Ein One-Night-Stand ohne Sex, dafür nur mit Kuscheln?
Wenn es nach Elisa Meyer (31) geht, sollte man genau das tun. Erst vor knapp einem Monat ist sie von Wien nach Leipzig gezogen. Dort gründete sie die „ Kuschelkiste". Das Konzept dafür hat sie aus Amerika: Sie kuschelt mit Menschen und gibt ihnen dadurch ein gutes Gefühl, fährt sogar zu ihnen nach Hause. 60 Euro kostet eine Stunde. Die Kunden können auch zu ihr kommen:
Regentropfen klopfen wie Finger an das Fenster. Elisa sitzt auf ihrer Kuschelcouch und verrät, warum das keine Prostitution ist, wie sie mit depressiven Kunden umgeht und was ihr Freund dazu sagt.
NOIZZ: Du gehst zu fremden Menschen nach Hause und bekommst dafür Geld. Wo ist da der Unterschied zur Prostitution?
Elisa Meyer: Ich küsse meine Kunden nicht und habe auch keinen Sex mit ihnen, es geht einzig um die Berührung. Studien belegen, dass durch eine Umarmung bis zu 50 Prozent von Schmerzen gelindert werden können. Eine Umarmung ist besser als eine Kopfschmerztablette. Eine Berührungstherapie ist auch eine gute Ergänzung zur Psychotherapie, Therapeuten dürfen ja nicht anfassen. In Wien habe ich schon mit zweien zusammengearbeitet, die mich dann weiterempfohlen haben.
Wie genau läuft denn so ein Treffen mit dir ab?
Elisa: Meist sind die Treffen am Vormittag vor der Arbeit oder abends zum Entspannen. Die Kunden kontaktieren mich über die Website. Viele schicken auch ein Bild mit, weil sie unsicher sind und zeigen wollen: Sie sind keine unangenehmen Menschen. Ich versichere ihnen, dass ich mit jedem kuschle. Dann machen wir einen Termin aus. 80 Prozent kommen zu mir, 10 Prozent treffe ich im Hotel und in 10 Prozent der Fälle gehe ich zu ihnen. Es gibt ein Vorgespräch, das mindestens 10 Minuten dauert. Dabei höre ich mir ihre Probleme an, ihre Geschichte, aber auch ihre Wünsche. Wo und wie fest sie gestreichelt werden möchten etwa. Und dann unterschreiben sie noch einen Vertrag.
Einen Vertrag fürs Kuscheln?
Elisa: Das ist wichtig, darin steht auch, unter welchen Bedingungen ich ein Treffen abbrechen kann. Etwa, wenn jemand aufdringlich wird oder Sex will, darf ich ihn nach einer Ermahnung rauswerfen. Soweit ist es aber noch nie gekommen. Vorher dürfen auch keine Drogen konsumiert werden. Und sauber muss man sein.
Was ist, wenn doch jemand unangenehm riecht?
Elisa: Ich biete den Kunden an, dass sie meine Dusche benutzen können, einige machen das tatsächlich. Ansonsten habe ich Kaugummis da und esse auch mal einen mit. Aber den Extremfall, dass jemand die ganze Zeit Blähungen oder so hatte, hatte ich bis jetzt noch nicht. Aber man sollte mit allem so natürlich wie möglich umgehen. Das habe ich in meiner Ausbildung gelernt.
Wo hast du das alles gelernt?
Elisa: Ich habe zwei Fernkurse gemacht. Einen in den USA und einen in Großbritannien. Ich habe mir Videos mit Vorlesungen angeschaut und musste eine Hausarbeit schreiben. Außerdem sollte ich Kuschelsessions mit mindestens sechs Leuten machen. Die Kunden mussten mich danach bewerten und sagen, wie es für sie war. Am Ende habe ich zwei Zertifikate bekommen.
Elisa erzählt von Hormonen wie dem Oxytocin, von biologischen Vorgängen, die im Körper ablaufen, wenn man sich umarmt. Kuscheln hört nicht beim Anfassen auf. Flüchtige Berührungen etwa senken den Cortisol-Spiegel, also das Stresslevel im Blut. Sie sagt, das Schönste ist, wenn ihre Kunden zum Schluss strahlen, wenn es aussieht, als ob jemand die Sorgenfalten glattgebügelt hätte. Einmal hat jemand ihr hinterher geschrieben, er habe im Fußballspiel drei Tore geschossen, alles nur wegen ihr.
Was sind das für Leute, die zu dir kommen?
