Gerd Blank

Autor, Text, Podcast, Moderation, Hamburg

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Artikel

'Gorch Fock': 'Wir sind nicht das Müttergenesungswerk' / stern.de / 26.1.11

Sie ist das Aushängeschild der deutschen Marine, ein Botschafter Deutschlands auf den Weltmeeren. Doch wenn man den Berichten einiger Soldaten Glauben schenkt, sind die Zustände auf der "Gorch Fock" katastrophal: Unmenschlicher Drill und sexuelle Übergriffe gehören demnach zur Tagesordnung. Angehende Offiziere müssen sich von der Stammbesatzung drangsalieren lassen und erleiden furchtbare Qualen an Bord des Vorzeigeschiffs der deutschen Marine. Alles unter den Augen des Kapitäns. Auch im Jahresbericht der Bundeswehr ist von Fehlverhalten einzelner Soldaten die Rede.

Doch wie ernst kann man diese Anschuldigungen nehmen? Was ist dran an den rauen Sitten auf der "Gorch Fock", an den Ritualen, Saufgelagen und Quälereien? stern.de konfrontierte ein Mitglied der Stammbesatzung mit den Vorwürfen. Sven K.* ist unter anderem auch für die Ausbildung der Kadetten in der Takelage zuständig. Seine Antworten geben Einblick in die Gefühlswelt jener Männer, die sich und ihr Schiff gegen den Sturm der für sie vollkommen unberechtigten Kritik verteidigen wollen.

Sexuelle Übergriffe Ehemalige Absolventen diverser Offizierslehrgänge auf der "Gorch Fock" sprechen von sexuellen Übergriffen an Bord, sowohl Frauen als auch Männern gegenüber.

"Wir sind sechs Wochen an Bord, davon vier auf See. 20 bis 30 Frauen bei 150 Männern, da ist es normal, dass es zu sexuellen Spannungen kommt", sagt Marinesoldat Sven K. Zu sexuellen Übergriffen könne es aber eigentlich nicht kommen, das sei kaum machbar. Auf dem 90 Meter langen Schiff seien 220 Leute an Bord - da bekomme jeder alles mit. Man könne nicht mal ungestört auf Toilette gehen, so Sven K. Aber auch wenn es keine sexuellen Übergriffe gäbe, fänden sexuelle Beziehungen "natürlich" statt. "Wenn beide sich einig sind, spricht ja auch nichts dagegen." Bis zur letzten Tour seien solche Beziehungen auch geduldet worden, solange der Dienst nicht gestört wurde. Die besondere Situation an Bord bringe auch Paare hervor. "Man lernt sich an Bord sehr intensiv kennen, man redet über private Themen. Man hat an Bord kaum Privatsphäre, dadurch kommt man sich schnell näher", weiß Sven K. zu berichten.

Generell sind Frauen an Bord der ""Gorch Fock" ein großes Thema. Sven K. gibt zu bedenken, dass es bis vor 20 Jahren noch keine Frauen auf deutschen Marineschiffen gab. "Seefahrt ist nicht für Frauen gemacht, sie haben nicht die physische und psychische Stärke, um so lange auf See zu bleiben." Es gäbe zwar Ausnahmen, aber man höre ja nicht von ungefähr, dass sich Anwärterinnen vor Überanstrengung in den Schlaf geweint haben. "Frauen müssen dieselbe Leistung bringen wie jeder Mann, sonst brauchen sie sich nicht bei der Marine zu melden."

Brutaler Drill Kadetten mit Höhenangst sollen dazu gezwungen worden sein, in die Takelage zu klettern. Bei einer Weigerung wurde den Soldaten angeblich angedroht, dass sie das Schiff verlassen müssten.

Sven K. bestreitet, dass Offiziersanwärter zum Klettern gezwungen werden. Wer die Höhentauglichkeit nicht hat, darf nicht nach oben klettern und bleibt an Deck. Viele Leute haben ganz großen Respekt und Bammel davor. "Aber weil sie es selber toll finden, klettern die meisten rauf. Doch wenn jemand wirklich Angst hat, dann geht er nicht da rauf", sagt Sven K. Es sei zwar eine gewisse Gruppendynamik dabei, aber niemand würde gezwungen. "Bei uns kommen nur halbwegs intelligente Menschen an Bord, die wissen, wie sie sich zu wehren haben." Bei der täglichen Arbeit auf See könne es auch mal zu einem rauen Umgangston kommen, das sei allerdings laut Sven K. "ganz normaler Ausbildungsverstand. Wir sind nicht das Müttergenesungswerk. Das hat nichts mit menschenunwürdigem Verhalten zu tun".

