Georg Watzlawek

Journalist. Unternehmer. Global und lokal, BGL

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Artikel

Neda - die Revolution hat ihre Märtyrerin

- Ein Bericht vom 22.6.2009 -


Sie stand nur am Rande der Proteste auf Teherans Straßen. Dann fielen Schüsse. Jetzt ist Neda tot. Das grausame Schicksal der jungen Frau wühlt den Iran auf und geht per Youtube und Twitter um die Welt. Neda ist so wohl zum ersten Märtyrer der zweiten iranischen Revolution geworden. Eine Spurensuche.


DÜSSELDORF. Nach allem, was wir wissen - und das ist nicht viel -, war Neda eine junge Frau in Jeans und weißen Turnschuhen, die sich mit ihrem Vater am Rande der Proteste auf Teherans Straßen aufhielt. Die Lage war brenzlig, aber Tausende von Menschen flanierten herum. Aus dem nichts heraus fällt ein Schuss. Neda fällt auf den Rücken, überall ist Blut. Ihr Augen irren umher, eher verwirrt als ängstlich. Ihr Vater und Umstehende versuchen mit den Händen, die Blutung zu stillen. Vergeblich. Schnell ist Nedas linkes Auge von Blut verdeckt, sie stirbt.

Wenige Stunden später geht Nedas Tod rund um die Welt, über die Video-Plattform Youtube, weitergereicht im Mikroblog-Dienst Twitter. Ein Passant hatte die Rettungsversuche per Handy gefilmt und den Clip hochgeladen. Damit wird nicht Mir-Hossein Mussawi, der Oppositionsführer, zum befürchteten ersten Märtyrer der zweiten iranische Revolution, sondern eine wohl unbeteiligte Passantin.

Und die Regierung erhält ihre Lektion: Im Internetzeitalter ist eine halbwegs moderne Gesellschaft nicht zu zensieren: Egal, ob man das Netz extrem verlangsamt, lokale Twitterer einschüchtert oder internationale Medien aussperrt - die Nachrichten sind nicht zu kontrollieren. Die Bilder von Nedas Tod sind kaum auszuhalten, und doch zeigt CNN das Video in einer technisch entschärften Version.

Die Regierung hatte alle Korrespondenten mit Hausarrest belegt, vielen Journalisten das Visum nicht verlängert. Am Sonntag wurde der ständige Korrespondent der BBC, Jon Leyne, des Landes verwiesen. Damit zwingen die Mullahs die Berichterstatter, Quellen aus zweiter oder gar dritter Hand zu suchen, sie auf Plausibilität und Gehalt abzuklopfen, die vielen Gerüchte von den wenigen Fakten zu trennen.

Gesichert ist inzwischen, dass am Samstag beide Seite sehenden Auges in die Konfrontation liefen. Den Ton hatte Revolutionsführer Ali Chamenei beim Freitagsgebet vorgegeben, in dem er jede Hoffnung auf eine gründliche Überprüfung des Wahlsieges von Mahmud Ahmadinedschad zunichte machte. Wer auf die Straße gehe, wer sich als Politiker nicht deutlich distanziere, verrate die Islamische Republik und müsse mit dem Schlimmsten rechnen, predigte der religiöse Führer.

Doch Mir-Hossein Mussawi, der sich vom Weggefährten Ajatollah Chomeinis zum Bannerträger der westlich orientierten Oppositionsbewegung gewandelt hatte, war nicht beeindruckt. Per Mundpropaganda, über Twitter und seine Facebook-Seite streute er den Aufruf: „Samstag, vier Uhr, vom Enghelab-Platz zur Azadi-Straße". Wie viele Demonstranten dem folgten ist unklar. Die Straßen waren voll, Beobachter sprechen von einem harten Kern von etwas 3 000 Demonstranten.

Doch die Staatsmacht hatte alle wichtigen Plätze besetzt, die befürchteten Basiji-Milizen gingen mit Tränengas und Schlagstöcken gegen jede Ansammlung vor. Damit zerstreuten sie den Aufruhr: Überall flammten Straßenkämpfe auf, Demonstranten warfen Steine, steckten Fahrzeuge in Brand. Vereinzelt fallen Schüsse, Fotos und Videos zeigen zahlreiche Verletzte. Die Regierung spricht am Sonntag von rund zehn Toten, Beobachter vor Ort mit Berufung auf Krankenhausangaben von bis zu 40, andere Schätzungen gehen von bis zu 150 Toten aus.

Beteiligt waren nicht nur Studenten, berichtet Roger Cowen, der sich als Kolumnist der „New York Times" den Auflagen widersetzte und den Tag auf der Straße verbrachte. „Ich sah einen alten Mann auf Krücken, Büroleute im mittleren Alter und Teenager", berichtet Cowen. Und immer wieder Frauen, die die weniger mutigen Männer antrieben. „Da war Mahin, 52, die in die Allee humpelte, weinend. Die anderen wollten sie zurückhalten, aber sie riss sich los zu der Menge, die zum Freiheitsplatz drängte". Ihr Schlachtruf: „Tod dem Diktator, wir wollen unsere Freiheit."

Mussawi zeigt sich mutig auf der Straße und gibt den Ton vor: Er sei bereit, zum Märtyrer zu werden. Sollte er verhaftet werden, dann werde es einen Generalstreik geben. Dennoch macht sich am Abend Angst breit. Die Demonstranten trauen sich nicht, Verletzte in Krankenhäuser zu bringen - dort sollen die Basiji umgehen. Offenbar öffnen einige ausländische Botschaften ihre Türen - aber das gehört zu den unbestätigten Gerüchten. Ebenso wie die Berichte, dass die vielen Hubschrauber über der Innenstadt säurehaltige Flüssigkeiten verspritzen.

Am Sonntag herrscht geschockte Ruhe. Regimevertreter schüchtern in den Staatsmedien die Bevölkerung weiter ein: Die Polizei werde „hart gegen jede illegale Demonstration vorgehen. Das Klima der Angst scheint zu verfangen, bei ihren Kontakten im Ausland melden sich Iraner, die das Ganze gern ungeschehen machen würden. „Es herrscht das Gefühl, dass sich die Bewegung totgerannt hat, dass alles vorbei ist", zitiert der Guardian eine E-Mail aus Teheran.

I think the mood after yesterday (I was there at the demo, where the atmosphere was very tense and eventually turned violent), is a feeling that "it's all over". There is a feeling that this opposition movement has now fizzled out.

The shouts of 'Allah o Akbar' at night are expected to continue and sporadic violent clashes on the streets will persist for a while after sunset. However, the general consensus is that there will be no more mass demonstrations or any organized opposition. Most people have resigned themselves to this line of thinking.


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