"Alles, was ich über die Kardashians weiß, habe ich gegen meinen Willen erfahren." Mit diesem Satz hat eine Twitter-Userin im letzten Jahr so vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen, dass er sogar auf T-Shirts verewigt wurde.
Die Kardashians gelten als Musterbeispiel für Kulturpessimismus, und wenn man etwas über die Reality-TV-Familie weiß, möchte man es am liebsten nicht zugeben. Doch zugleich gibt es da mehrere Hundert Millionen Menschen, die den einzelnen Familienmitgliedern in den sozialen Netzwerken folgen und dafür sorgen, dass ihre Schminksets im Handumdrehen ausverkauft sind. Fest steht daher, wir kommen nicht so recht an ihnen vorbei.
Wie lange uns - freiwillig oder unfreiwillig - diese Familie schon begleitet, daran erinnert uns Kim Kardashians Geburtstag. Die zweitälteste Kardashian-Tochter wird heute 40 Jahre alt. So richtig ansehen kann man das der Frau, die mal erklärte, Botox sei gar keine Schönheits-OP, zwar nicht, aber altersgemäßes Aussehen ist ja sowieso keine Kategorie, in der die Kardashians denken. Und nicht nur damit sind sie Vorbilder. Auch in puncto sonstiger Lebensführung können wir uns etwas von Kim Kardashian abschauen.
Fangen wir damit an, womit alles anfängt: der Familie. Kim Kardashian hat eine Mutter, deren Berufsbezeichnung auf eine äußerst schwierige Konstellation schließen lässt: Momager. Das Portmanteau aus Mama und Manager deutet, neben viel Kontakt im Alltag, einen fast unmöglichen Abnabelungsprozess und jede Menge Übergriffigkeit an.
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Probleme, die viele Menschen klassischerweise in ihren Zwanzigern und selbst noch Dreißigern umtreiben: Warum reden einem die Eltern eigentlich immer rein? Warum wissen sie alles besser? Und warum ist die eigene Familie eigentlich so ein Klotz am Bein bei der eigenen Entwicklung? Was Kim Kardashian zu diesen Fragen denkt, wissen wir nicht. Aber ihr Umgang damit ist durchaus vorbildhaft. Familie ist nun mal nicht nur Schicksal, sondern auch, was man daraus macht. Ein millionenschweres Business zum Beispiel. Aber das hält man mit all der Nähe vermutlich nur aus, wenn man ehrlich zueinander ist und den eigenen Ärgernissen Raum gibt. Kims erste Worte bei Keeping up with the Kardashians? " Ich hasse euch alle." In anderen Worten: sich mal ordentlich Luft verschaffen. Sollte man unbedingt, bevor man 40 wird.
Überhaupt: radikal sein. Der 40. Geburtstag ist auch ein guter Zeitpunkt, um das eigene Liebesleben der vergangenen Jahrzehnte zu reflektieren. Dabei lässt sich feststellen, dass viele von uns ganz ähnliche Erlebnisse durch die Jahre hatten. Die Zwanziger waren geprägt von Sturm und Drang und Gefühlen nie mehr erreichter Wucht, die Dreißiger geprägt von Vernunftentscheidungen und dem Wunsch, Dinge festklopfen zu wollen.
Und da liegt schon der Haken. Denn zu viel Vernunft und Torschlusspanik können dazu führen, dass man sich in einem Leben wiederfindet, dass man sich eigentlich mal aufregender ausgemalt hatte. Tja. Aber für die Chuzpe, liebestechnisch noch mal radikal zu werden, halten sich die meisten irgendwann zu erwachsen. Schade. Denn bis zu seinem Vierzigsten sollte man sich auch von dem einen oder anderen Liebesideal verabschiedet haben.