Elisa: Das sind jetzt nicht besonders perverse, dicke oder picklige Menschen. Eher unauffällige, wie man sie im Zug sieht oder beim Bäcker. Also zumindest äußerlich. Innerlich haben die meisten schon einiges mitgemacht: Viele hatten oder haben Probleme mit ihrer Mutter, weil sie keine Nähe zulässt. Der Vater ist oftmals gar nicht da. Ihnen fehlt ein Partner, um das zu kompensieren.
Also stimmt das Klischee vom einsamen Großstädter.
Elisa: Ja, ich denke schon. Die meisten kommen vorrangig zu mir, weil sie keinen zum Reden haben, Männer zwischen 40 und 60. Angestellte, die durchschnittlich verdienen, und wissen, dass Kuscheln schon eine kleine Investition ist. In Wien hatte ich zwei bis drei Kunden pro Woche, darunter auch einige Stammkunden. Hier in Leipzig sind das noch nicht so viele, vielleicht im Durchschnitt einer die Woche.
Aber dann machen wir als Gesellschaft doch auch was falsch.
Elisa: Wir Nordeuropäer sind ziemlich unterkühlt, geben uns zur Begrüßung meist nur die Hand und nicht etwa Küsschen wie die Franzosen. Dazu kommt, dass immer mehr Menschen alleine wohnen, dabei braucht man mindestens drei Umarmungen pro Woche! Wenn man nicht mehr Zuhause wohnt, wird das als Single aber schwierig, man hat Berührungsmangel. Und jetzt geht ja auch niemand in den Club, um jemanden zum Kuscheln aufzureißen. Ein One-Night-Stand impliziert ja Sex. Es gibt da einfach eine Lücke zwischen Massage, Wellness und Prostitution.
Bei einem One-Night-Stand nur Kuscheln?
Elisa: Warum denn nicht? Kuscheln ist in unserer Gesellschaft viel zu sexualisiert. Berühren ohne Hintergedanken gibt es kaum noch. Bei den Treffen trage ich auch extra brave, freundliche Kleidung: eine bequeme, graue Jogginghose und ein rotes Schlabbershirt. Es soll ja nichts verrutschen und die Stimmung ungewollt aufladen. Auch meine Kunden tragen einen Schlafanzug. Wie hören Musik zum Entspannen, vor allem Naturklänge und das Hang-Instrument.
Elisa wirkt wie ein fröhlicher Mensch, der noch diesen unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen hat, ein Urvertrauen, weshalb sie fremden Menschen ihre Nummer geben kann, sie in ihre Wohnung lassen oder zu ihnen fahren kann. Nur wenn sie weit nach draußen in Wien musste, hat sie mal einem Freund die Kontaktdaten gegeben. Sie sagt, im Notfall kennt sie die Basics der Selbstverteidigung. Auch mit ihren Fingernägeln könne sie sich wehren.
Wie gehst du damit um, wenn dir jemand von Depressionen und Selbstmordgedanken erzählt?
Elisa: Ich rate ihnen, sich professionelle Hilfe zu suchen, also etwa in Therapie zu begeben. Und ich höre ihnen zu, weil das niemand anderes tut. Oft hilft es schon, Dinge einfach mal auszusprechen, dann sind sie schon weniger schlimm. Dabei nehme ich sie in den Arm und bin nett zu ihnen. Neben der Couch steht immer eine große Taschentuchpackung. Und ganz wichtig: Ich bewerte nichts und bleibe neutral.
Wie schaffst du es, dass dich das selbst nicht so mitnimmt?
Elisa: Ich kann das ganz gut, wenn ich meine Kuschelklamotten ausziehe, dabei streife ich auch die Sorgen meiner Kunden mit ab. Außerdem mache ich Yoga, höre Musik, gehe zum Sport und versuche, nicht daran zu denken. Für die anderen 13 Kuschler bin ich eine Art Supervisorin, das heißt, ich höre mir ihre Probleme an.
Kuscheln Männer und Frauen anders?
Elisa: 80 Prozent meiner Kunden sind Männer, aber immerhin 20 Prozent Frauen. Männer können eher zupacken und einen umarmen. Frauen können dafür besser streicheln. Ich vermute, das ist so eine Erziehungssache. Männern wird immer gesagt, sie sollen stark sein und keine Schwäche zeigen, deshalb fällt ihnen das Kuscheln etwas schwerer. Sie streicheln eher, als ob sie eine Katze anfassen, wild in alle Richtungen. Kommunikation ist echt wichtig, zu sagen, was einem gefällt und was nicht.
Was ist, wenn du dich verliebst?
Elisa: Ist mal passiert. Aber das ging nicht gut. Ich musste die Sitzungen abbrechen, normalerweise gebe ich nichts Privates von mir preis, um die nötige Distanz zu wahren. Wir haben uns auf einen Kaffee getroffen, aber gemerkt, dass wir uns gar nichts zu sagen haben. Beim Kuscheln waren wir auf einer Wellenlänge, aber bei allem anderen eben nicht.
