelstandskenner Marco Petracca.


Die Lebenswelten von Mittelstand und Netzaktivisten klaffen weit auseinander. Firmeninhaber, Techniker und Ingenieure haben eine eher verschlossene Mentalität und sehnen sich nach Stabilität, die man in der Provinz vorfindet. Die Kommunikation endet häufig am Ortsausgangsschild. Das steht nach Auffassung von Petracca im krassen Widerspruch zu dem, was wir im Netz machen.


„Wir reden über Dialog und den Austausch von Wissen. Viele Unternehmen tun sich hingegen schwer, das zu kommunizieren, was sie ausmacht. Das ist kulturell tief verankert. Mittelständler sind sehr stark von ihrer Leistung geprägt, von Innovationen und Patenten. Das soll aber keiner wissen. Wir sind angetrieben von Denkansätzen wie Sharing, Share Knowledge, Big Data und einer Kultur der Beteiligung. Da ist der Kollisionskurs vorprogrammiert." Betriebsgeheimnis soll Betriebsgeheimnis bleiben. „Bei uns ist jede Information auch eine Transaktion", erklärt Petracca.


Der Mittelstand und Alibaba


Was auf Konferenzen der Netzszene abläuft, sei hochgradig spannend, hat aber nur wenig mit dem Erfahrungshorizont der Hidden Champions zu tun. Was wir offerieren, passe nicht zu den Anforderungen der Unternehmen.


Der Austausch wäre jedoch wichtig. Spätestens wenn die Betriebe auf Wettbewerbsprobleme stoßen, die die digitale Sphäre auslöst. Wenn etwa Kunden der Hidden Champions Anlagen direkt über chinesische Absatzmärkte oder indirekt über eine Plattform wie Alibaba ordern und das deutsche Unternehmen mit dem dreifachen Preis auf der Strecke bleibt, wenn sie sich nicht zuvor auf diese neuen Herausforderung vorbereitet haben.


Maschinenbauer, Schraubenhersteller und auch eine Vorzeigefirma wie Würth glauben nach wie vor, dass ihre Geschäftsmodelle den persönlichen Austausch bedingen. Ihre Leistungen würden online nicht funktionieren, lautet ein typischer und reflexartiger Satz von Industrievertretern. „Das kollidiert doch mit der Welt, in der ich die Netflix-Aufladekarte mittlerweile an der Penny-Kasse bekomme oder meine Schrauben günstiger bei Amazon bestellen kann", sagt Petracca.


 Netzszene muss praxisrelevante Vorschläge machen


Diese Welt ist dem Mittelstand fremd. Genauso fremd sind der Netzszene aber auch praxisrelevante Lösungsvorschläge, um Änderungen zu bewirken.

Der blinde Fleck in der Digitalisierung liegt also nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch an der Mangelhaftigkeit der netzökonomischen Kompetenz von digitalen Diskursen. Wir sollten also weniger über die digitalen Vorzeigeprojekte von Red Bull, Coca Cola & Co. sprechen oder stupides Online-Marketing-Blabla durch die Gegend pusten, sondern über handfeste digitale Strategien für Firmen wie EDAG Engineering in Fulda nachdenken.


Die neue Plattform-Logik


Insbesondere die neue Logik des Netzes muss eindringlicher vermittelt werden, denn sie betrifft auch das B-to-B-Segment. Wie aber reagiert man auf die neuen Herausforderungen? Im Zusammenhang mit der digitalen Transformation fällt immer öfter der Begriff „Plattform". Häufig wird dabei an Google, Apple oder Uber gedacht. Plattform-Theoretiker wie der US-Ökonom Van Alstyne gehen weit darüber hinaus. „Ich definiere eine Plattform als einen veröffentlichten Standard, mit dem sich andere verbinden können, zusammen mit einem Governance-Modell, also den Regeln, wer wie viel bekommt". Praktiker wie Zhang Ruimin erkennen ein völlig neues Management-Konzept:


„In Zukunft gibt es nur noch Plattform-Inhaber, Unternehmer und Mikrounternehmer. Unsere fünf Forschungszentren weltweit funktionieren heute schon wie Plattformen, auf denen Unternehmer zusammenarbeiten. Die Firma der Zukunft hat keine Angestellten mehr", erklärt der Haier-Chef gegenüber der Wirtschaftswoche.


Die Plattformisierung der Wirtschaft zählt zu den zentralen Themen, die wir intensiv auf der Next Economy Open am 9. und 10. November in Bonn diskutieren werden.

Gute Gründe für Entscheider der Wirtschaft, mit der Netzszene ins Gespräch zu kommen unter dem Leitmotto Matchen - Moderieren - Managen. Man hört und sieht sich in Bonn. Zum Original