Von Georg Elser am 07. Februar 2015 um 09:29 Uhr
Sascha Pallenberg, 43, lebt seit einigen Jahren in Taipeh und betreibt von dort aus unter anderem seinen Blog mobilegeeks.de. Der gebürtige Dortmunder gilt als Fachmann für den Bereich Gadgets, Wearables, Smartwatches oder Smartglasses. Wir haben ihn zu der neuen Datenbrille von Microsoft und seinen Erfahrungen mit Google Glass befragt.
digitalista: Microsoft hat am 21. Januar die Datenbrille HoloLens vorgestellt. Wie ist Ihr erster Eindruck?
Pallenberg: Der erste Eindruck war vor allen Dingen „Wow! Was machen sie denn jetzt noch?“. Damit hat ja wirklich gar keiner gerechnet, dass Microsoft auf einmal noch so eine Virtual Reality-Brille rausholt. Und vor allem so eine! Die HoloLens macht ja genau das, was dieser Kindheitstraum ist, seit dem wir ein Holodeck bei Raumschiff Enterprise gesehen haben: digitale Objekte in die Realität zu „packen“. Mit Microsoft haben wir jetzt einen großen Player im Bereich der Virtuellen Realität, der ein Betriebssystem-Ökosystem, ein Gaming-Ökosystem und auch ein Content-Ökosystem hat. Das ist sehr, sehr spannend.
digitalista: HoloLens kam völlig überraschend und hat Windows 10 praktisch die Show gestohlen. Hätten Sie Microsoft so eine Entwicklung zugetraut?
Pallenberg: Ich verfolge Microsoft nicht erst seit gestern. Ich habe immer wieder gesehen, wie viele tolle Projekte und Experimente man dort in den Labs zusammengebastelt hat. Ich bin mir sicher, dass Microsoft sich in der Öffentlichkeit immer unter Wert verkauft hat. Dass die viel cooler sind, als das, was über Windows und Xbox abgebildet wird. Und jetzt zeigen sie einfach mal mit HoloLens, was sie auf dem Kasten haben.
digitalista: Wofür wird die Brille – wenn sie irgendwann einmal tatsächlich als fertiges Produkt auf den Markt kommen sollte – Ihrer Meinung nach hauptsächlich eingesetzt werden?
Pallenberg: Ich kann mir so etwas in der Medizin gut vorstellen. Oder bei Architekten. Man stelle sich einmal vor: Ich setze mir so eine Brille auf und kann mein neues Haus schon im Architektenbüro begehen, erfahren und damit interagieren – obwohl es zu dem Zeitpunkt nur im Computer existiert. Bei den bereits verfügbaren Systemen dagegen ist die Interaktion bisher sehr limitiert.
digitalista: Wie sieht es mit Spielen aus?
Pallenberg: Gaming ist immer ein Treiber für neue Technologien. Bestes Beispiel: Microsoft und Kinect. Als die ersten Leute anfingen, Kinect zu hacken und zu modden, hat Microsoft nach anfänglichen Bedenken sehr schnell die Leute einfach machen lassen. Was ist daraus entstanden? Praktisch eine Industrie. Kinect hat die Art und Weise, wie wir über Gesten mit Rechnern und Informationen interagieren, völlig verändert. Und das über eine Spielkonsole – das finde ich sensationell.
digitalista: Alex Kipman gilt als treibende Kraft hinter Kinect. Bei der Vorstellung der HoloLens hat der Chefentwickler stolz die eigens entwickelte HPU (Holographic Processing Unit) präsentiert. Dieser Prozessor kann laut Kipman errechnen, wohin der Anwender guckt, was für Gesten er macht und auch die komplette Umgebung räumlich erfassen. Was sagen Sie zu dem neuen Prozessor?
Pallenberg: Wenn wir über Sensorik reden, insbesondere über Bildsensoren, dann reden wir über wahnsinnige Datenmengen, die verarbeitet werden müssen. Ein gutes Beispiel sind autonom fahrende Fahrzeuge, die über ihre Kameras die Umgebung aufnehmen und diese Daten auswerten. Da reden wir über Terabytes an Daten! Was wir mit HoloLens sehen, geht in eine ähnliche Richtung. Wenn man das alles performant abbilden will, ohne dass man gleich einen ganzen Tower über Kabel anschließen muss, kann man davon ausgehen, dass diese HPU ordentlich Bumms hat.
digitalista: Zum Vergleich: Die Datenbrille Glass von Konkurrent Google wiegt 55 Gramm. Wird eine Technologie wie HoloLens überhaupt jemals in ein Brillengestell passen?