Mit zwei Kunden könnte das doch dann vielleicht klappen.
Elisa: Das habe ich versucht, aber das ist nicht gut ausgegangen. Ich habe beide gefragt, ob es in Ordnung ist, wenn ich ihre Nummer weitergebe und habe das gemacht. Sie haben sich getroffen, aber irgendwie hat es nicht gepasst. Das sind Menschen, die viel Aufmerksamkeit brauchen in ihrem Leben, und wenn beide so sind, können sie sich gegenseitig nicht das geben, was sie brauchen.
Was ist, wenn du einen Kunden noch mal im richtigen Leben triffst?
Elisa: Das ist tatsächlich schon vorgekommen. Das war bei einem Schachturnier, er hat gespielt, und ich wollte einem Freund zusehen. Wir haben uns umarmt, kurz Small Talk gemacht, also ganz normal eigentlich.
Elisa spricht sehr vorsichtig und fast schon liebevoll über ihre Kunden, sie fühlt sich verantwortlich für sie. Manchmal weinen sogar Männer bei ihr, das letzte Mal hat vielleicht ihre Mama als Kind so mit ihnen gekuschelt. Nach einem Treffen schickt sie immer eine Mail und fragt, wie es jemandem geht, so drei, vier Tage später. Schon im Studium stand sie gerne mit „Free Hugs"-Schildern rum. Sie sagt, sie kann nicht wegsehen, wenn es jemandem schlecht geht und möchte helfen, sie hat das „Kuschel-Gen". Nur eine Sache nervt sie: Wenn die Leute immer wieder Hätte-Wenn-Szenarien durchsprechen wollen. Wenn ich damals den roten Pullover angehabt hätte, hätte sie sich nochmal mit mir getroffen. So in der Art.
Was sagt dein Freund dazu?
Elisa: Für Sebastian ist das vollkommen in Ordnung, er ist ja auch ein Kuschler. Er hat sich bei mir beworben, und dann haben wir uns getroffen und gemerkt, dass wir auch privat ganz gut können. Wir erzählen uns immer von den Leuten, mit denen wir gekuschelt haben und gehen offen damit um. Manchmal ist er ein bisschen eifersüchtig, weil unsere drei männlichen Kuschler nicht so viele Anfragen bekommen, Frauen haben da vielleicht noch größere Berührungsängste als Männer.
Was ist, wenn du schon den ganzen Tag gekuschelt hast und dein Freund noch kuscheln will?
Elisa: Manchmal fällt es mir tatsächlich schwer umzuschalten. Wenn ich den Tag über beruflich kuschle und abends dann mit meinem Freund, muss ich mich erst kurz daran gewöhnen, dass ich ihm ja unters T-Shirt fassen darf und mehr. Bei den Kunden mache ich das ja nicht. Bei meinem Freund kann ich mich fallen lassen und muss nicht daran denken: Habe ich ihn jetzt genauso oft berührt wie er mich? Jetzt bin ich wieder dran, weil der Kunde zahlt. Aber wir kuscheln beide gerne, und ein Zuviel gibt es da gar nicht.
Wie wird man Kuschler?
Elisa: Neue Kuschler schreiben mir meist eine E-Mail, und ich frage sie nach der Kuschelerfahrung, ob sie auch gleichgeschlechtlich kuscheln, wie sie mit Berührungen umgehen, nach Freunden. Viele antworten darauf gar nicht. Ich glaube, die brauchen eigentlich selbst die Kuscheleinheiten. Wenn alles passt, treffen wir uns aber.
Kann man davon leben?
Elisa: Momentan ist das mein Nebenberuf, ich bin noch Studentin. Ab dem nächsten Semester forsche ich an der Uni Leipzig in einer Postdoktorandenstelle bei Martin Grundwald, da geht es auch um Berührungen. In den USA kann man schon hauptberuflich Kuschler sein, ich würde das gerne in Deutschland einführen. Ich wünsche mir, dass die Krankenkassen diese Form der Therapie anerkennen, bei Sexualbegleitern für alte oder behinderte Menschen geht das schon.
Auch in Elisas Freundeskreis spielen Berührungen eine Rolle. Sie merkt, wie sich das langsam verändert: Wenn sie Freunde im Gespräch berührt, berühren diese sie zurück und machen das danach bei anderen Menschen. Sie findet, dass man öfter mit Bekannten Händchen halten oder sie umarmen sollte. Einfach so, weil das Stress reduziert. Und weil es schön ist.