Guido Grandt

Publizist, Freier TV-Redakteur, Verleger, Geschäftsführer, Balingen

1 Abo und 0 Abonnenten
Artikel

Vor der Europawahl: Lügen, vertuschen, verschweigen!

Die Europawahl steht vor der Tür und die Angst der etablierten Parteien vor der immer stärker wachsenden EU- und Euro-Verdrossenheit der Wähler hat ihren Höhepunkt erreicht. Oder - je nachdem, ob man das Glas halbvoll oder halbleer sehen will: der Glaube der Bevölkerung an das politische System ist auf einem historischen Tiefpunkt angelangt.


Zu den Ängsten der Eurokraten gehört ebenso das Kippen der Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht in Deutschland. Ende Februar 2014 stellte das Bundesverfassungsgericht nämlich fest, dass diese Sperrklausel verfassungswidrig ist, gegen die Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien verstößt.


Durch den Wegfall dieser Hürde können nun bei der Europawahl am 25. Mai 2014 auch kleinere Parteien ins Europäische Parlament einziehen. Da Deutschland insgesamt jedoch nur 99 Sitze (nach der Wahl im Mai noch 96) von 766 (751) innehat, würde dies ein Machtverlust der bisherigen Parteien aus CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und Linken bedeuten. Konkret: wenn europakritische Parteien mit ins Parlament gewählt werden, dann wird es schwieriger, die bisherige Politik weiterzuführen. Zudem kann es für alteingesessene Volksvertreter den Verlust der lukrativen Posten in Straßburg bedeuten, die doch so begehrt sind.


Es geht also um alles - und nicht nur um die Wurst, wie die Deutschen sagen. Gerade deshalb werden wichtige Fakten zur bisherigen Europapolitik verschwiegen, den Bürgern bewusst vorenthalten. So etwa, dass trotz aller Bemühungen der Eurokraten die Schulden in Südeuropa weiter ansteigen. Beispiele hierfür gibt es genug: Spanien kämpft mit einer Rekord-Staatsverschuldung. Jene von Italien, Frankreich, Portugal und Griechenland klettert ebenfalls unaufhaltsam nach oben. "EU-Superstar" Norwegen weist zwischenzeitlich eine höhere Privatverschuldung als die USA auf. Die Bonität der einstigen "Musterschüler" Finnland und Belgien ist gefährdet. Eine Studie des renommierten Wirtschaftsforschungsinstituts Capital Economics kommt zu dem Schluss, dass die Niederlande deutlich reicher wäre, wenn sie die EU verlassen würde. Und zu allem Überfluss wird Europa noch von einer Deflation bedroht...


Das alles sieht wahrlich nicht nach einem dauerhaften Aufschwung aus, sondern genau nach dem Gegenteil: Hinter verschlossenen Türen geht bereits das Gespenst eines Euro-Crashs um! Aber auch davon berichten die Mainstream-Medien nicht, sondern transportieren - größtenteils kritiklos - die Beteuerungen der Eurokraten weiter, die Krise sei überwunden. Sie helfen dabei mit, ein realitätsfernes Bild von Stabilität, Sicherheit und Zufriedenheit zu zeichnen. Sie biedern sich der "Alles-ist-gut"-Lüge der Politiker regelrecht an!


Wie bereits gesagt - es wird vertuscht und verschwiegen. Von allen Seiten. So wird auch nicht an die große Glocke gehängt, dass die Sparprogramme, die den südlichen EU-Mitgliedsstaaten von der Troika, bestehend aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds, auferlegt wurden, gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen. Schlimmer noch ist, dass die diktierten Troika-Sparmaßnahmen europaweit die soziale Stabilität gefährden! Dabei gibt es keinen Ausnahmezustand, der einen solchen Rechtsbruch rechtfertigen würde.


Zu diesem Schluss jedenfalls kommt das Rechtsgutachten von Andreas Fischer-Lescano, Professor für europäisches Recht und Politik an der Universität Bremen, der vom europäischen Gewerkschaftsbund beauftragt wurde, die Legalität des "Memorandum of Understanding (MoU) zu untersuchen. Dieses Memorandum beinhaltet die Sparmaßnahmen, denen sich die Krisenländer unterwerfen müssen, um so an finanzielle Hilfen aus EU-Töpfen zu kommen. Das MoU wird zwischen ihnen und den Kreditgebern der Troika beschlossen.


Dem Rechtsgutachten nach führt die von Bundekanzlerin Angela Merkel dominierte Politik zu massiven Grundrechtsverletzungen, zu gesellschaftlichen Schäden und zu einem Ausspielen der EU-Mitgliedsstaaten gegeneinander. Damit liegt eine Verletzung der EU-Grundrechte-Charta vor. Viele Vorgaben der Troika sind rechtswidrig. Konkret: Das MoU greift nicht nur in Grund- und Menschenrechte ein, sondern verletzt ebenso die Individual- und Kollektivrechte, beschneidet beispielsweise die Tarifautonomie, Rechte im Gesundheitsbereich und jene bei der sozialen Sicherung. Verschwiegen wird der breiten Öffentlichkeit auch, dass das portugiesische Verfassungsgericht die Umsetzung einzelner Klauseln des Troika-Memorandums bereits für verfassungswidrig erklärt hat. Wen wundert's noch?


Hinzu kommt, dass das Rechtsgutachten weiterhin besagt, dass die EU-Politik die Konflikte fälschlicherweise als "nationale" statt als "soziale" Konflikte darstellt. Fischer-Lescano betont, dass Merkels Politik Europa spaltet und ruiniert, dass dafür auch die Deutschen noch bitter bezahlen müssen. Aber auch darüber hört man hierzulande nichts.


So werden Menschen in den EU-Krisenstaaten für ein flächendeckendes europäisches Politikversagen nicht nur verantwortlich gemacht, sondern auch darüber belogen. Genau das ruft - wie kann es auch anders sein - die zu Recht gefürchteten nationalistischen Ressentiments hervor. Allerdings bekämpft man rechtspopulistische Parteien nicht mit Lügen, Halbwahrheiten und Vertuschungen, sondern mit der Wahrheit. Vielleicht gerade deswegen, weil auch hier die demokratischen Kräfte versagen, finden die nationalen Extremisten regen Zulauf: Von Madrid bis nach Berlin.


Jura-Professor Fischer-Lescano stellt außerdem fest, dass die Staaten, die sich dem Troika-Sparprogramm beugen müssen, sich juristisch vor dem Europäischen Gerichtshof oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dagegen wehren können. Und nicht nur die einzelnen Mitgliedsländer, sondern auch jeder betroffene Bürger selbst - jeder Arbeitnehmer, jeder Rentner, jeder Patient. Deshalb sollten Betroffene diese Möglichkeit nutzen, um gegen diese zum Teil rechtswidrige und ökonomisch unsinnige Politik zu klagen!


Nur so können die schlimmsten sozialen Zustände in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs beendet werden. Ansonsten wird der EU-Moloch seine Bürger mit Haut und Haaren fressen, um sie wieder finanziell ausgebeutet, ihrer Würde beraubt, krank und arbeitslos auszuspucken. Sie entwürdigt zurücklassen - auf dem Friedhof einer wahnsinnigen Austeritätspolitik!


Der Autor des Kommentars, Guido Grandt, ist deutscher investigativer Wirtschaftspolitik- und Gesellschafts-Publizist und TV-Redakteur.

Die Meinung des Autors stimmt nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.


Zum Original