Guido Grandt

Publizist, Freier TV-Redakteur, Verleger, Geschäftsführer, Balingen

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Artikel

Deutsches "Staatsfernsehen" und der "Anti-EU-Maulkorb"

Es ist eigentlich ein Skandal. Nur keiner spricht darüber. Oder keiner weiß es - nicht einmal das Gros deutscher Medienvertreter: Auch in Deutschland gibt es so etwas wie ein "Staatsfernsehen". Vorschriften von ganz oben, wie eine Medienberichterstattung auszusehen hat.


Alles nur eine Verschwörung? Ein schlechter Scherz? Mitnichten!


Im "Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag - RStV)" vom 31. August 1991, in der Fassung des Fünfzehnten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Fünfzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) vom 15. bis 21. Dezember 2010, in Kraft seit 1. Januar 2013, heißt es unter anderem im "II. Abschnitt Vorschriften über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk § 11 Auftrag":


(1) Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern...


Anders ausgedrückt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist angehalten, die "europäische Integration" zu "fördern"! Diese Vorschrift ist sogar vertraglich vereinbart. Kaum einer weiß das. Deshalb dürfen wir uns auch nicht darüber wundern, dass in deutschen Wohnzimmern tagein und tagaus EU-freundliche Reportagen, Beiträge und Kommentare flimmern. Schließlich ist sie ja so festgeschrieben, diese mediale Förderung der europäischen Integration!


Wenn wir uns diese "Vorschrift" für die öffentlich-rechtlichen Medien einmal genauer ansehen, dann wird einiges noch klarer: Laut der "Bundeszentrale für politische Bildung" bezeichnet die "europäische Integration" die immer engere Zusammenarbeit europäischer Staaten, die Entwicklung der Gemeinschaft von der Montanunion bis zur EU von heute und den prinzipiell nicht abgeschlossenen Prozess der europäischen Einigung. Die europäische Integration ist durch eine Reihe von Erweiterungen (Aufnahme neuer Mitglieder) und Vertiefungen (Intensivierung der Zusammenarbeit) gekennzeichnet. Sie beruht auf supranationaler und intergouvernementalerZusammenarbeit.


Mit "supranational" ist der Zusammenschluss von Staaten gemeint, die ihre nationalen Souveränitätsrechte teilweise auf gemeinsame Institutionen übertragen. Beispiel: Die Organe der EU entscheiden nach dem Mehrheitsprinzip in bestimmten Politikbereichen (Binnenmarkt, Agrarpolitik, Währungsunion) verbindlich für alle Mitgliedstaaten. Dagegen muss bei der intergouvernementalen Zusammenarbeit ein Konsens aller hergestellt werden.


Und "intergouvernemental" wiederum ist eine zwischen Regierungen stattfindende Zusammenarbeit, die einer Einstimmigkeit unter den teilnehmenden Ländern bedarf.

Zusammengefasst ist im deutschen "Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien" die "Vorschrift" verankert, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die europäische Integration fördern sollen und damit einen Zusammenschluss von Staaten, die ihre nationalen Souveränitätsrechte teilweise auf gemeinsame Institutionen übertragen haben, wie die EU!


Das kann man getrost als "Staatsfernsehen" ansehen! Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage, was aus jenen Journalisten wird, die aufgrund der desaströsen Entwicklung der EU-Politik der letzten Jahre, einer (weiteren) europäischen Integration nicht mehr zustimmen, ihr die rote Karte zeigen? Sich von der Aufgabe der Souveränitätsrechte der einzelnen Mitgliedsländer zugunsten einer Übertragung auf die EU abwenden? Sind diese nicht mehr "medienkonform" mit dem, was im Rundfunkstaatsvertrag festgelegt wurde? Können diese deshalb nicht (mehr) so berichten, wie es eigentlich ihr Job sein sollte - objektiv? Wird deshalb Kritik entweder erst gar nicht zugelassen oder wenn doch, dann weichgespült?


Wo also bleibt die hierzulande vielgelobte Pressefreiheit, wenn in einem Rundfunkstaatsvertrag schon die Richtung der politischen Berichterstattung festgeschrieben wird (nämlich die "europäische Integration" zu fördern), statt - wo erlaubt - zu kritisieren?


Liegt aufgrund einer solch "verordneten" Meinungsbildung Deutschland deshalb in der "Rangliste der Pressefreiheit" letztes Jahr sogar noch hinter Jamaika, nur auf Platz 17?


Darüber sollten sich alle Kollegen einmal Gedanken machen, die in diesen dramatischen Zeiten der Spannungen zwischen dem Westen und Russland vorschnell auf Herrn Putin zeigen!



Der Autor des Kommentars, Guido Grandt, ist deutscher investigativer Wirtschafts-Politik- und Gesellschafts-Publizist und TV-Redakteur. Website: guidograndt.wordpress.com

Die Meinung des Autors stimmt nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.


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