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„BepiColombo": Europäische Sonde erforscht die Venus im Vorbeiflug - WELT

Erst kurz vor Abflug fiel den Ingenieuren noch eine wichtige Sache ein

Gibt es in den Wolken der Venus Spuren von Leben? Eine europäische Sonde nähert sich dem Planeten. Drei Instrumente werden ausgefahren, um mehr über den Erd-Nachbarn zu erfahren. Das eigentliche Ziel der „BepiColombo" wird aber erst 2025 erreicht.

Die Venus ist zwar nicht das Ziel der Forschungssonde „BepiColombo". Doch sie fliegt in der kommenden Woche in nur 10.000 Kilometer Entfernung an diesem Planeten vorbei. Die Schwerkraft der Venus soll sie abbremsen und auf den richtigen Kurs zum Merkur schicken. Dieses Flugmanöver soll wissenschaftlich genutzt werden. Die Messinstrumente der Sonde werden angeschaltet, um die Venus zu beäugen.

„Ein bisschen Science im Vorbeiflug" sei das, sagt Johannes Benkhoff vom Esa-Forschungszentrum Estec im niederländischen Noordwijk. Er ist Projektwissenschaftler der Merkurmission. „Ich nenne das so, weil wir nicht alle Instrumente nutzen können." Die meisten haben keinen freien Blick auf die Venus. Und das ist schade - denn bei der Venus gäbe es so einiges zu beobachten, nicht erst seit Wissenschaftler Phoshin-Moleküle in ihrer Atmosphäre nachgewiesen haben, die möglicherweise organischen Ursprungs sind.

Die Venus ist im Planetensystem der innere Nachbar der Erde. Und doch ist sie so anders als unser Heimatplanet. Die Venus hat keinen Mond, es gibt keine Ozeane, keine Plattentektonik, kaum Krater. Und sie dreht sich als einziger Planet in unserem Sonnensystem im Uhrzeigersinn um das Zentralgestirn und damit andersherum als die übrigen sieben.

Immerhin haben Venus und Erde die gleiche Dichte, und sie wurden aus demselben Material geformt. Und die Venus ist größer als der Mars und fast so groß wie die Erde. Sie ist jedoch nur halb so weit von der Sonne entfernt wie der Mars.

Das hat Folgen: Obwohl der Planet den Namen der griechischen Liebesgöttin trägt, geht es auf seiner Oberfläche keinesfalls verträumt und romantisch zu. Im Gegenteil: Die Venus gleicht eher einer Hölle. Fast 500 Grad Celsius ist ihre Oberfläche heiß, die Atmosphäre besteht zu mehr als 96 Prozent aus Kohlendioxid, und ihr Druck ist 100-mal höher als auf der Erde.

Die Venus ist das Paradebeispiel für den Treibhauseffekt. Das wahrscheinlich von Vulkanen freigesetzte CO 2 hängt wie eine Glocke über der Oberfläche des Planeten. Zusammen mit der nahen Sonne hat dies ofenähnliche Temperaturen zur Folge.

Die Sonde „BepiColombo", benannt nach dem Spitznamen des 1984 verstorbenen italienischen Ingenieurs Giuseppe Colombo, wird ihre Messinstrumente auf die Venus richten, um im Vorbeiflug mehr über die Bedingungen auf diesem Planeten zu erfahren.

Hinderlich dabei sind allerdings das sogenannte Transfermodul und ein Schutzschild, das die Sonde benötigt, wenn sie der Sonne noch näher kommen wird. Sie verstellen vorerst einigen Instrumenten den Blick. Diese befinden sich auf zwei Subsonden von „BepiColombo" - einer europäischen Sonde namens MPO und einer japanischen Sonde namens MIO.

„MIO sitzt ganz oben", erklärt Go Murakami von der japanischen Raumfahrtagentur Jaxa. Ungeschützt und permanent der Sonnenstrahlung ausgesetzt würde MIO aber nicht überleben. „Deswegen brauchen wir für die Anreise einen schützenden Sonnenschild, der die Sonde umhüllt", so der Japaner.

