Frederik Fischer

Freier Journalist, Startup-Gründer, Mitherausgeber von Vocer, Berlin

1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Die Geschichte des Chaos Computer Clubs: Datendämmerung

Frederik Fischer Zeitzeugen erzählen die Geschichte des Chaos Computer Clubs und der Netzpolitik in Deutschland. Für die erste von fünf Folgen interviewte ich Klaus Schleisiek, einen der ersten deutschen Hacker und Mitinitiator des Clubs.

Was das Netz mit der Gesellschaft und was Staaten und Unternehmen mit dem Netz machen, beginnen wir gerade erst zu verstehen. Das Internet ist Neuland. Immer noch. Immer wieder. Gleichzeitig nähert sich das Internet dem Rentenalter und wird zum Forschungsobjekt von Historikern. Typisch Internet: voller Widersprüche. In Deutschland fällt die Geschichte des Internets mit der Geschichte des Chaos Computer Clubs zusammen.

Paul Baran hat sich seit den 60er Jahren Gedanken darüber gemacht, wie Daten in Netzwerken ihren Weg finden. Paul ist einer der Väter des Internets. Paul ist tot. Er starb 2011, im Alter von 84 Jahren.

Douglas Engelbarts Arbeit verdanken wir die Computer-Maus und den Hyperlink. Er hat mit dem „Bootstrapping" eine Methode erarbeitet, die es Startups erlaubt, ohne viel Geld Ideen umzusetzen. Er hat damit eine Bewegung losgetreten, die bis heute die Startup-Szene weltweit beflügelt. Douglas ist tot. Er starb 2013 im Alter von 88 Jahren.

Joseph Carl Robnett Licklider hat schon in den 60er Jahren Konzepte zu Cloud Computing, Kybernetik und künstlicher Intelligenz verfasst. Er spielte eine überaus wichtige Rolle in der Anfangszeit des Arpanet, dem Vorläufer des heutigen Internets. J.C.R. Licklider ist tot. Er starb 1990, im Alter von 75 Jahren.

Klaus Schleisik lebt. Er ist sogar quietschfidel. Aber er passt in die Reihe, weil auch er zu den Pionieren im Netz gehört, weil er einer Generation angehört, für die Computer und das Netz so neu sind wie die Beatles. Mit der technischen Entwicklung des Internets hatte er zwar nichts zu tun. Wie wir über das Netz denken, wenn wir an das Netz denken, das hat er stark beeinflusst. Er gehört zu der ersten Generation von Netzaktivisten in Deutschland und war an der Gründung des Chaos Computer Clubs (CCC) maßgeblich beteiligt. Noch in der Anfangszeit klinkte sich Klaus jedoch wieder aus und verfolgte eigene Pläne. Das Gespräch konzentriert sich daher auf die Vorgeschichte und die ersten Treffen.

1980 - Die Vorgeschichte In Menlo Park, im Herzen der Region, die wir heute Silicon Valley nennen, hat sich eine Gruppe von Proto-Hackern zusammengefunden: Der Homebrew Computer Club. Zu seinen Mitgliedern zählte der Apple-Mitgründer Steve Wozniak, Adam Osborne, der Entwickler eines der ersten tragbaren Computer, und John Draper, der als Captain Crunch zum frühen Helden der Hacker-Bewegung wurde.

Klaus, wie wichtig waren die Entwicklungen in Amerika für dich? Was in der Zeit in den USA passierte, war sehr wichtig für die Vorgeschichte des Clubs. Ich selbst habe 1980 in San Francisco gelebt. In der Zeit habe ich auch das Magazin Processed World kennengelernt. Processed World richtete sich an Hacker und war gewerkschaftlich geprägt. Computer veränderten erstmals Arbeitsplätze. Die Sekretärinnen im Geschäftsviertel von San Francisco hatten plötzlich alle eine dieser Kisten unter dem Schreibtisch stehen. Mich faszinierte sehr, aus welcher Perspektive da auf den Rechner geguckt wurde. Neben der Processed World hat mich ein Buch von Abbie Hoffmann stark beeinflusst: Steal this Book. Dort hat er unter anderem das Phone Phreaking beschrieben. Das habe ich genutzt, um kostenlos in die Heimat zu telefonieren.

Im sogenannten Phone Phreaking hat die Hacker-Bewegung ihren Ursprung. Dabei wurden mit einfachen Tricks die Telefonsysteme überlistet, um kostenlose Gespräche zu führen. Der TAP-Newsletter war zwischen 1973 und 1984 die Stimme der Szene und beschrieb detailliert, wie man das Telefonsystem austricksen konnte. Der TAP-Newsletter war das Vorbild der Datenschleuder, dem Vereinsmagazin des CCC.

