ZEIT ONLINE: Herr Prager, wenn ich an Bademeister denke, fallen mir sofort die Rettungsschwimmer aus Baywatch mit ihrem Sixpack ein. Wie viel Sport treiben Sie für Ihre Arbeit?
Rainer Prager: Ich mache dafür nicht bewusst Sport. Ich bin kein Mensch, der lange sitzen kann, deswegen bin ich immer in Bewegung. Aber ich habe einen ganz kleinen Bauch, wenn ich ihn rausstrecke.
Rainer PragerRainer Prager, 63, ist gelernter Ofensetzer. Später machte er eine halbjährige Meisterausbildung zum DDR-Schwimmmeister und wurde schließlich geprüfter Schwimmmeister. Seit 41 Jahren überwacht er täglich bis zu 4.000 Badegäste im Freibad Kiebitzberge nahe Potsdam.
ZEIT ONLINE: Wann beginnt Ihr Arbeitstag hier im Schwimmbad?
Prager: Wenn ich Frühschicht habe, beginnt mein Tag im Sommer um sechs Uhr, im Winter um sieben und geht bis 14.30 Uhr. Die Spätschicht geht um 10.30 Uhr los und endet um 19.30 Uhr. Ich wohne direkt neben dem Schwimmbad und komme in meinen Badesachen hierher, in einer schwarz-roten Badehose, auf die mein Abzeichen als Schwimmmeister genäht ist. Ich schließe das Bad auf, spüle die Fußbecken aus, kontrolliere die Duschräume, entriegle die Toiletten und bereite die Kasse vor.
"Der Alltag ist immer gleich. Man läuft seine Runden."ZEIT ONLINE: Und wenn die ersten Gäste kommen?
Prager: Stehe ich erst mal an der Kasse. Morgens haben wir 80 bis 100 Frühschwimmer, die beaufsichtige ich alleine. Ab neun Uhr, wenn die anderen Badegäste kommen, sind dann auch die Rettungsschwimmer da. An normalen Tagen haben wir etwa 1.000 bis 1.500 Gäste. Der Alltag ist immer gleich. Man läuft seine Runden, und wenn ich sehe, dass das Wasser trüb ist, spreche ich mit dem Techniker. Meist muss er dann Chlor nachfüllen, besonders an den heißen Tagen ist das wichtig. Wenn es zu warm wird, darf das Personal auch kurz ins Wasser springen. Hauptsache, es sind genug Kollegen da, falls etwas passieren sollte. Bei uns gilt die Regel: Pro 100 Badegäste ein Rettungsschwimmer, in der Hochsaison sind bis zu sieben Personen gleichzeitig da. Wir sind ganzjährig beschäftigt. Im Winter übernehmen wir dann Gartenarbeiten und warten die Maschinen.
ZEIT ONLINE: Dieser Sommer ist so heiß wie lange nicht. Haben Sie mehr zu tun als sonst?
Prager: Ja, wir haben viel mehr Gäste, an den ganz heißen Tagen sind es 4.000 bis 6.000. Vor ein paar Wochen war es besonders schlimm: Es strömten immer mehr Menschen in das Bad, es gab lange Schlangen vor der Kasse und wir hatten zu wenig Rettungsschwimmer. Alle Mitarbeiter waren überfordert. Wir konnten die Aufsicht und Sicherheit für so viele Menschen nicht mehr gewährleisten. Ich hätte entweder das Schwimmbad schließen müssen oder mehr Personal gebraucht. Aber der nächste Rettungsschwimmer kam erst zwei Stunden später. Da habe ich mir etwas einfallen lassen: Ich habe über Lautsprecher erklärt, dass ich jetzt nur noch Gäste reinlassen kann, die auf sich selbst aufpassen können, also Familien und ältere Badegäste. Dafür hatten alle Verständnis.
ZEIT ONLINE: Und in verregneten Sommern langweilen Sie sich auch mal, oder?
Prager: Ja, wenn es kühl ist und nicht so viele Gäste da sind. Aber auch dann muss ich hier sitzen und zugucken. Vier Kinder zu beaufsichtigen, ist manchmal nerviger als 400. Da versteht man jedes Wort, die Kinder können heute ja nicht mehr normal miteinander reden, die stehen zwei Meter voneinander entfernt und schreien. Das nervt mehr als eine große Geräuschkulisse, an die man sich gewöhnt.
"Eines der Kinder war mehrere Minuten unter Wasser."ZEIT ONLINE: Dröhnen Ihnen abends die Ohren?
Prager: Sagen wir mal so: Meine Freizeit verbringe ich am See, angle und genieße die Stille.
ZEIT ONLINE: Ihr Job ist nicht nur, zu beobachten, sondern auch, Leben zu retten. Wie oft ist was passiert?
Prager: Insgesamt fünfmal. Da war ich froh, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Fleck war und helfen konnte.
ZEIT ONLINE: Wie ist es dazu gekommen?
Prager: Damals gab es einen Schwimmkurs, an dem sechs Kindergärten teilgenommen haben. Weil wir zu DDR-Zeiten noch keine Rettungsschwimmer hatten, war ich alleine im Bad und hatte Frühschicht. Das war ein Gewusel. Man sieht bei knapp 200 Kindern im Becken nicht: Taucht das Kind gerade, schwimmt es, taucht es wieder auf? Man sieht nur, dass die Köpfe sich bewegen. Ich stand vorne am Kassenbereich und habe auf die Becken geguckt, da rief die Kindergärtnerin meinen Namen. Eines der Kinder war mehrere Minuten unter Wasser und kam nicht mehr hoch. Wir zogen den kleinen Körper aus dem Wasser, das Gesicht war schon ganz blau angelaufen, der Mund war voller Erbrochenem - aber wir konnten ihn nicht öffnen, weil das Kind einen Krampf im Gebiss hatte. Ich musste mit dem Daumen den Kiefer hochdrücken und vier Zähne rausdrücken. Dann habe ich das Kind um den Bauch gefasst und geschüttelt. Da kam die ganze Flüssigkeit heraus. Nach vier Minuten hat es geröchelt. Erst im Krankenwagen war es wieder bei Bewusstsein. (...)
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