Wie Kim Kardashian. Sie trennte sich von ihrem zweiten Ehemann (Millionenhochzeit, 450 Gäste, eigenes Parfüm) nach nur 72 Tagen Ehe: "Ich hoffe, jeder versteht, dass das keine leichte Entscheidung war. Ich hatte gehofft, für immer verheiratet zu sein, aber manchmal laufen Dinge nicht so wie geplant." Anders gesagt: kurzen Prozess mit schlechten Entscheidungen machen. Sollte man auch unbedingt im Portfolio haben, bevor man 40 wird.
Denn egal, wie besonnen man gelebt hat, wer 40 wird, hat schon ein paar Fehler gemacht auf Erden und wer nicht mit einem schlechten Gedächtnis gesegnet ist, wird diese Fehler unter Umständen wie eine Schleppe aus Reue hinter sich herziehen. Das belastet auf Dauer. Kardashian gibt sich mit Reue nicht lange ab. Sie macht Fehler und dann macht sie einfach weiter. Sex Tape veröffentlicht? Bei der ersten Hochzeit (Ehedauer drei Jahre) high auf Ecstasy gewesen? Kann passieren. Wer geschmeidig leben will, sollte daher vor allem etwas nachsichtiger mit sich selbst sein. "Ich bin eine unverbesserliche Romantikerin", sagt Kardashian und hat dreimal geheiratet.
Die eigenen Stärken und Schwächen nicht nur zu kennen, sondern sie zu akzeptieren ist eben auch essenziell. Doch damit tun sich viele von uns schwer. "Ich wäre gern anders, aber ich komme so selten dazu", hat der österreichische Dramatiker Ödön von Horváth vor ungefähr hundert Jahren mal festgestellt und damit eine Vorab-Diagnose für unser Leben heute gestellt: FOMO, die Angst, etwas zu verpassen, und der permanente Druck, doch endlich alle Selbstgestaltungsoptionen wahrzunehmen, ist für viele Menschen Grund genug, die eigenen Schwächen und Stärken für Verhandlungsmasse zu halten, statt sie einfach anzuerkennen.
Das kann gerade um den 40. Geburtstag herum zu der resignierten Einsicht führen, dass eigene Potenzial nicht richtig ausgeschöpft zu haben. Das mag zwar sein, aber es ist auch ein Stück weit müßig. Dann lieber Kardashian als Vorbild, denn deren Motto scheint zu sein: "Ich könnte anders sein, aber die Zeit ist es mir nicht wert."
Kardashian weiß, was sie kann, was Teil ihrer Marke ist und wovon sie die Finger lassen sollte. Sie hat ihre Talente erkannt und schreibt daher keine Romane, sondern Bücher über das perfekte Selfie ( Selfish).
Dazu gehört natürlich auch eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein. Und auch hier ist Kardashian stilbildend. Der Satz "Ich bin so gut, wie ich bin" scheint ihr auf die Stirn geschrieben. Gerade Frauen sind in den letzten Jahren zur Zielgruppe von viel Ratgeberliteratur zur Selbstvermarktung geworden, das Credo dabei ist: Frauen sollen endlich mal den Mund aufmachen und Bescheidenheit verlernen. Wer dazu kein ganzes Buch lesen will, der kann stattdessen einfach mal fünf Minuten auf Kardashians Instagram-Account verbringen. Danach wird sich kein Selfie je wieder unverfroren anfühlen, garantiert.
Aber schlussendlich ist der Vierzigste natürlich auch Anlass, nach vorne zu gucken. Das gute Leben ist damit nicht vorbei, es gibt sogar Grund genug zu glauben, dass es nahtlos weitergeht. Kardashian jedenfalls nutzt ihren Ehrentag dafür, eine neue Make-up-Kollektion auf den Markt zu bringen. Außerdem plant sie, in ein paar Jahren die Anwaltsprüfung in Kalifornien abzulegen. Und auch damit ist sie Vorbild: Es ist so gut wie nie zu spät, sein Leben noch einmal umzukrempeln. Auch mit Dingen, die einem niemand zugetraut hätte.
Happy Birthday, Kim.