Berlin Klaus Lederer hat ein geräumiges Büro. So geräumig, dass man sich dort gefahrlos persönlich treffen kann. Viel ist auf den Gängen der Senatskulturverwaltung in der Brunnenstraße nicht los. Ein Teil der Mitarbeiter ist immer im Homeoffice, man wechselt sich ab. Nur der Senator für Kultur und Europa selbst kann sich mit niemandem abwechseln. Er ist immer er selbst.
Berliner Zeitung: Herr Lederer, die Berliner Kultur diente in den vergangenen 20 Jahren immer auch dem Stadtmarketing. Je spannender die Szene, desto mehr Besucher und Einnahmen. Nach Corona wird sich der Tourismus verändern. Wird es schwieriger werden, Fördermittel zu rechtfertigen?
Klaus Lederer: Kunst und Kultur haben Berlin schon ausgezeichnet, als diese Stadt über nichts anderes verfügte. Um ihrer selbst willen müssen wir dafür sorgen, dass sie durch die Krise kommt. Wir erleben eine Krise bisher ungekannten Ausmaßes. Wenn wir aus dieser Situation halbwegs vernünftig wieder rauskommen wollen, müssen wir helfen. Dies jedoch, ohne der Krise an anderer Stelle wieder hinterhersparen zu wollen. Die Bundeshilfen sind ja insbesondere für die großen Wirtschaftsbereiche konzipiert: Da wurde an die Automobilindustrie gedacht, an die Werften, man redet auch über die Sicherung der Fußball-Bundesliga. Aber die spezifischen Bedürfnisse der Kultur wurden weitgehend ausgeblendet. Der Kultur helfen Kredite in der Regel nicht, weil die wegbrechenden Einnahmen gar nicht nachgeholt werden können.
Berliner Zeitung: Und was hilft der Kultur?
Lederer: Im Kulturbetrieb sind nicht alle gleichermaßen betroffen. Am härtesten ist es für die Freien und Soloselbstständigen, denen von heute auf morgen alle Einnahmen weggebrochen sind. Für jene, die auch in öffentlichen Häusern tätig sind, haben wir das, was Staatsministerin Monika Grütters vor zwei Wochen gefordert hat, schon Ende März durch Hauserlass ermöglicht: nämlich dass ihnen Ausfallhonorare gezahlt werden können, orientiert am Kurzarbeitergeld. Und wir haben mit der Soforthilfe II für Soloselbständige und Freiberufler einen großen Teil der Betroffenen in Berlin erreichen können.
Aber wir können nicht alle drei Monate einen Jahreskulturhaushalt für ein Soforthilfeprogramm verteilen. Deswegen auch die Bitte an den Bund, die für Soforthilfe zur Verfügung stehenden und bisher übrigens nur zu einem Bruchteil ausgegebenen Mittel etwas flexibler zu verteilen. Was die öffentlichen Häuser betrifft, insbesondere jene mit großen Sälen, in denen sich viel Publikum versammelt und die in absehbarer Zeit keine Einnahmen generieren werden, so werden wir diese mithilfe des Nachtragshaushaltes absichern. Sie müssen diese Ausfälle also nicht einsparen. Und dann gibt es noch diejenigen, die bisher gänzlich ohne öffentliche Förderung ausgekommen sind, die privaten Theater, Varietés oder Clubs. Denen helfen wir jetzt mit einem eigenen Programm, das wir mit der Finanz- und der Wirtschaftsverwaltung entwickelt haben.
Berliner Zeitung: Mit der Soforthilfe IV. Wie schnell greift die?
Lederer: In der kommenden Woche können private Häuser, die mehr als zehn Beschäftigte haben, bei der Investitionsbank Berlin Anträge einreichen. Ziel ist es, bis Ende des Monats die Ausgabe der Mittel hinbekommen zu haben. Wir stellen zunächst 30 Millionen Euro für drei Monate bereit. Das ist eine ordentliche Summe angesichts der Tatsache, dass es nirgendwo sonst in der Bundesrepublik so eine Art von Programm gibt. Das Geld soll Liquidität erhalten, also helfen, laufende Kosten zu decken. Es dient nicht dem Zweck, sämtliche Einnahmeausfälle auszugleichen. Und es ist ein nachrangiges Programm: Wer das in Anspruch nimmt, hat vielleicht auch schon Kurzarbeitergeld beantragt.
Berliner Zeitung: In der Maßnahmenbeschreibung heißt es, dass sich nur Häuser „mit landesweiter Ausstrahlung" um die Zuschüsse bewerben können. Wer entscheidet darüber?
Lederer: Das ist eine kulturfachliche Entscheidung. Das heißt, dass wir uns mit Akteuren aus den Szenen beraten und dann hier in der Kulturverwaltung entscheiden. Wenn ich über begrenzte Mittel verfüge, muss ich die Möglichkeit haben, am Ende zu priorisieren. Bei der Soforthilfe II wussten wir vorher nicht, wie viele Personen darauf zugreifen würden, und dann war der Fonds irgendwann erschöpft. Jetzt wollen wir uns über die Antragslage erst ein Bild machen und dann verteilen. Dabei soll auch ausgeschlossen werden, dass Nichtberechtigte diese Ressourcen aufzehren.