Der TAP-Newsletter hat dich nicht beeinflusst? Nein, die TAP war für Wau ganz wichtig. Der fand diesen Bastel-Zugang spannend. Das hat so weit geführt, dass auch Schlösserknacken als Hackerdisziplin galt. Und da kommen wir auf einen ganz wichtigen Grund für mein frühes Ausscheiden aus dem Club. Mich trieb immer die Frage um: Was kann man mit diesen Elektronik-Knechten Sozial-Emanzipatives anstellen, was noch nicht gemacht worden ist? Hacker, die sich an fremden Systemen vergehen, waren für mich dagegen immer etwas pubertär. Was gehen mich die Rechner anderer Leute an?

Am 01. September veröffentlichten Klaus Schleisiek (alias Tom Twiddlebit), Herwart Holland-Moritz (alias Wau Holland), Wolf Gevert, Wulf Müller und Jochen Büttner in der taz einen Aufruf zum ersten „Komputerfriektreffen". Zu diesem Treffen versammelten sich am 12.09. rund 20 Teilnehmer um den ehemaligen Tisch der Kommune Eins in der taz-Redaktion.

Wie habt ihr Fünf zusammengefunden? Was hat euch verbunden? 1981 lebte ich in Hamburg und war schwer beeindruckt von der Anti-Atomkraft-Bewegung. Die undogmatische Linke war meine politische Heimat. Mit einer Gruppe aus diesem Umfeld führte ich eine Aktion in einem katholischen Pflegeheim durch, in dem angeblich Misshandlungen stattfanden. Diese Aktion habe ich auf Video festgehalten. Zum Glück. Wir wurden gefasst, und ohne die Videoaufzeichnung hätte man uns wegen Hausfriedensbruch und Gewaltanwendung verurteilt. Die Nonnen haben gelogen, dass sich die Balken bogen. Aber wir konnten unsere Aussagen mit dem Video belegen und sind davon gekommen. So ist Video für mich zu einem ganz wichtigen Element in meinem damaligen Leben geworden. Mit Videos, so schien es, konnten wir eine Gegenöffentlichkeit herstellen. Das war auch der Grundgedanke des Medienladens in Hamburg, in dem ich mich dann engagierte. Wir waren alle sehr naiv damals. Denn was nützen die Videos, wenn es keine Abspielstellen gibt? Wir hatten Videorekorder, aber hätten Fernsehsender gebraucht. So, wie wir das angegangen sind, erreichten wir jedenfalls nicht viel. Im Medienladen habe ich dann aber Jochen Büttner kennengelernt, und bei ihm wohnte ich dann auch nach meiner Rückkehr aus den USA.

Und die anderen? Wau Holland und Wulf Müller habe ich durch das Blimp kennengelernt. Das war ein kleines Kino, das wir mit unseren Videos bespielten. Zu Wolf Gevert schließlich habe ich über eine Arbeitsloseninitiative gefunden. Wolf war ein altlinker Banker. In seiner Ausbildung ist er an die damals verbreiteten Lochkartenrechner gekommen. Die hat er dann angefangen zu programmieren und ist damit in die erste Generation von Software-Entwicklern in Deutschland reingerutscht.

Der Wunsch nach einer Gegenöffentlichkeit übertrug sich nahtlos auf den Computer. Heute hat sich im Netz eine Vielzahl von Gegenöffentlichkeiten etabliert. Für jeden Mainstream-Narrativ findet sich ein Gegen-Narrativ. Damals wie heute zirkulieren diese Erzählungen aber meist nur innerhalb der jeweiligen Filterblase. Mit politischen Botschaften eine kritische Masse zu erreichen, bleibt gleichermaßen Ziel und Herausforderung von Netzaktivisten - und jeder anderen Organisation, die sich in den Kampf um Aufmerksamkeit begibt.

Wie kam es zu der Anzeige? Wir fünf grübelten so vor uns hin und kamen zu dem Schluss, dass wir an einem historisch bedeutsamen Punkt angekommen sind. Wir waren sicher, dass es inzwischen eine ausreichende Zahl von Menschen geben musste, die wie wir von der sozial-emanzipativen Kraft der Rechner fasziniert waren. Und siehe da: Es stimmte!