Eigentlich soll sich MIO permanent um die eigene Achse drehen. So würde verhindert, dass stets ein und dieselbe Seite von der Sonne bestrahlt wird und sich erhitzt. Doch weil während der Anreise zum Merkur eben insgesamt vier Bauteile übereinandergestapelt sind, ist derzeit keine Eigenrotation der japanischen Sonde möglich.

„Ein Hähnchen auf dem Grill müssen wir auch kontinuierlich drehen, damit es nicht anbrennt", schmunzelt Benkhoff. „Wenn wir es anhalten, brennt es an." Da sich die fest verankerte japanische Sonde während der Anreise nicht drehen kann, muss sie geschützt werden. Erst bei der Ankunft wird das Sonnenschild entfernt.

Drei der 20 Instrumente sind aktiv

Doch im Moment kühlt dieser nicht nur die Instrumente von MIO, sondern ist auch eine Sichtbehinderung für die Instrumente. Nur drei der 20 Instrumente sollen aktiviert werden. Bei ihnen handelt es sich um Magnetsensoren. Zwar besitzt die Venus kein eigenes Magnetfeld, die Forscher hoffen aber, die Wechselwirkung zwischen dem Sonnenwind und der Venusatmosphäre studieren zu können. Und es sei ein Test für die späteren Messungen am Merkur, sagt Murakami.

Auch die Europäer wollen einige Instrumente ihrer Sonde zweckentfremden. Instrumente zur Erforschung der Steine und Felsen auf dem Merkur können bei der Venus nichts Vergleichbares beobachten, denn ihre Oberfläche ist nicht einsehbar. „Zwar sind die Instrumente wie das Spektrometer ,Mertis' für den Merkur konzipiert", sagt Benkhoff, „aber wenn wir es beim Vorbeiflug an der Venus nutzen, dann schaut es sich eben die Wolkendecke an."

Mithilfe von „Mertis" könnte die Existenz von Phosphin in der Venusatmosphäre bestätigt werden. Auf der Erde entsteht diese Substanz fast ausschließlich bei organischen Prozessen. Gibt es also primitives Leben in den Wolken unseres Nachbarplaneten? Diese Frage wird „BepiColombo" mit Sicherheit nicht klären können. Doch die Nasa plant bereits weitere Sonden, die zur Erforschung der Venus optimiert sind.

„Davinci+" heißt eine von ihnen, benannt nach Leonardo da Vinci. Sie soll die Venus von einer Umlaufbahn aus erforschen. Insbesondere soll sie klären, was sich alles in ihrer Atmosphäre befindet.

Zudem soll „Davinci+" eine Abstiegssonde abwerfen, die durch die dicke Atmosphäre bis hinunter auf die Planetenoberfläche fällt. Während des Falles wird sie messen, welche Edelgase sich möglicherweise in der Atmosphäre befinden. Außerdem soll eine hochauflösende Kamera erstmals gestochen scharfe 3-D-Bilder der gebirgigen Venusoberfläche liefern.

„Wahrheiten" über die Venus herausfinden soll auch das Projekt „Veritas". Anthony Freeman, Chef der Innovationsabteilung beim Jet Propulsion Laboratory der Nasa im kalifornischen Pasadena erklärt, welche Fragen die Sonde beantworten soll: „War die Venus schon immer ein heißer, trockener Planet? Oder sah sie früher der Erde ähnlich, mit Kontinenten und Ozeanen?"

Auch „Veritas" soll in eine Umlaufbahn um die Venus eintreten. Von dort soll sie Daten sammeln, die später einmal eine Landung auf der Venus möglich machen. Bislang fehle es Planetologen noch an dem nötigen geografischen Wissen, um überhaupt einen geeigneten Landeort auswählen zu können, sagt Freeman.

