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Beyond Spring: Arabische Filme jenseits medialer Klischees

In einem Luxus-Resort im ägyptischen Scharm el-Scheich bricht ein neuer Tag an. Das Reinigungspersonal macht sich an die Arbeit. Das Frühstücksbuffet wird aufgetischt. Aus den Lautsprechern des Pools ertönt eine Ansage in mehreren Sprachen, die zur morgendlichen Gruppengymnastik einlädt. Die Musik geht los. Das sechsköpfige Animationsteam beginnt, eine Choreografie aufzuführen. Der Alltag folgt hier einem einstudierten Skript, als ob der Ferienort auf der Sinai-Halbinsel wie in den Neunziger- und Nullerjahren von westlichen Touristen überströmt wäre. Doch diese bleiben dem Land seit den postrevolutionären Unruhen und den Terroranschlägen von 2015 fern. Die Flure und Zimmer der Hotelanlage sind unbewohnt, der Pool menschenleer, der Strand gespenstisch.

Geisterstadt am Roten Meer

Die Dokufiktion Dreamaway des deutsch-ägyptischen Regie-Duos Johanna Domke und Marouan Omara erzählt von der Perspektivlosigkeit der jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem der vielen verlassenen Resorts am Roten Meer. Dass ausgerechnet der berühmte Sehnsuchtsort und die Tourismushochburg Scharm el-Scheich zur verlassenen Geisterstadt-Kulisse wird, wirkt absurd und poetisch zugleich. Dabei stehen die Schicksale der Protagonistinnen und Protagonisten für die einer ganzen Generation.

Dreamaway feierte 2018 seine Weltpremiere auf dem Karlovy Vary International Film Festival und kam Anfang 2019 in die deutschen Kinos. Am 19. September wird der Film die arabische Filmreihe Beyond Spring in der Berliner Werkstatt der Kulturen nach einer Sommerpause wiedereröffnen. Kuratiert wird die Reihe von der freischaffenden Regisseurin, Filmwissenschaftlerin und promovierten Orientalistin Viola Shafik.

Dreamaway legt den Fokus auf die Schicksale und Perspektiven der jungen Generation in Ägypten und spricht die postrevolutionäre Lage im Land nur indirekt an. Damit verkörpert der Film fast buchstäblich das Konzept der 2014 gegründeten Filmreihe Beyond Spring, welches schon im Titel enthalten ist: „Wir wollen Inhaltliches über die arabische Welt vermitteln und Informationen liefern, die sonst in den Medien nicht zu finden sind“, sagt Kuratorin Viola Shafik. „Das Publikum soll neue Sichtweisen auf die arabische Welt erhalten, die über die im Westen als ‚arabischer Frühling‘ bezeichnete Protestwelle hinausgehen.“ Es gehe darum, die Region in ihrer Komplexität zu zeigen, anstatt die oft vereinfachende Darstellung deutscher Medien zu bedienen. „Selbst die Bezeichnung ‚arabischer Frühling‘ ist höchst fragwürdig“, findet Shafik. So werde das Bild einer neuen Ära vermittelt, als ob arabische Menschen davor kein Interesse an Demokratie gehabt hätten. „Das ist ein unglaubliches Vorurteil, denn es gab schon in der Kolonialzeit in allen arabischen Ländern Menschen, die für Freiheit gekämpft haben und dafür ins Gefängnis gekommen oder gestorben sind.“ Außerdem, so die Kuratorin weiter, würden Diktaturen im Nahen Osten durch das internationale Gefüge unterstützt.

Schwerpunkt Dokumentarfilm

Beyond Spring entstand 2014 auf Initiative des deutsch-ägyptischen Vereins Mayadin al-Tahrir e.V. und wird in Zusammenarbeit mit dem EUME (Europe in the Middle East – The Middle East in Europe), einem Forschungsprogramm am Forum Transregionale Studien, veranstaltet. Einmal im Monat werden Filme aus verschiedenen arabischen Ländern gezeigt, begleitet von Diskussionen mit Expertinnen und Experten. Besondere Aufmerksamkeit schenkt die Reihe Dokumentarfilmen aus der arabischen Welt. Diese Kategorie werde in Europa wenig wahrgenommen, obwohl in dem Bereich viel experimentiert werde, sagt Shafik. Auch experimentelle Kurzfilme und Spielfilme werden gelegentlich ins Programm aufgenommen.

Bis Ende des Jahres sind neben Dreamaway vier weitere Vorführungen geplant. Im Oktober läuft You come from far away der ägyptischen Filmemacherin Amal Ramsis, ein dokumentarischer Beitrag über die Geschichte einer palästinensischen Familie, die in den Dreißigerjahren während des spanischen Bürgerkriegs in den antifaschistischen Widerstand eingebunden ist. In Kooperation mit dem Soundwatch Berlin Music Filmfestival zeigen die Veranstalter im November zwei Musikdokumentationen: Shayne von Stephan Geene, ein Filmporträt des in Kairo geborenen und in Europa zum Schlagerstar gewordenen Ricky Shayne, sowie The Man Behind the Microphone von Claire Belhassine, einen Film über die Geschichte von Hedi Jouini, dem „tunesischen Frank Sinatra“. Im Dezember soll The House of Saud von Jihan El-Tahri, ein ägyptisch-französischer Dokumentarfilm über die saudische Königsfamilie, das Jahr abschließen.

Mediale Lücken füllen

Thematisch sind dem Programm keine Grenzen gesetzt, doch Schwerpunkte und Richtlinien für die Auswahl der Filme gibt es durchaus: „Uns liegen alle Themen besonders am Herzen, die mit Vielfalt, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit zu tun haben“, so Shafik. „Parallel versuchen wir Themen, die für die deutsche Öffentlichkeit relevant und aktuell sind, zu begleiten“. So fügte die Kuratorin im Juni dieses Jahres spontan den Film Beats of the Antonov von Hajooj Kuka ins Programm ein. Mit der anschließenden Podiumsdiskussion über den Aufstand im Sudan habe sie eine Lücke füllen wollen. Denn die deutschen Medien hätten über die Ereignisse kaum berichtet.

Besonders präsent im Programm von Beyond Spring waren bisher Beiträge aus Ägypten, Palästina und dem Libanon, doch das dezidierte Ziel der Reihe bleibe, den Fokus auszuweiten und sich auch mit anderen arabischen Ländern auszutauschen, betont Shafik. An diesem Austausch nehme laut der Kuratorin ein bereits sehr gemischtes Publikum teil: „Das Spektrum reicht von informierten Stammgästen, von denen viele aus arabischen Ländern stammen, bis hin zu Filminteressierten ohne Bezug zur Region“. Die Veranstalter sind stets darum bemüht, neue Menschen anzusprechen. Dazu soll auch die Zusammenarbeit mit dem Soundwatch Berlin Music Film Festival im kommenden November dienen.

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