Warum habt ihr euch als Hamburger Gruppe in der Berliner taz-Redaktion getroffen? Die taz haben wir als unser Soziotop verstanden. Das war für uns ganz selbstverständlich. Der Anlass für unseren Berlin-Besuch war aber gar nicht das Treffen, sondern der Tuwat-Kongress. Die Berliner Hausbesetzer-Szene organisierte die Veranstaltung, um gegen Zwangsräumungen zu protestieren. Tuwat.txt war schließlich auch die Überschrift der Anzeige. Aus dem vulgär-marxistischen Anzeigentext kann man gut unsere politische Sozialisierung herauslesen.

Auch heute noch ist das Club-Umfeld mehrheitlich links-alternativ geprägt.Die Grünen-nahe Heinrich Böll Stiftung hält regelmäßig und seit vielen Jahren netzpolitische Veranstaltungen ab. Der netzpolitische Verein D64 hat enge Verbindungen zur SPD. Aber die Grenzen verschwimmen. Seit 2012 gibt es mit dem Verein Cnetz auch eine konservative Alternative. Der einflussreiche Blog Netzpolitik.org und der Verein Digitale Gesellschaft sind parteiunabhängig,

Dem Protokoll des „Komputerfriektreffens" kann man entnehmen, dass ihr viele Entwicklungen klarer gesehen habt als die frühen Hacker in den USA. Wie erklärst du dir das? Techniker mit politischem Anspruch sind die Ausnahme. Das trifft auf Deutschland zu, und das trifft in einem noch viel stärkeren Ausmaß auf die USA zu. Dabei waren die heutigen Entwicklungen damals alle schon prognostizierbar. Im Protokoll sind übrigens noch Computerspiele aufgeführt. Dafür hat sich der CCC später leider nicht interessiert. Die Computerspielszene hat sich völlig von der Netzpolitik abgekoppelt. Das ist schade, denn Spiele sind heute ein bestimmender Teil der Bewusstseinsindustrie, die auf unser Denken einwirkt. Leider sind die meisten Spiele heute apolitisch.

Wie ging es nach dem ersten Treffen weiter? Wenig später gab es ein zweites Treffen, am Rande der Münchner Fachmesse Systems. Kurz danach bin ich wieder in die USA abgetaucht. Mich hat die Gemengelage dort einfach mehr interessiert als die Situation in Deutschland. Aber für Wau ging es weiter. Der hat den Club vorangetrieben.

Wau Hollands Rolle für den Club und die Netzpolitik in Deutschland kann man nicht überschätzen. Holland war taz-Kolumnist, Verfasser der Hackerbibel und Mitgründer der Datenschleuder, dem Vereinsmagazin des CCC. Er war zudem ein leidenschaftlicher Tüftler und Bastler und baute viele technische Geräte - vom Modem bis zur Satellitenschüssel - selbst. Sein größtes Talent lag jedoch darin, komplexe Sachverhalte in Aphorismen zu verpacken. Sein Ausspruch „Private Daten schützen, öffentliche Daten nützen" ist bis heute das Mantra des CCC. Eine Auswahl von Zitaten findet ihr hier.

Wie war dein Verhältnis zu Wau? Ich war der strukturierte Typ, der Sachen auf die Reihe kriegte. Wau war ein Vollchaot, der aber vor sich hingrübelnd immer wieder bemerkenswerte Sachen absonderte. Als ich wegging, hing Wau erst mal in der Luft. Dann hat er Steffen Wernéry, den späteren Pressesprecher des Clubs, getroffen. Steffen übernahm die Rolle des Strukturierten.

Wer sich selbst einen Eindruck von Waus Hang zum Chaos machen möchte: Dieses kurze Porträt (2:40) liefert einige eindrückliche Bilder.

Wann wurde der Club offiziell gegründet? Das weiß niemand so genau. Ich weiß auch nicht, wie es zu dem Namen kam. Ich weiß nur, ich kam irgendwann zurück und Wau griente mich an und sagte: „Wir haben den Chaos Computer Club gegründet." Der Name war genial gewählt. Waus Wohnung in der Schwenckestraße 85 war ein frühes Zentrum des Clubs. Dort ist dann auch Andy Müller-Maguhn dazugestoßen. Der war damals 14, und die Schwenckestraße lag auf seinem Schulweg.