Diensteignung Nach unterschiedlichen Aussagen sei ein Großteil der Besatzung körperlich überhaupt nicht in der Lage, seine Aufgaben auf dem Schulschiff zu übernehmen.

Bevor man auf das Schiff kommt, muss man gewisse Voraussetzungen erfüllen. Erst dann dürfen an Bord Dienste verrichtet werden. Dazu müssen Anwärter einen Fitnesstest und ein Leistungs-EKG absolvieren. Außerdem werden der Zahnstatus überprüft und Gleichgewichtssinn sowie Ausdauer getestet. Jeder muss diese Tests durchlaufen. Wer die Prüfung nicht besteht, kommt nicht an Bord.

Sven K. beschreibt, wie Offiziersanwärter vorbereitet werden:

"Von den Ausbildern gibt es Sicherheitsbelehrungen und Einstellungskontrollen, bevor es überhaupt rauf geht. Das Ausbildungspersonal erklärt und zeigt den Offiziersanwärtern in kleinen Gruppen, wie sie sich zu verhalten haben, wie der Gurt zu sitzen hat. Dann gibt es eine Belehrung darüber, was man beim Entern der Segel darf und was nicht. Darunter fällt auch Ruhe in der Takelage, damit Befehle, die von unten kommen, auch oben verstanden werden. Nicht rauchen, ganz klar. Und einpicken (festhaken, Anm. d. Redaktion) ist selbstverständlich. Aber dann muss man die Leute auch mal in rauem Ton anfahren, weil sie es einfach nicht machen, weil sie nicht daran denken. Dann kommt auch mal ein rauer Ton rüber. Dann gibt es noch eine Sicherheitsbelehrung. Erst wer das alles verinnerlicht hat, darf rauf."

Rituale Auf der "Gorch Fock" müssen sich neue Offiziersanwärter angeblich demütigenden Ritualen unterziehen.

Sven K. bestätigt, dass sich einige Anwärter Prüfungen unterziehen müssen, allerdings gäbe es eine Schonzeit: die Segelvorausbildung. Während dieser Schonphase würde den Auszubildenden alles mehrfach erklärt. Ist die Schonzeit vorbei, werde das sogenannte "Zehn von zehn" abgefragt. An Bord der "Gorch Fock" gäbe es jede Menge unterschiedlicher Nägel, rund 200 Stück. "Jeder Soldat muss diese Nägel kennen. Wenn jemand diese "Zehn von zehn" nicht kennt, bekommt er keine Mittagspause und muss stattdessen Namen und Funktion der Nägel lernen. Und das geht so lange, bis die Antworten stimmen. Kein Wunder, dass einige Offiziersanwärter davon müde werden", sagt Sven K.

Exzesse An Bord der "Gorch Fock" soll es unter der Stammbesatzung regelmäßig zu Saufgelagen kommen. Mehr noch: Kurz nach dem Unfalltod der Anwärterin soll die Mannschaft eine Karnevalsparty gefeiert haben.

"Es stimmt", sagt Sven K.,"wir haben zusammengesessen und Bier getrunken. Wir wollten auf andere Gedanken kommen." Von einer Party will der Marinesoldat aber nichts wissen. "Wenn ich diese Vorwürfe höre, werde ich wütend. Sechs Tage nach dem Unfall, einen Tag nach der Trauerfeier, mussten wir den Tod der Offiziersanwärterin noch verdauen."

Auf See haben die Soldaten die Erlaubnis, täglich maximal zwei kleine Dosen Bier zu trinken. Wenn gefeiert wird, finden die Partys ausschließlich im Hafen statt. Kernig ergänzt Sven K.: "Wir haben nicht nackt auf den Tischen getanzt, wie es üblich ist, wenn wir eine Party feiern. Es war definitiv keine Party."

Meuterei auf der "Gorch Fock" Nach dem tödlichen Unfall einer Offiziersanwärterin soll es zu einer Meuterei der Lehrgangsteilnehmer gekommen sein.

Sven K. gibt zu, dass die Stimmung nach dem Unfall "ganz schlimm" war. Allerdings hätten die Vorgänge nichts mit einer Meuterei zu tun. Eine Handvoll Offiziersanwärter habe andere Neulinge aufgehetzt. Die meisten Soldaten hätten ihren Dienst allerdings fortgesetzt. Sie wüssten ja, warum sie an Bord sind. Schließlich sei die Bundeswehr keine Demokratie, sondern eine Hierarchie. "Befehle kommen von oben nach unten und diese Befehle werden auch ausgeführt. Wenn sich jemand gegen die Befehle sträubt, ist das eine Befehlsverweigerung."

* Der Name wurde von der Redaktion geändert.
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