Georg Watzlawek

Journalist. Unternehmer. Global und lokal, BGL

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Artikel

Obamanomics: Paternalismus mit einem neuen Spin

Barack Obama

- Eine Analyse vom 26.8.2008 - 


Der Parteitag der Demokraten ist im vollen Gang. Am Ende regnet es Luftballons, Barack Obama auf der Bühne strahlt, die Delegierten jubeln. Um Inhalte geht es wenig. Dabei stehen die USA vor allem in der Wirtschaftspolitik vor großen Herausforderungen. Wofür steht der Kandidat, der am Donnerstag formell von den Demokraten nominiert wird und der als erster Schwarzer in das Weiße Haus einziehen könnte?


BAKERSFIELD. Die USA stehen vor der Wahl, in der Wirtschaftspolitik noch mehr als in der Außenpolitik. Wieder geht es um höhere Ausgaben und niedrigere Steuern: Barack Obama verficht eine Nachfragepolitik, John McCain eine Angebotspolitik. Doch lässt sich Obama noch weniger als McCain in das traditionelle links/rechts-Schema einordnen. "Meine zentrale Wirtschaftstheorie ist der Pragmatismus: herausfinden, was funktioniert", sagte Obama jetzt in einem Interview.

Rezession, fallende Immobilienpreisen und steigende Spritpreis haben die Wirtschaft zum Thema gemacht, dass diese Wahl entscheiden wird. Mehr als zwei Drittel der Wähler sind dieser Meinung - und vielleicht ist das auch der Grund, warum sie sich noch nicht zwischen dem Juristen Obama und dem Berufssoldaten McCain entscheiden können. Beide Politiker räumen offen ein, dass die Ökonomie nicht zu ihren Stärken gehört. Auch beim Parteitag der Demokraten spielt das Thema bislang keine Rolle. Für welche Wirtschaftspolitik steht der Kandidat, der heute formell von den Demokraten nominiert wird und der als erster Schwarzer in das Weiße Haus einziehen könnte?

Obama hat kurz als Anwalt und länger als Sozialarbeiter in Chicago gearbeitet, mit Menschen, die im Zuge der Stahlkrise ihren Job verloren haben. Er verkörpert im extremen Sinne einen sozialen Aufsteiger, jene Art von Tellerwäscher/Millionär-Karriere, für die Amerika so berühmt ist. Bei seinen Klienten und Wählern will der Senator aber erfahren haben, dass solche Erfolgsgeschichten kaum noch möglich sind. Menschen bis weit in die Mittelschicht hinein könnten sich in Amerika heute weder Bildung für ihre Kinder noch Gesundheit für sich selbst leisten. "Es wird Zeit, das Gleichgewicht und die Gerechtigkeit in unserer Wirtschaft wieder herzustellen", fordert Obama.

Daher will der Demokrat nicht Steuern zu senken, sondern die Ausgaben zu erhöhen. Die Impulse für die Wirtschaft sollen von unten, und nicht mehr von oben kommen. Damit stellt er sich zwar auch gegen Bill Clintons Wirtschaftspolitik, der für sich in Anspruch nimmt, das Land durch die längste Wachstumsphase aller Zeiten gefahren zu haben - weil er den Staatshaushalt rigoros saniert und Raum für die Privatwirtschaft geschaffen hatte. Damals war Clinton seinem Finanzminister Bob Rubin und eben nicht seinem Arbeitsminister Bob Reich gefolgt, der mehr Investitionen in Infrastruktur verlangt hatte.

Zwar hatten Clinton und Reich damals Erfolg, weil der niedrige Ölpreis und der Fortschritt der IT-Branche den Sanierungskurs flankierten. Die Wirtschaft wuchs kräftig, aber daran partizipierte die Mittelklasse nicht - und darum seien Verteilungsfragen heute viel wichtiger als damals, räumt auch Rubin ein. Diese Erkenntnis erlaubt Rubin und Reich heute, mit Obama an einem Tisch zu sitzen und ein sozialdemokratisches Programm zu propagieren: höhere Abgaben der Reichen finanzieren höhere Staatsausgaben für Gesundheit, Bildung und Infrastruktur. Der Staat muss bei Marktunvollkommenheiten stärker eingreifen, bei der Verteilungsgerechtigkeit und im Umweltschutz. Eine Rückführung des Staatsdefizits ist wichtig, aber eben erst mittelfristig.