Foto: Berliner Zeitung/Markus Wächter
Klaus Lederer, 1974 in Schwerin geboren und in Frankfurt (Oder) und Berlin aufgewachsen, ist studierter Jurist und promovierte über das Thema Privatisierung. 1992 trat er in die PDS ein, wurde 2005 Landesvorstand in Berlin und war 2007 dann auch der erste Landesvorsitzende der neu gegründeten Partei Die Linke. Mitglied des Abgeordnetenhauses seit 2003, ist er seit 2016 Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa. Seit Jahren liegt Klaus Lederer in Umfragen nach Berlins beliebtestem Politiker ganz vorn.
Berliner Zeitung: Wäre es nicht Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Lederer: Mir würde zum Ersten schon genügen, wenn für diejenigen, die sie brauchen, eine bedingungslose Grundsicherung eingeführt würde. Während es für Zahnärzte spezielle Absicherungen gibt, werden Kulturschaffende nahtlos auf eine Grundsicherung verwiesen. Diese wird uns verkauft, als sei sie nicht mehr Hartz IV, aber sie reproduziert die „Bedarfsgemeinschaft", die Abhängigkeiten zwischen Menschen erzeugt, die man in einer freien Gesellschaft nicht haben will. Und sie zwingt Menschen, die unverschuldet in eine Notlage gekommen sind, zuerst ihre Alterssicherung zu verfrühstücken. Das ärgert mich. Der damit verbundene Diskurs um die Wertschätzung von Menschen ärgert mich auch. Die Grundsicherung ist das letzte soziale Auffangnetz in der Bundesrepublik, auf das nun viele verwiesen werden, die nicht in Kurzarbeit gehen können. Es ist mit der Unterstellung behaftet, es sei das Netz für diejenigen, die in dieser Gesellschaft nichts leisten. Das ist grundfalsch. Deshalb: Die Debatte, ob Hartz IV generell ein akzeptables Auffangnetz in einer sozialstaatlichen Gesellschaft ist, finde ich zwingend notwendig.
Berliner Zeitung: Was glauben Sie, wie lange die Kontaktbeschränkungen anhalten? In Schweden zeichnet sich ab, dass mehr Offenheit funktionieren kann.
Lederer: So pauschal kann man das nicht sagen ... Im Übrigen sind auch dort Theater geschlossen. Wir müssen davon ausgehen, dass Situationen, in denen sich viele Menschen auf engem Raum miteinander aufhalten, das Letzte sein werden, was in gewohnter Weise stattfinden kann. Wenn wir öffnen würden, hätten wir Zuschauersäle, in denen nur jede dritte Reihe mit jedem vierten Platz besetzt wäre. Das wäre künstlerisch, als Theatererlebnis, aber auch ökonomisch schwierig. In den Häusern gibt es - da sind wir in stetem Austausch - noch keine einheitliche Meinung. Wir könnten diese Diskussion etwas freier führen, wenn wir wüssten, dass wir als Länder nicht völlig auf uns allein gestellt sind.
Berliner Zeitung: Staatsministerin Monika Grütters hat kürzlich beklagt, die Länder würden zu wenig zusammenarbeiten.
Lederer: Die Kultusminister stehen in engem Kontakt miteinander. Ich glaube, dass wir sehr schnell gezeigt haben, dass wir uns der Verletzlichkeit des Kultursektors bewusst sind. Wir haben in Berlin die ersten Nothilfen ausgereicht, da gab es noch gar keine Bundesprogramme. Jetzt machen wir ein Programm für die privaten Institutionen, und es ist offen, ob seitens des Bundes etwas dazukommen wird. Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, wozu die Bundeshilfen gut sind und wozu nicht. Der Opernstiftung hilft zum Beispiel Kurzarbeit sehr. Den Clubs, die viele Mitarbeiter in geringfügiger Beschäftigung haben, nützt sie eher nichts. Aber es hilft weder Bund noch Ländern, sich den schwarzen Peter hin- und herzuschieben. Jeder muss an seiner Stelle tun, was geht.
Berliner Zeitung: Was erwarten Sie vom Bund?Lederer: Die Einsicht, dass noch so viel Kreativität uns nicht in die Lage versetzt, dass wir die Pandemie einfach wegdenken könnten.
Berliner Zeitung: Dass Berlin seine Hilfsprogramme auflegen kann, liegt wesentlich daran, dass die Finanzen der Stadt in Ordnung sind. Sind Sie der SPD dankbar, dass sie in den vergangenen Jahren darauf beharrt hat, Schulden abzubauen?
