Welche Folgen hätte die Vertiefung für die Unterelbe? Umweltverbände warnen - wie immer.
Der Hamburger Hafen ist Drehscheibe des Güterverkehrs und wichtigster Arbeitgeber der Region. Über ihn wickelt Deutschland den Großteil seiner Exporte ab. Doch er liegt nicht am Meer, sondern etwa 100 Kilometer landeinwärts. Damit die im Laufe der letzten 200 Jahre ständig größer gewordenen Frachtschiffe Hamburg gefahrlos anlaufen konnten, wurde die Fahrrinne der Elbe seit 1818 acht Mal vertieft: Von einst 3,5 Metern Tiefe auf heute 14,9 Meter.
Für die neuesten Containerriesen reicht auch das nicht mehr aus. Voll beladen können sie den Hamburger Hafen nicht mal mehr bei Hochwasser erreichen. Damit er wettbewerbsfähig bleibt, soll die Elbe noch einmal ausgebaggert werden - um etwa ein bis zwei Meter. Doch Umweltschützer warnen, dies könne dem Lebensraum Unterelbe den Todesstoß versetzen.
Dabei sind Baggerarbeiten auf der Unterelbe Alltag. Um die Solltiefe der Fahrrinne zu erhalten, wird auf der Strecke zwischen Hamburg und Cuxhaven laufend gebaggert. Denn Sedimentablagerungen sorgen immer wieder für Verflachungen der Rinne und die stellen eine Gefahr für die Schifffahrt dar. Saugbaggerschiffe befördern das Sediment an die Oberfläche: "Ein Schleppkopf wird auf Grund abgelassen und dann wird Wasser mit hohem Druck in den Boden eingespritzt, damit der sich locker löst", erläutert Jörg Osterwald von der zuständigen Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV). "Danach saugt eine große Pumpe das Sand-Wasser-Gemisch in den Schiffsladeraum."
Ein mittelgroßes Saugbaggerschiff bietet Platz für etwa 10.000 Kubikmeter. Ist der Laderaum voll, fährt das Schiff an eine Stelle in der Elbmündung, die außerhalb der Fahrrinne liegt. Dort werden die Bodenluken des Schiffes geöffnet und das Baggergut verklappt. Ein Teil des Sediments kommt auch bei Aufspülungen und Baumaßnahmen zum Einsatz. Viele Inseln in der Unterelbe bestehen aus Baggergut vom Elbgrund.
Doch mit der ständigen Unterhaltungsbaggerung ist es nicht länger getan. Weil immer größere Containerfrachter unterwegs sind, brauche Deutschland eine weitere Elbvertiefung, die Osterwald lieber als "Fahrrinnenanpassung" bezeichnet. Umweltverbände wollen diese um jeden Preis verhindern: "Wir halten die jetzt geplante Elbvertiefung für ökologisch nicht mehr vertretbar", sagt Manfred Braasch, Geschäftsführer des Hamburger Landesverbandes des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Braasch war maßgeblich daran beteiligt, dass die Elbvertiefung vom Bundesverwaltungsgericht vorläufig gestoppt wurde - zum Entsetzen der Hafenwirtschaft. Der Fluss sei in den letzten Jahrzehnten bereits mehrfach vertieft worden. "Wir bewegen uns möglicherweise jetzt auf einen Kipppunkt hin, wo das ganze System rutschen kann. Das hat insbesondere mit den veränderten Strömungsverhältnissen und der Tide-Energie zu tun, die durch so eine Vertiefung des Flusses noch zusätzlich verstärkt wird."
Die Unterelbe wird auch als Tideelbe bezeichnet, denn sie steht unter dem Einfluss der Gezeiten, die bis in den Hamburger Hafen wirken. Der Tidehub bezeichnet die Differenz zwischen Niedrig- und Hochwasser. Er hat sich in den letzten 150 Jahren verdoppelt: von 1,75 Meter auf 3,50 Meter. Dafür verantwortlich sind nicht nur die Vertiefungen der Fahrrinne, sondern auch der Verlust von Überschwemmungsflächen etwa durch Vordeichungen, die Verfüllung von Hafenbecken, Absperrungen von Nebenflüssen etc. Vor allem die Deichbaumaßnahmen der 1960er-Jahre haben sich stark ausgewirkt, sagt Osterwald.
Die nächste Vertiefung werde dagegen kaum Einfluss auf den Tidenhub haben, da Bodenschwellen im Seitenbereich der Fahrrinne die Strömung zügeln werden. Solche "Strombaumaßnahmen" hätten sich bereits bei der letzten Vertiefung bewährt. "Wir erwarten bei der weiteren Fahrrinnenanpassung unter ungünstigsten Bedingungen zwei Zentimeter höheres Hochwasser und drei Zentimeter niedrigeres Niedrigwasser", sagt Osterwald, "also insgesamt maximal fünf Zentimeter Veränderung im Tidenhub."
Die Umweltverbände überzeugt das nicht. Bereits kleinste Veränderungen könnten dramatische Auswirkungen haben. So führe die geplante Elbvertiefung zu mehr Salzwasser in der Unterelbe, vernichte wertvolle Flachwasserzonen und verschlechtere die Sauerstoffversorgung des Flusses. Mit den gleichen Befürchtungen waren die Verbände bereits gegen die letzte Vertiefung angetreten, die im Dezember 1999 begann. Das Wasser- und Schifffahrtsamt hat damals ein Beweissicherungsprogramm gestartet, um die eigenen Prognosen später überprüfen zu können.