Zwischen 1982 und 1986 hat Klaus Schleisiek nur sporadisch mit dem Club zu tun. In diesen Jahren entspinnen sich in rascher Folge viele Entwicklungen, die die Wahrnehmung des Clubs in der Öffentlichkeit bis heute prägen. 1983 Der Film „Wargames" kommt in die Kinos. In dem Film löst ein junger Hacker versehentlich fast einen Atomkrieg aus. Der Film rückt Hacker ins Rampenlicht. Das Fernsehen und der Spiegel widmen sich ausgiebig dieser neuen Subkultur. Der sogenannte BTX-Hack brachte den Club bis in die Tagesschau. Hackern aus dem Club-Umfeld gelang es, das Bildschirmtext (BTX)-System der Post, einer Art Vorläufer des Internets, zu knacken. Über 100.000 Mark wurden durch das manipulierte Abrechnungssystem auf das Konto des Clubs übertragen. Hinter der Aktion steckte keine kriminelle Absicht. Der Club wollte demonstrieren, wie unsicher das BTX-System ist, und zeigte sich selbst an, bevor jemand den Schwindel entdeckte. Videotex, die Schweizer Version des BTX-System, wird gehackt. Erst in diesem Jahr kreuzen sich die Wege wieder. Klaus hatte zwischenzeitlich den „Arbeitskreis Politischer Computereinsatz" gegründet. Der APOC war einer der ersten Internet-Anbieter in Hamburg. Bekannt wurde die Gruppe aber vor allem durch ihre Arbeit für die Grünen. Die Partei sah in Computern eine Bedrohung und wollte die Einfuhr ausländischer Rechner solange verhindern „bis ihr gesellschaftlicher Nutzen und ihre soziale Unschädlichkeit von den Befürwortern eindeutig nachgewiesen sind". Zu diesen Befürwortern zählte der CCC und APOC.

Wie kam es zu der Studie? Wir sollten die Grünen in IT-Fragen beraten. Dafür mussten wir die Arbeitsabläufe genau untersuchen. Wir gingen also von Büro zu Büro und schauten uns an, wie die Grünen Politik machen. Die Arbeit war sehr spannend. Heute sind die Grünen ein verbürgerlichter Haufen. Damals habe ich in der Partei aber meine politische Heimat gesehen. Unser Ergebnis überraschte alle. Wir haben den Grünen geraten, das mit den Computer ganz sein zu lassen und sich erst mal auf klassische Organisationsmittel wie Karteikarten und Aktenordner zu konzentrieren. Die meisten Mitarbeiter waren einfach noch nicht reif für die Arbeit am Rechner. Wir schlugen stattdessen ein Probierzimmer vor, in dem die Parteimitglieder mit professioneller Betreuung erste Schritte am Computer wagen konnten.

Im Blog Stummkonzert analysiert der Historiker Matthias Röhr die Studie. Der Text ist ein aufschlussreiches Zeitdokument und beschreibt in leichtem Ton den Zugang des Clubs zum Rechner. Die Grünen sahen im Computer einen „Strukturverstärker", der die Machtposition der Eliten festigt. Die Verfasser der Studie jedoch warnen, dass die Politik der Grünen zur selbsterfüllenden Prophezeiung führt: „Die bewußt geschürte Angst und der Respekt vor einer größeren Ansammlung maschinell zusammengelöteter Siliziumscheiben blockiert den respektlosen Umgang mit einem zum Herrschaftsinstrument mißbrauchten Medium." Diese Respektlosigkeit ist auch bezeichnend für den Umgang mit Behörden und sorgt dafür, dass viele Beamte im Club ein Feindbild sehen. Hinzu kommt in den folgenden Monaten und Jahren eine Reihe von Ereignissen, die den Druck auf den Club erhöhen - von innen wie von außen. Klaus verfolgt diese Entwicklungen nur noch am Rande. Mit Wau Holland bleibt er jedoch im engen Kontakt und gründete mit vier weiteren engen Freunden Waus nach dessen Tod im Jahr 2001 die Wau Holland Stiftung. Das Verhältnis der Stiftung zum Club ist schwierig. Während die Stiftung Julian Assange und Wikileaks unter anderem auch finanziell unterstützte, distanzierte sich der Club in den letzten Jahren entschieden von Assange und Wikileaks. Aus der ersten Generation des Clubs ist nur noch Andy Müller-Maguhn als Mitglied aktiv.