Von der Marsoberfläche gebe es detaillierte topografische Karten, und man wüsste, wo sichere Landungen möglich sind. „Von der Venus wissen wir nichts dergleichen", so Freeman, „unsere topografischen Kenntnisse sind rudimentär. Wie sollen wir uns da für einen Landeplatz entscheiden können?"

„Veritas" soll die dafür benötigten Informationen liefern. Zudem soll die Sonde klären, ob es auf der Venus noch aktive Vulkane gibt, die Lava und Gase ausstoßen. Da auch „Veritas" nicht optisch durch die Wolkendecke sehen kann, werden dafür Radarwellen zum Einsatz kommen.

„Veritas" verfügt ebenfalls über eine Abstiegssonde. „Wir wollen sie horizontal durch die Venusatmosphäre fliegen lassen", erklärt Freeman. Dabei soll sie Proben der Atmosphäre entnehmen. „Dann wird sie auf der anderen Seite der Venus wieder aus der Atmosphäre herausschießen." Vielleicht enthalten diese Proben ja eine Antwort auf die Frage, ob es dort Leben gibt.

„Veritas" soll auch erkunden, ob unter der Venusoberfläche Wasser existiert. Sollte dem so sein, dann könnte es im Boden Lebensformen geben. Würde „Veritas" Wasserdampf in der Atmosphäre aufspüren, der von Vulkanen ausgestoßen wurde, dann wäre dies ein Beleg für das Vorhandensein von unterirdischem flüssigen Wasser. Welche der beiden Venusmissionen realisiert wird - „Veritas" oder „Davinci+" -, will die Nasa im Frühjahr 2021 entscheiden.

Mitte der 1980er-Jahre hatte die Sowjetunion Verena- und Vega-Sonden auf der Venus gelandet. Die schwefelsäurehaltige Atmosphäre, die hohen Temperaturen und der hohe Luftdruck sorgten dafür, dass die Sonden nur zwei Stunden lang funktionierten. „Wenn wir auf der Venus landen, dann sollten unsere Sonden länger überleben", fordert James Green, der Direktor der Nasa-Abteilung für Planetenwissenschaften.

Solche Lander sind aufwendig. Eine Stunde lang auf der Venusoberfläche Messungen durchzuführen, sei teurer als eine einmonatige Mission zum Mars. Menschen zur Venus zu schicken ist aus technischen und finanziellen Gründen ausgeschlossen. Doch über einen unbemannten Lander denkt die Nasa nach.

Die US-Firma Rocket Lab will 2023 eine „Photon"-Sonde in der Venusatmosphäre absetzen. Getestet werden soll eine baugleiche Sonde bereits 2021 bei einem Mondflug. Das Unternehmen arbeitet mit den Forschern des Massachusetts Institute of Technology ( MIT) zusammen, die das Phosphin in der Venusatmosphäre entdeckt haben. Gemeinsam wollen sie Instrumente entwickeln, die die Spur zu möglichen Lebensformen weiter verfolgen können.

Doch jetzt sind erst einmal die Europäer und die Japaner zum Tête-à-Tête mit der „Liebesgöttin" verabredet. Die Experimente auf „BepiColombo" werden zwei Tage vor und zwei Tage nach der größten Annäherung an die Venus am kommenden Donnerstag, 15. Oktober, eingeschaltet sein.

Erst kurz vor Fertigstellung der Sonde war den Ingenieuren eingefallen, dass sie ja das Venusrendezvous vielleicht mit Kameras filmen könnten, die auf dem Transfermodul befestigt wären. So wurden dort schnell noch einige Schwarz-Weiß-Kameras eingebaut.

Im August 2021 wird sich „BepiColombo" noch einmal der Venus nähern; diesmal bis auf 1000 Kilometer. Dann werden die Instrumente noch einmal aktiviert. Die Ankunft am Merkur ist für Dezember 2025 berechnet.

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