Pallenberg: Ja, die Zeit ist absehbar. Die Hardware, die Google in Glass verbaut hat, ist alt. Und sie war auch schon alt, als Google die Brille für das Explorer-Testprogramm zur Verfügung gestellt hat. Wir sind in der Entwicklung eine ganze Ecke weiter.
digitalista: Rund eine Woche vor der Enthüllung von HoloLens hat Google mitgeteilt, dass man dort das Testprogramm von Glass beendet und unter neuem Management einen Neuanfang wagt. Was kann Microsoft daraus lernen und besser machen als Google?
Pallenberg: Das Explorer-Programm war wichtig, weil Google damit Awareness für Smartglasses erschaffen hat. Wirklich doof war die Kommunikation zwischen Google und ihren Explorern. Google hat es noch nicht einmal für nötig gehalten, den Leuten, die viel, viel Geld für Google Glass ausgegeben und auch viel Zeit investiert haben, einfach vorab einmal eine E-Mail zu schicken und sich zu bedanken. Das war extrem enttäuschend.
digitalista: Sie haben Google Glass seit September 2013 ja selbst im Explorer-Programm getestet. Wie fällt Ihr persönliches Fazit aus?
Pallenberg: Über meine Enttäuschung habe ich ausführlich gebloggt. Da habe ich auch wieder eine Menge Gegenwind bekommen, weil Leute gesagt haben „Heul‘ nicht rum, was kaufst Du Dir auch so ein teures Teil! War doch klar, dass das beta ist!“. Das weiß ich auch! Ich war wahrscheinlich in mehr Betaprogrammen drin, als Leute, die kommentiert haben, in ihrem Leben jemals „Betaprogramm“ gehört haben. Ich bin nicht naiv! Aber ich erwarte so etwas einfach. Gerade weil ich so viele Betaprogramme mitgemacht habe und weiß, wie man sich in anderen Programmen um die Entwickler und Tester gekümmert hat. Dort hat man viel kommuniziert und eine echte Community aufgebaut. Das habe ich bei Google Glass in den letzten Monaten komplett vermisst.
digitalista: Wie hat die Geekszene das vorläufige Ende aufgenommen?
Pallenberg: Jedem anderen Explorer, den ich getroffen haben, geht es genauso. Es hat aber auch keiner mehr die Brille getragen. Ich war vor drei Wochen auf dem 50. Geburtstag von Robert Scoble (Anm. d. Red.: ein US-amerikanischer Tech-Guru und Blogger) im Nappa Valley. Von 200 Teilnehmern haben dort sicherlich mindestens 50 eine Google Glass. Egal wen man gefragt hat, die Leute haben die Brille meist seit längerer Zeit nicht mehr getragen. Die anfängliche Begeisterung ist dadurch kreiert worden, dass die Leute die zukünftigen Möglichkeiten gesehen haben. Mit der Brille selbst ist dagegen wenig geschehen. 99 Prozent der Explorer hatten nur ein ganz beschränktes Anwendungsszenario für die Brille. Ich hatte mit der Brille daher bereits abgeschlossen, das Ding war für mich durch.
digitalista: Wofür eignet sich Google Glass denn überhaupt?
Ich habe die Brille über ein Jahr intensiv getestet und festgestellt, dass mittlerweile viele Funktionen viel besser auf einer Smartwatch funktionieren als mit einer Datenbrille. Durch Vibration bemerke ich beispielsweise schnell neue Benachrichtigungen und muss dafür nicht auch noch etwas im Blickfeld haben. Ein spannendes Projekt, aber nichts für Otto Normaluser. Es funktioniert besser für den Lagerarbeiter, der beide Hände frei haben und dabei noch Strichcodes einscannen muss. Der entscheidende Knackpunkt bei Google Glass ist: Jede Aktion ist in wenigen Sekunden vorbei. Und für diese fünf Sekunden soll ich zehn Stunden am Tag das Ding auf der Nase tragen? Für die Arbeit funktioniert das, für den Endverbraucher überhaupt nicht.
digitalista: Gestern hat Google eine neue Version von Glass angekündigt, ohne Explorer-Programm, die erst dann rauskommt, wenn sie fertig ist. Wie bewerten Sie das?
Pallenberg: Der CEO von Nest kümmert sich um die Entwicklung und hat mit einer guten Bekannten von mir, Mary Lou Jepsen, die jahrelang auch hier in Taiwan gelebt hat, eine absolute Koryphäe aus dem Bereich Displays ins Team geholt. Sie weiß, wie man stromsparende Bildschirme baut, die auch im Tageslicht gut ablesbar sind. Mit diesem starken Team wird Google eine ganz andere Datenbrille fertigen, darauf freue ich mich.
digitalista: Bei aller Euphorie gibt es besonders in Deutschland auch Bedenken in Sachen Datenschutz. Viele Menschen sorgen sich um ihre Privatsphäre, die durch integrierte Kameras wie bei Google Glass permanent verletzt werden könnte. Zu Recht?