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Machtwechsel im Kosovo ?

Die zwei grössten Oppositionsparteien in Kosovo wollen miteinander regieren. Das könnte längst fällige Reformen voranbringen, nicht aber den Dialog mit Serbien.


Es geschah Knall auf Fall. Der kosovarische Ministerpräsident Ramush Haradinaj trat im Juli zurück, nachdem er vom Sondergericht für Verbrechen der UCK-Guerillatruppe in Den Haag (Kosovo Specialist Chambers) vorgeladen worden war. Seine Regierung war nur 22 Monate im Amt gewesen. Es war die vierte seit der Unabhängigkeit 2008.


Bisher hat noch keine Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode durchgehalten. Da blieb jeweils wenig Zeit, um die Probleme zu lösen, die den 1,8 Millionen Einwohnern zu schaffen machen: die hohe Arbeitslosigkeit, der fehlende Sozialstaat, ein ineffizientes Steuersystem und die mangelnde Qualität im Bildungssektor.


"Unsere Politiker waren immer damit beschäftigt, der internationalen Gemeinschaft zu gefallen, so dass sie die eigene Bevölkerung vergessen haben", kritisiert die prominente Fernsehjournalistin Jeta Xharra. Das dürften die Botschafter der westlichen Länder in Pristina anders sehen. Sie sorgen sich um den Stillstand des Normalisierungsprozesses in der Beziehung mit Serbien.



Seit Pristina vor bald einem Jahr hohe Strafzölle auf Produkte aus Serben und Bosnien-Herzegowina erhebt, sind die Verhandlungen auf Eis gelegt. Doch das Thema spiele bei dieser Wahl eine untergeordnete Rolle, glaubt Xharra. In einer Umfrage des National Democratic Institute (NDI) geben nur 4 Prozent der Befragten den Dialog mit Serbien als Priorität an, weit hinter Themen wie der Wasserversorgung, den Pensionen oder der Sozialversicherung.


Die Kandidaten für die Wahl haben ihre Lehre daraus gezogen. In den abendlichen TV-Duellen reden sie lieber über die Korruptionsbekämpfung oder einen obligatorischen Mindestlohn. An das Versprechen, dass nach dem Ausgleich mit Serbien und mit der Annäherung an die EU alles besser werde, glaubt in Kosovo mittlerweile niemand mehr.

In den letzten zwei Jahren haben sich die Machtverhältnisse in Kosovo verschoben. Die linksnationalistische Oppositionspartei Vetevendosje (Selbstbestimmung) macht den Grossparteien PDK (Demokratische Partei) und LDK (Demokratische Liga) ernsthafte Konkurrenz. 2017 konnte Vetevendosje ihre Wählerstimmen verdoppeln und wurde stärkste Kraft. Diesen Erfolg wird sie allerdings nur schwer wiederholen können, nachdem 12 der 32 Abgeordneten die Partei verlassen und eine sozialdemokratische Splitterpartei namens PSD gegründet haben.


Angeführt wird sie von Pristinas Bürgermeister Shpend Ahmeti, der mit Albin Kurti, dem charismatischen Anführer der Mutterpartei, mittlerweile kein Wort mehr wechselt. Stattdessen kandidiert Ahmeti auf einer gemeinsamen Liste mit Ramush Haradinaj, den er früher scharf kritisierte. Ideologisch haben die beiden wenig gemeinsam. Allerdings spielt es kaum eine Rolle, ob eine Partei sich links, rechts, liberal oder konservativ nennt. Parteien definieren sich in Kosovo über ihre Führungsfiguren und die lokale Verortung.


Die meisten Spitzenkandidaten, die sich der Wahl stellen, kennt das Land seit über zwanzig Jahren. Drei von fünf haben ihre Wurzeln in der UCK - Ramush Haradinaj, Kadri Veseli und Fatmir Limaj. Nicht aber Albin Kurti, der die ehemaligen Kommandanten seit über zehn Jahren attackiert. Neu ist nur Vjosa Osmani, die einzige Frau im Rennen, die für die LDK antritt.


Osmani macht diese Wahl spannend, weil sie ein Tabu bricht. Sie will mit Albin Kurti regieren, dem schwarzen Schaf der kosovarischen Politik. Seine Tränengas-Attacken aus Protest gegen eine Korrektur der Grenze mit Montenegro und seine Forderung nach einem Referendum über die Vereinigung mit Albanien haben Kurti im Westen den Ruf eines unberechenbaren Hitzkopfs eingetragen.


Mittlerweile hat er seine nationalistische Rhetorik gemässigt und trifft sich mit deutschen Sozialdemokraten in Berlin und dem amerikanischen Botschafter in Pristina. Zeigt sich Kurti weiterhin moderat, stünde einer Zusammenarbeit nichts im Wege, sagen Vertreter der LDK. Beide Parteien zielen mit ihrer konsequenten Oppositionspolitik neben der Stammwählerschaft auf Neuwähler und die Stimmen der Diaspora.

Diaspora in der Schweiz mobilisiert

"Noch nie", sagt die Journalistin Xharra, "war der Abstand zwischen den Parteien so gering." Das macht Prognosen schwierig. Eines lässt sich aber jetzt bereits sagen - die Diaspora in der Schweiz und in Deutschland wird eine wichtige Rolle spielen.

Laut der Wahlkommission haben sich doppelt so viele Wähler aus dem Ausland registriert wie bei den Wahlen 2017. Damals gingen 70 Prozent der Stimmen aus der Diaspora an Vetevendosje, 16 Prozent an die LDK.


Deswegen macht Kurti als einziger Kandidat auch Wahlkampf in Zürich und Genf. Er wirbt seit Wochen auf Facebook für die Billigfluggesellschaften, mit denen Auslands-Kosovaren zur Wahl anreisen können.


Der Politik-Beobachter Agon Maliqi sieht zwei Gründe für Kurtis Popularität in der Diaspora: "Diese Kosovaren sind nationalistischer eingestellt als die Leute in der Heimat, weil sie sich entwurzelt fühlen. Und sie sind unabhängiger von den regierenden Parteien und ihren klientelistischen Netzwerken."


Was Kurti und Osmani eint, ist das Feindbild PDK, die seit 2007 an der Macht ist. Sie werfen der Partei vor, den Staat und seine Institutionen gekapert zu haben und für ihre Zwecke auszubeuten. Auch Haradinaj, der mit dem Parteigründer und amtierenden Präsidenten Thaci auf Kriegsfuss steht, lehnt eine weitere Koalition mit der PDK ab.


Sollte eine Koalition aus Vetevendosje und der LDK das Rennen machen, dürfte die kosovarische Politik unberechenbarer werden. Die PDK wird von westlichen Staaten zwar oft für ihre masslose Korruption gescholten, aber gleichzeitig schätzt man ihre Verlässlichkeit. Sie trifft kaum eine wichtige Entscheidung ohne Konsultationen mit Washington, Berlin und Brüssel.


Es ist schwer vorstellbar, wie mit Kurti in absehbarer Zeit ein Ausgleich mit Belgrad gefunden werden kann. Aber auch Osmani gibt sich kompromisslos. Sie lehnt, wie mittlerweile alle Parteien, einen Gebietsaustausch mit Serbien als Kompromisslösung ab. Sie kritisiert auch Brüssel, das Belgrad in den Verhandlungen bevorzugt behandle.

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