Gerd Blank

Autor, Text, Podcast, Moderation, Hamburg

1 Abo und 3 Abonnenten
Artikel

Das fahrende Rechenzentrum

Der ICE zählt zu den modernsten und leistungsfähigsten Zügen der Welt. Wenn man es genau nimmt, ist es ein Hochleistungscomputer, der mit bis zu 300 km/h durch Deutschland fährt. An Bord befinden sich unzählige elektronische Bauteile, Sender, Empfänger, Sensoren und Computer. „Früher haben wir die Züge von den Herstellern mit allem inklusive geordert, es wurde also bereits die komplette IT mitgeliefert", sagt Nora Guthoff, Operative Projektleitung von ITonICE, dem Projekt zur Erneuerung der IT in den Zügen. Das führt dazu, dass die Zug-IT aus einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Systeme und Service-Angeboten besteht. „Wir haben etwa 40 Lieferanten, Teams und Partner, die wir koordinieren müssen. Und da die jeweiligen technischen Gegebenheiten dadurch höchst unterschiedlich sind, müssen diese bei Bedarf manuell aktualisiert werden. In Zeiten moderner Kommunikationsstandards ist das nicht effektiv, zudem ist dieses Vorgehen für die Mitarbeiter zeitaufwendig und birgt viele Fehlerquellen." Eine Abhilfe dafür soll am Ende nicht nur den Mitarbeitern die Arbeit erleichtern, sondern den Fahrgästen mit verbesserten digitalen Services ein attraktives Reiseerlebnis bieten.

Bisher wird die gesamte IT des Zuges über den IT-Bereich des Herstellers - genannt „Herstellerbereich" - geregelt, ganz gleich ob es sich um essentielle Funktionen handelt, wie das Beschleunigen, Bremsen und Türen schließen, oder es um die Anzeige der Abfahrtszeit geht. Das führt dazu, dass bereits kleine Anpassungen oder Aktualisierungen langwierig abgestimmt werden müssen. Ein Grund: Veränderungen im sicherheitsrelevanten Bereich müssen vom Eisenbahn-Bundesamt abgenommen werden. „Mit der Plattform ITonICE trennen wir den sogenannten DB-eigenen Betreiberbereich vom Herstellerbereich. So können wir neue Komfortfunktionen schneller anbieten oder bestehende anpassen, unabhängig von den Sicherheitsfunktionen auf der Seite der Zug-Hardware", erklärt André Knapmöller, bei DB Systel zuständig für die IT an Bord der Züge. „Wir sind damit in der Lage, die Software auf dem Zug, unabhängig von Werksbesuchen, zu aktualisieren."

Durch die Trennung des DB-eigenen Betreiberbereichs vom Herstellerbereich lassen sich neuer digitaler Services viel schneller umsetzen. Gleichzeitig bleiben sicherheitsrelevante Funktionen geschützt

© DB Fernverkehr AG

Trennung im Guten

Der Herstellerbereich wird mit einer „Datendiode", auch Leittechnik-Entkopplungsgateway (LEG) genannt, von der neuen IT-Plattform abgegrenzt. Aus dem Herstellerbereich können so zwar Informationen gelesen werden, aber es besteht keine Möglichkeit, über die neue IT-Infrastruktur auf den Herstellerbereich zuzugreifen - beide Bereiche sind sicher voneinander getrennt. Das sorgt für eine hohe Flexibilität, die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter werden besser, gleichzeitig erhöht sich der Komfort für die Kunden, da neue Services und Dienste over-the-air schneller eingeführt oder aktualisiert werden können. Mit ITonICE lassen sich künftig nahezu beliebig viele neue Services binnen kürzester Zeit auf dem ICE installieren, fast so wie Apps auf dem Smartphone.