Hab ich einen wichtigen Punkt in der Anfangsphase des Clubs vergessen? Ja, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war ein ganz wichtiger Moment in der Club-Geschichte. Wir hingen damals alle an der Leue-Mailbox. Das war einer der ersten kommerziellen Mailbox-Anbieter in Deutschland. Über diese Mailbox liefen auch die Werte der Garchinger Partikelphysiker. Die hatten ja ihren eigenen Versuchsreaktor und machten ihre Tests. Eines Tages guckten sie verwundert auf die Ergebnisse und vermuteten, ihre Messgeräte wären kaputt. Mitarbeiter, die von draußen nach drinnen kamen, hatten eine höhere Strahlenbelastung als die Mitarbeiter, die den Reaktor verließen. Die haben erst verstanden, was los ist, als zwei Tage später die offiziellen Nachrichten über den Äther gingen. Wir saßen damals also lange vor den klassischen Medien auf diesen Werten, aber konnten mit diesem Wissen nichts anfangen. Da habe ich nach dem Medienladen zum zweiten Mal erfahren, dass es wenig hilft, die Wahrheit zu kennen, wenn du keine Möglichkeit hast, die Bevölkerung zu informieren. An dem Problem hat sich also wenig geändert. Damals hatten vielleicht gerade mal 1.000 Menschen einen eigenen Mailbox-Zugang.

Wir wollen in der Reihe nicht nur die Geschichte des Clubs, sondern auch dessen Einfluss auf die deutsche Netzpolitik erzählen. Im Interview verschwimmen diese Aspekte, und so soll es sein. Ich möchte dennoch abschließend einige Kernpunkte zusammenfassen: Die deutsche Hackerszene ist politischer als in Amerika. Sie entstammt dem linksalternativen Milieu und ist bis heute mehrheitlich immer noch dort verortet. Das zeigt sich besonders in Ästhetik, Sprache und Humor. Die Haltung der Linken zu Rechnern und zum Netz ist dagegen in umgekehrter Richtung geprägt. Ohne den CCC hätten linke Parteien ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Rechner und dem Netz wohl länger aufrechterhalten Wau Holland hat erkannt, dass sprachliche Zuspitzung und Humor die wichtigsten Werkzeuge sind, um die Bevölkerung von der eigenen Sache zu überzeugen und komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Bis heute spielt diese Art von Humor - von den „Opfern" der Späße häufig als Arroganz ausgelegt - eine wichtige Rolle unter Netzaktivisten. Der CCC eilt der Politik voraus bei der Analyse technologischer Veränderung. Das war damals so, ist heute so und führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen Clubmitgliedern und Politik. Dem Club ist die Politik zu langsam und trifft falsche Entscheidungen, die Politik wiederum fühlt sich vom Club häufig vor sich hergetrieben und bevormundet. Hinzu kommt das der Club natürlich auch eine Lobbyorganisation ist. Das verengt den Blick unweigerlich. Trotz dieses eingebauten Konfliktpotenzials hat sich das Verhältnis vom Club zur Politik seit den Anfangstagen deutlich verbessert. Clubmitglieder werden regelmäßig als Experten im Gesetzgebungsverfahren und als Gutachter in Gerichtsprozessen geladen. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Konzept aufgeht, die Geschichte des Chaos Computer Clubs mit der Geschichte der deutschen Netzpolitik und mit Zeitzeugen-Interviews zu erzählen. Für ein Fazit ist es nach einer Folge noch früh, aber mich interessiert schon jetzt eure Meinung. Habe ich in der Aufzählung wichtige Punkte vergessen? Was bleibt bei euch hängen? Was nehmt ihr mit? Mitglieder können sich in den Anmerkungen ein Bild von der Interviewsituation machen. In der nächsten Folge widmen wir uns unter anderem der Kriminalisierung des Clubs, der Volkszählung und dem KGB-Hack, der mit dem Tod des Hackers Karl Koch endet und den Club vor eine erste Zerreißprobe stellt. Hintergründe und Link-Tipps zum Thema findet ihr im Auftakt-Text dieser Serie. Ich werde die Fragen und das Interviewtranskript wieder vorab veröffentlichen und unsere Mitglieder einladen, zu kommentieren und Kontextinformationen beizutragen. Mitglieder finden in den Anmerkungen den Fragenkatalog und das komplette Interviewtranskript. Wer an den kommenden Folgen mitwirken möchte, kann mich unter frederik@krautreporter.de kontaktieren. Für die Hilfe an dieser Folge möchte ich mich bedanken bei Peter Stimpel, Alexander Rink, Prof. Humbert, Jan Schormann, Holger Schmitt, Oliver Schnürer und Felix Schwenzel.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Textes wurden der Blog netzpolitik.org und der Verein Digitale Gesellschaft als „Grünen-nah" bezeichnet. Markus Beckedahl, Gründer von Netzpolitik.org und Mitglied im Verein Digitale Gesellschaft wies darauf hin, dass keine der Organisationen sich mit einzelnen Parteien verbunden fühlt. Der Abschnitt wurde entsprechend geändert.

Aufmacherbild: Klaus Schleisiek - Fotograf: Frank Suffert

Zum Original