Allein 65 Mrd. Dollar will der Demokrat jährlich für eine Gesundheitsreform ausgeben, die auch den rund 47 Millionen Amerikanern die Chancen auf einen Zugang zum System gibt, die bislang überhaupt nicht versichert sind. Weitere 18 Mrd. sollen in die Frühförderung von Kindern gehen, 15 Mrd. in die Förderung von Umwelttechnologie, sechs Mrd. in die Infrastruktur. Diese Milliarden sollen der schlappen Wirtschaft nicht nur einen kurzfristigen Wachstumsimpuls geben, sondern langfristig für ein besseres Potenzial sorgen und Jobs für diejenigen schaffen, die sich für High-Tech-Aufgaben nicht qualifizieren können.

Grundsätzlich will Obama in das US-Finanzsystem das Prinzip der Gegenfinanzierung verankern. So sollen die Klimamaßnahmen durch die Versteigerung von CO2-Emmissionsrechten an Luftverschmutzer finanziert werden. Zudem sollen Familien mit einem Einkommen von über 250 000 Dollar statt 36 wieder 39,6 Prozent Steuern bezahlen - wie schon unter Clinton. Außerdem will Obama den Steuersatz für Kapitalgewinne um fünf Prozentpunkte hinaufsetzen und Energiekonzerne stärker zur Kasse bitten.

Allerdings wäre es falsch, Obama generell als Steuererhöher einzustufen. Das Tax Policy Center in Washington hat die Steuerpläne der Kandidaten analysiert und kommt zu einem interessanten Ergebnis: Für die 80 Prozent der Haushalte, die weniger als 118 000 Dollar im Jahr verdienen, würden McCains Pläne eine Einsparung von 200 Dollar pro Jahr bringen, Obamas Vorschläge hingegen 900 Dollar. Am oberen Ende der Einkommensskala sieht der Effekt anders aus: Die 0,1 Prozent der Amerikaner, die im Schnitt neun Millionen Dollar verdienen, würden unter einem Präsident McCain um 190 000 Dollar entlastet, unter Obama jedoch um satte 800 000 Dollar belastet - vor allem, weil er ihnen die Steuersenkungen wieder weg nehmen würde, die George W. Bush erlassen hatte.

Obama hatte sein ökonomisches Defizit früh erkannt und sich einen Beraterstab zugelegt, der Veteranen der Clinton-Ära wie Bob Rubin, Bob Reich ebenso wie Ex-Notenbankchef Paul Volcker und Börsen-Guru Warren Buffet umfasst. Aber seine engsten Wirtschaftsberater sind junge Ökonomen, die an der University of Chicago neue Theorien entwickeln. Diese neuen Chicago Boys stehen im Widerspruch zu Teilen der neoklassischen Chicagoer Schule um Milton Friedmann. Unter Führung von Steven Levitt, Richard Thaler und Cass Sunstein beschäftigen sie sich vor allem mit Netzwerken, dem Internet, Verhaltens-Ökonomie und Neuroeconomics.

Zu diesen Ökonomen gehört vor allem Obamas Wirtschaftsberater Austan Goolsbee und Jason Furman. Sie sind Anhänger der so genannten Behavioral Economics. Sie stellen die neoklassische These in Frage, dass sich Wirtschaftsteilnehmer immer rational verhalten. Statt dessen untersuchen sie empirisch, wie man die Menschen dazu bringen kann, sich wie gewünscht zu verhalten - eine Denkrichtung, die auch "libertärer Paternalismus" genannt wird: Der Staat schreibt nicht vor, wie man sich verhalten soll, legt es aber nahe.

Ein Beispiel ist Obamas Konzept, wie man die Sparquote erhöhen kann: statt das Sparen steuerlich zu begünstigen werden die Arbeitgeber verpflichtet, einen Prozentsatz des Gehaltes auf ein Rentenkonto einzuzahlen - es sei denn, der Arbeitnehmer entscheidet sich ausdrücklich dagegen. Ähnlich sieht es bei der Gesundheitsreform aus: Während Hillary Clinton im Vorwahlkampf eine Pflichtversicherung für alle Amerikaner propagierte will Obama zwar die Anreize dafür setzen, dass sich alle Bürger versichern - die Entscheidung bleibt ihnen aber offen.

In der Subprime-Krise hat Obama eine stärkere Regulierung der Finanzmarktakteure verlangt, weil ihm die Deregulierung seit der Reagan-Zeit viel zu weit gegangen ist: "Der Markt ist der beste jemals erdachte Mechanismus zur effektiven Ressourcenallokation", sagte er jetzt in einem Interview, fast als ob er aus einem neoklassischen Lehrbuch zitierte. "Aber da gibt es einige Dinge, die der Markt nicht automatisch erledigt" - und da müsse der Staat zur Stelle sein. Damit findet sich der Präsidentschaftskandidat in einigen Fragen zwar im linken Spektrum seiner Partei wieder, in vielen anderen ist er aber dann doch Zentrist. Oder eben ein Pragmatiker.


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