© DB Fernverkehr AG

Ziel ist es, dass die gesamte Flotte über eine moderne Kommunikationsumgebung für das Erfassen und Übermitteln von Echtzeitinformationen verfügt. „Wir möchten, dass Echtzeitinformationen und Analysemöglichkeiten schnell und möglichst automatisiert registriert und erhoben werden können. Mit ITonICE machen wir jeden ICE der damit ausgerüsteten Baureihen zum Rechenzentrum mit Cloud-Anbindung. Wir erschaffen hiermit unsere eigene fahrende Rechenzentrumsflotte", sagt Nora Guthoff. Um Mitarbeitern schnellen und sicheren Datenzugriff zu ermöglichen, kommt bei der IT-Plattform die DB Cloud Anbindung zum Einsatz, kommt bei der IT-Plattform die DB Cloud zum Einsatz: Computer, Netzwerke und Speicher werden dort virtualisiert, da im Zug wenig Platz ist, aber vor allem raue Bedingungen wie Temperaturschwankungen und Erschütterungen herrschen.

Im Integrationslabor testet das Projektteam gemeinsam neue Funktionen, bevor diese auf die neue Plattform ITonICE kommen

© DB Fernverkehr AG

Standard-Hardware statt Insellösungen

Außerdem fahren die ICE mit hohen Geschwindigkeiten quer durch Deutschland - und nicht überall gibt es einen guten Mobilempfang. Daher erhalten die Züge eine Reihe zusätzlicher Antennen, um eine bessere Verbindung mit der IT in der DB Cloud sicherzustellen. Gleichzeitig verbessert sich dadurch die WLAN-Stabilität für den Kunden erheblich, was ein unterbrechungsfreieres Surfen bedeutet. Damit das gelingt, wird der Hardwarebestand für die ersten ICE-Baureihen bis Ende 2024 modular basiert auf den aktuellen Stand der Technik gebracht. Dank der herstellerunabhängigen Infrastruktur kann dafür flexibel auf Standardkomponenten am Markt zurückgegriffen werden.

Dennoch ist der Aufwand für das Umrüsten beträchtlich und für jede Baureihe immer ein bisschen anders. „Die Planung ist sehr komplex, da es nicht nur viele Züge betrifft, sondern auch viele beteiligte Personen sind", sagt Nora Guthoff. „Beim ICE 4, wo wir alle drei Wochen einen neuen Zug geliefert bekommen, wird ein Teil der Beschaffung ab Lieferung angepasst." Bei den anderen Baureihen wird geprüft, wo parallel ein Modernisierungsprojekt geplant ist. Dort können wir dann bei Zügen im Werk mit aufspringen, zum Beispiel in den Standzeiten während des Redesigns und der Revision des ICE 3. Es ist für alle Beteiligten sehr wichtig, den Umbau möglichst so zu gestalten, dass sich die Verfügbarkeit der Züge für den Fahrgasteinsatz nicht verringert. „Wir müssen im Werk einen Spagat bewältigen", sagt André Knapmöller. „Auf der einen Seite wollen wir den IT-Teil möglichst unabhängig gestalten, auf der anderen Seite haben wir nur ein kurzes Zeitfenster, die IT an Bord zu bringen."

© DB Systel GmbH

„Es ist sicher nicht übertrieben, ITonICE als eines der Leuchtturmprojekte für den Konzern zu bezeichnen, schließlich ist die Modernisierung der ICE-Flotte eines der wichtigsten Projekte für unsere Kunden und uns als Fernverkehr. Mit einer optimierten IT-Landschaft möchten wir für die Kunden und auch unsere Mitarbeiter eine Plattform als Startpunkt für Verbesserungen anbieten", so Nora Guthoff. Gerade bei dem straffen Zeitplan ist daher eine enge Zusammenarbeit aller Geschäftsbereiche so wichtig. „Wenn etwas nicht funktioniert, interessiert es den Kunden nicht, ob es bei DB Systel, DB Fernverkehr oder bei der DB Netz gehakt hat, für den sind wir alle die Bahn", sagt Andre Knapmöller. "Deshalb ist es bei diesem Projekt ganz entscheidend, dass wir übergreifend und gemeinsam denken. Denn wir bieten gemeinsam nach außen als eine Deutsche Bahn die Services für den Kunden." Nora Guthoff bestätigt das: „Wir gestalten das Produkt gemeinsam, weil es an verschiedenen Stellen eine hohe Fachexpertise verlangt. Mit der DB Systel haben wir einen Partner, der uns bei diesem Projekt von beiden Seiten begleitet und das Produkt mitgestaltet: einmal bei der Entwicklung der Plattform und im Netzwerkbereich, aber auch an Land mit der Cloud, wo wir die Daten speichern und schnell benutzen können."

Zum Original