Lederer: Wieso der SPD? Die Sanierung haben wir zusammen getragen, übrigens auch schon bei rot-rot. Insofern haben wir das alle gemeinsam richtig gemacht. Jetzt müssen wir den eingeschlagenen Weg weitergehen und den Sanierungsstau im Bildungsbereich und bei der Infrastruktur beseitigen. Wir müssen Berlin an sein Wachstum anpassen und den sozial-ökologischen Umbau der Stadt fortsetzen. Darüber hinaus benötigen wir massive Kredite, um die Einnahmeausfälle auszugleichen und zusätzliche Ausgaben zu bewältigen. Das werden Summen, die exorbitant hoch erscheinen im Vergleich zu dem, worüber wir in vergangenen Jahren gesprochen haben.
Berliner Zeitung: Um wie viel Geld geht es denn?
Lederer: Der nächste Nachtragshaushalt wird einen Steuerausfall und zusätzliche Kosten von sechs Milliarden Euro umfassen, für die beiden Haushaltsjahre 2020 und 2021. Wir können keine sichere Prognose abgeben, ob es nach der Krise eine schnelle Erholung gibt. Unter Umständen müssen wir konjunkturbelebende Maßnahmen anschließen.
Berliner Zeitung: Die Krise verändert das Leben, und einige dieser Veränderungen werden bleiben. Die Menschen arbeiten mehr zu Hause, sie schauen sich Konzerte im Stream an, die Schulen steigen ins digitale Lernen ein. Ist es da richtig, an Investitionsplänen aus der Vor-Corona-Welt festzuhalten?
Lederer: Was in Berlin geplant ist, sind Maßnahmen, die wir auch nach der Corona-Krise brauchen - deshalb klar: Ja. Digitales Lernen wird den direkten Kontakt in den Schulen nicht ersetzen, das geht höchstens eine Weile. Aber es stimmt: Wir müssen uns noch stärker mit der Frage beschäftigen, welche öffentlichen Angebote wir digitalisieren können.
Berliner Zeitung: Was ist mit linken Herzensprojekten wie der Rekommunalisierung der Energienetze oder dem Rückkauf ganzer Wohnviertel - hat Berlin dafür im Zeichen der Krise noch die Mittel?
Lederer: Auch diese Politik bleibt richtig. Wir sehen es ja am privaten Immobiliensektor, der sich einen Dreck darum schert, wie die Einnahmesituation seiner Mieter ist. Wir erkennen, dass öffentliche Infrastruktur krisenfester ist. Warum sollten wir jetzt aufhören, sie zu sichern?
Berliner Zeitung: Aus der Linksfraktion kam vor wenigen Tagen der Vorschlag, Ufergrundstücke für die öffentliche Hand anzukaufen. Ist das gute linke Krisenpolitik, reichen Berlinern für viel Geld ihren Boden abzukaufen, statt mit diesem Geld Existenzen zu sichern?
Lederer: In der Krise wurden auch der öffentliche Raum und unsere Parks auf einmal wichtig. Ob Uferankäufe nun in der Krise die erste Maßnahme sein sollten, sei dahingestellt. Gute linke Krisenpolitik ist, an wichtigen Dingen festzuhalten, aber nicht einfach weiterzumachen wie vorher. Gute linke Politik ist auch, jetzt schon über die Frage zu diskutieren, ob wir nach der Krise zu den gewohnten Modi zurückkehren, Verluste zu vergesellschaften. Die Verteilung von Reichtum und Armut in dieser Gesellschaft war schon vor der Krise skandalös. Und sie hat dazu geführt, dass so viele Menschen in dieser Krise verletzlich sind.
Berliner Zeitung: Wie viel Zeit sollte sich Berlin nehmen, um von den Krediten wieder runterzukommen?
Lederer: Ich glaube, das wird ein Langstreckenlauf. Wir müssen Spielräume erhalten, um die Konjunktur beleben zu können und die Stadt funktionsfähig zu halten. Das heißt, ein längerer Tilgungszeitraum wäre sinnvoll. Ich halte fünfzehn bis zwanzig Jahre für akzeptabel. Wir müssen aber auch bedenken, dass der Kapitalismus krisenanfällig ist und dass wir vielleicht in acht Jahren die nächste Krise haben.
Berliner Zeitung: Das würde dafür sprechen, sich keine zwanzig Jahre Zeit zu lassen.
Lederer: Die Corona-Pandemie ist eine Ausnahmekrise, wie sie die heute lebenden Generationen noch nicht gesehen haben. Ist es da sinnvoll, sich alle damit verbundenen Schulden so schnell wie möglich vom Hals zu schaffen - mit der Konsequenz, die Resilienz des Gemeinwesens zu gefährden? Wir müssen jetzt die richtigen Impulse setzen, um ein gesundes Wachstum zu ermöglichen. Wenn wir zu ängstlich sind, würgen wir die Wirtschaft ab und haben am Ende womöglich noch viel höhere Schulden. Wir können uns aus dieser Krise nicht raussparen.