Die Daten der Messbojen erlauben fundierte Aussagen über die Auswirkungen der letzten Vertiefung. So habe sich die Strömungsgeschwindigkeit, anders als von Umweltverbänden befürchtet, kaum verändert. "Wir lagen mit unseren Prognosen auf der sicheren Seite", sagt Osterwald. Die Veränderungen seien weit geringer gewesen, als in der Umweltverträglichkeitsprüfung prognostiziert. Weit größere Auswirkungen werde der Klimawandel und der damit verbundene Meeresspiegelanstieg haben.
Manfred Braasch befürchtet jedoch auch "eine Verschlechterung der Sauerstoffverhältnisse". Schon heute gebe es "an der Elbe in den Sommermonaten kritische Zustände". Dabei sind periodisch auftretende Tage mit Sauerstoffmangel nichts Neues. Verantwortlich dafür sind vor allem die Gewässertemperaturen und die Biomassezufuhr aus dem Oberlauf, etwa in Form von Algen. Sterben diese ab, werden sie von Bakterien unter Sauerstoffverbrauch zersetzt.
"Es gibt eine Reihe von Gründen, die auf den Sauerstoffwerte in der Elbe Einfluss haben", sagt Braasch, "aber natürlich auch die Flussvertiefung". Denn dadurch gebe es mehr tiefe Bereiche, in denen es zu Abbauprozessen kommt. "Wir vergrößern mit der Vertiefung den Wasserkörper etwas, dieses aber in einem so kleinen Bereich, dass es nicht messbar und beobachtbar in der Natur ist", widerspricht Jörg Osterwald. Entscheidend seien andere Faktoren.
Tatsächlich gab es vor der deutschen Wiedervereinigung weit mehr Tage mit Sauerstofflöchern als heute. Damals war die Elbe voller Giftstoffe, so dass kaum Algen wuchsen. Inzwischen gelangen kaum noch Gifte in den Fluss. Die Nährstoffe, wie etwa Stickstoff und Phosphor aus der Landwirtschaft, sind aber noch da. Folge: Es kommen mehr Algen aus der Mittel- in die Unterelbe, wo sie in den Tiefen des Hamburger Hafens absterben und anschließend unter Sauerstoffverbrauch zersetzt werden.
Die letzte Elbvertiefung zeigte nicht die dramatischen Auswirkungen, die Umweltverbände befürchtet hatten. Nach wie vor gibt es hier einzigartige Lebensräume mit Süßwasserwatten und Auwäldern. Fast die gesamte Tideelbe steht unter Naturschutz. Hier brüten nicht nur Kormorane und Adler, auch Robben und neuerdings sogar Schweinswale werden gesichtet.
Hier leben aber auch salzempfindliche Arten, und für die könne die Vertiefung des Flusses von Nachteil sein, so der BUND. Die Brackwasserzone mit salzhaltigem Wasser aus der Nordsee werde sich Richtung Hamburg verschieben. "Damit verkleinert sich zum Beispiel für bestimmte Fischarten der Lebensraum zwischen Hamburger Hafen und dem Beginn dieser Brackwasserzone", sagt Braasch.
Der Gutachter Dirk Wolters von der IBL Umweltplanung GmbH in Oldenburg hat im Auftrag der Behörden die Umweltverträglichkeit der geplanten Vertiefung untersucht. Er hält das Argument der Versalzung nicht für stichhaltig: Die sogenannte Verschiebung der Brackwasserzone finde in einem Bereich statt, der von beständigen, enormen Salzgehaltsschwankungen geprägt ist: "Die natürlichen Schwankungen sind viel größer als das, was man überhaupt einem Ausbau zumessen kann", sagt Wolters.
Dennoch sei die Elbvertiefung ein Eingriff in die Natur. Und dieser müsse laut Gesetz voll ausgeglichen werden. Geplant sind insgesamt 15 Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, unter anderem an und auf der Elbinsel Schwarztonnensand. Diese entstand übrigens aus dem Baggergut einer früheren Vertiefung und soll nun "naturschutzfachlich" aufgewertet werden.
"In der Inselmitte sollen Vertiefungen geschaffen werden, die bei sommerlichen Hochwässern geflutet werden", erläutert Wolters. "Auf ungefähr einem Hektar Fläche soll der für diesen Lebensraum typische Tideweidenauwald entwickelt werden". Zudem soll die Schwarztonnensander Nebenelbe ausgebaggert werden, so dass dort wieder mehr Flachwasserzonen entstehen. "Wir haben aus der vorangegangenen Fahrrinnenvertiefung eine Bilanz von über zehn Jahren Erfahrung", sagt Osterwald, "und wir wissen, dass wir viel mehr für die Natur tun, als wir tatsächlich an Auswirkungen später haben werden."
Containerriesen sparen CO2So hätte die Elbvertiefung keineswegs nur Nachteile für die Natur. Zumal die Ökobilanz des Schiffsverkehrs vergleichsweise positiv ist. Die Umwelt profitiert durch niedrigere Emissionen, wenn große Gütermengen in großen Containerschiffen gebündelt werden. Besonders wenn diese bis weit ins Hinterland fahren können wie etwa zum Hamburger Hafen. Verglichen damit wären LKW-Transporte aus dem konkurrierenden Hafen Rotterdam nicht gerade ein Segen für die Umwelt.
W wie Wissen, 26.5.13
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