Gerd Blank

Autor, Text, Podcast, Moderation, Hamburg

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Artikel

Abschied aus dem sozialen Netz: Lebe wohl, Facebook / stern.de / 31.5.10

Lieber Herr Zuckerberg, man soll gehen, wenn es am Schönsten ist. Das gilt auf Partys, das gilt auf Facebook. Allerdings habe ich bei Facebook viel zu lange gewartet. Genau wie damals auf den Partys, nachdem der "nur ein Drink noch" bis zum Morgengrauen dauerte und am nächsten Tag einen Kater einbrachte. Nun habe ich einen digitalen Kater - und Ihr soziales Netz ist schuld.

Dabei kann man eigentlich Facebook nicht für mein Unwohlsein verantwortlich machen. Schließlich haben Sie alles dafür getan, dass ich mich im Kreise meiner Freunde wohlfühle. Wie auf einer Party konnte ich mit den Leuten plaudern und Spiele spielen. Mit einigen sprach ich mehr, mit anderen weniger - aber über jeden Freund, den ich dort getroffen habe, war ich froh. Ich habe sogar neue Leute kennengelernt, bin Gruppen beigetreten, bin Fan von Dingen und Menschen geworden. Doch irgendwann wurde es merkwürdig bei Facebook. Während ich auf der Party war, änderten Sie die Regeln .

Plötzlich konnten nicht nur Freunde meine Beiträge lesen. Auf Facebook aktive Unternehmen konnten mit meinen Daten bei meinen Freunden werben. Und nur, weil ich in meinem Profil als Standort Hamburg eingetragen habe, war ich automatisch in einer Hamburg-Gruppe. Ursprünglich hatte ich per Einstellung festgelegt, dass ich nicht von Fremden Facebook-Nutzern oder per Google gefunden werden kann. Durch die Änderungen bekam ich Freundschaftsanfragen von Leuten, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Als ich daraufhin meine Sicherheits- und Privatsphäre-Einstellungen erneut überprüfte, hatte ich das Gefühl, ich fülle meine Steuererklärung aus. Weshalb muss es so kompliziert sein, sagen zu dürfen, dass man nur mit Freunden kommunizieren möchte? Nicht mit Unternehmen und nicht mit Fremden. Auf einer Party möchte ich auch nicht mit mir unbekannten Gästen Urlaubsbilder austauschen.

Die letzten Schritte vor der Löschung: Facebook möchte sicher gehen, dass man wirklich nicht mehr dabei sein will © Screenshot

Noch vor ein paar Wochen war ich ein großer Facebook-Fan. Die Idee, dass man sich per Internetdienst mit Freunden, Bekannten und Kollegen vernetzen kann, mag ich noch immer. Allerdings bin ich nicht davon überzeugt, dass man dies auf Kosten der eigenen Privatsphäre machen muss. Für mich ist es an der Zeit, die Party zu verlassen. Als Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) damit drohte, ihr Facebook-Konto zu kündigen, falls Sie nicht besser mit den privaten Daten der Nutzer umgehen würden, konnte auch ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Was sollte das bringen, wenn eine deutsche Politikerin ihr Facebook-Konto löscht, aber über 400 Millionen Nutzer vernetzt bleiben? Aber eigentlich hatte die Ministerin damals Recht. Ein soziales Netzwerk kann nur funktionieren, wenn die Nutzer mitmachen. Und ich mache nicht mehr mit.

Abschied von 167 Freunden

Natürlich kennen Sie mich nicht, Herr Zuckerberg, und wahrscheinlich werden Sie durch meinen Abgang keinen unruhigen Schlaf haben. Aber: Ich habe derzeit 167 Freude. Diesen Freunden werde ich meine Gründe für meinen Abschied erklären. Ich werde ihnen auch sagen, dass sie mich gerne wieder per Telefon zu einer Party einladen oder mir per E-Mail zum Geburtstag gratulieren können. Um mich im Web zu informieren, werde ich künftig wieder mehr Twitter und RSS-Feeds nutzen.

Als ich vor ein paar Tagen auf der Seite von "CNN" vorbeigesurft bin, grinsten mich dort ein paar meiner Freunde an, alle ebenfalls bei Facebook. So fühlt man sich auch auf fremden Websites gleich wie zu Hause. Aber ich möchte gar nicht wissen, ob meine Facebook-Freunde schon hier waren. Noch weniger möchte ich, dass meine Freunde automatisch erfahren, dass ich dort war. Natürlich, ich könnte in den Facebook-Einstellungen festlegen, wer meine Facebook-Aktivitäten mitbekommt. Aber irgendwie missfällt mir die Reihenfolge. Ich würde gerne bei jedem meiner Postings gefragt werden, ob der Eintrag für alle oder nur für eine von mir festgelegte Gruppe von Mitlesern veröffentlich wird.

Kein Geschäft mit meinen Daten

Mir ist schon klar, Herr Zuckerberg, dass Sie kein karitatives Angebot betreiben. Sie haben den Kapitalismus mit der Muttermilch aufgesogen, und selbstverständlich ist es nicht unredlich, wenn Sie mit einem Angebot wie Facebook Geld verdienen möchten. Aber bitte nicht mit meinen persönlichen Daten, mit meinen Interessen und mit meinen Aktivitäten. Sie hätten mich ja mal fragen können, ob ich bereit wäre, für Ihre Party Eintritt zu zahlen. Wenn Sie mir dafür eine gute Organisation der Veranstaltung, einen vernünftigen Sicherheitsdienst und fachkundiges Personal geboten hätten, wäre mir das möglicherweise ein paar Euro im Monat wert gewesen. Aber so?

Meine Privatsphäre ist für mich kein überholtes Modell. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die komplett gegen die Volkszählung demonstriert hatte. Um mir selbst gegenüber glaubwürdig zu bleiben, muss ich halt nun die Reißleine ziehen und mich von meinen 167 "Freunden" verabschieden. Dann werde ich künftig zwar nicht mehr ungefragt Baby- und Urlaubsfotos in Statusupdates sehen und auch nicht mehr erfahren, wo der beste Mojito der Stadt ausgeschenkt wird. Dafür kann ich Freunde wieder mit persönlichen Nachrichten überraschen, wenn ich ihnen vis-à-vis oder am Telefon davon berichte.

Machen Sie's gut, Herr Zuckerberg. Ich knipse jetzt das Licht aus und hoffe, dass Sie meine Daten, meine Fotos, meine Links und meine Freundeslisten komplett aus Ihrem Dienst entfernen. Denn ich möchte nach dem Fest die virtuelle Räumlichkeit gerne besenrein übergeben.

Beste Grüße, Gerd Blank

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