Khalid Abdel-Hadi, 29, trägt einen Stoppelbart, weiße Turnschuhe und eine Bauchtasche schräg über die Brust, so wie es gerade fast überall hip ist. Khalid bedeutet auf Arabisch "der Unsterbliche". Der Name könnte kaum passender sein. Denn viele hier in Jordanien wollen Männer wie ihn tot sehen.
Homosexualität ist in der arabischen Welt noch immer ein Tabu und wird als Sünde, Krankheit und Perversion betrachtet. Homosexuelle Männer und Frauen führen ein Leben im Verborgenen, sie können sich nicht offen auf der Straße zeigen, Regenbogenparaden sind undenkbar, kaum jemand setzt sich für ihre Rechte ein.
Khalid Abdel-Hadi aber schon. Er ist der Erste, über dessen Coming-out in der jordanischen Öffentlichkeit gesprochen wurde. Und er gibt " My.Kali" heraus, das erste LGBT-Magazin auf Arabisch.
Abdel-Hadi gibt das Interview auf dem Dach eines Wohnblocks in Amman. Es ist ein sandsteinfarbener Flachbau, von denen es Hunderttausende in der Stadt gibt, quadratisch, Wassertank und Wäscheleine auf dem Dach. Eine Regenbogenflagge würde er niemals am Balkon hissen. "Ich will keinen Stress mit den Nachbarn, keine Besuche von der Klatschpresse und schon gar nicht von der Polizei", sagt er.
Zehntausende Leser jeden Monat
"My.Kali" hat inzwischen mehr als 15.000 Leser im Monat. Weitaus mehr Menschen, rund 100.000 besuchen das Magazin jeden Monat über die sozialen Medien. Ein Team aus rund 30 Fotografen, Künstlern, Autoren, Grafikern und Modedesignern produziert es. Die Teammitglieder sind auf der ganzen Welt verteilt, halten Kontakt über Skype. Alle zwei Monate stellen sie eine neue Ausgabe ins Netz, promoten sie auf Twitter, Instagram, Facebook und der schwulen Dating-App Grindr.
"My.Kali" lässt nichts aus: Es geht längst nicht nur um Schwule und Lesben, sondern auch um Frauen, die sich als Männer fühlen und sich die Brüste entfernen lassen. "My.Kali" berichtet über Feministinnen, die patriarchale Strukturen kritisieren. Künstler kommen zu Wort, Designer, aber auch Musiker. Es gibt Modestrecken, in denen Frauen Bärte tragen und Männer Stöckelschuhe. In Jordanien, Katar und im Gazastreifen haben Behörden das Magazin blockieren lassen.
Offiziell ist Homosexualität in der Monarchie Jordanien nicht verboten. "Es gibt keinen Paragrafen, der Homosexualität unter Strafe stellt", sagt Khalid Abdel-Hadi, "wobei so ganz legal ist es dann auch nicht." Bis heute existieren religiös-konservative Anstandsgesetze. Diese können von Richtern sehr repressiv ausgelegt werden, was wohl dem Willen der Bevölkerung entspricht: In einer 2013 vom US-amerikanischen Pew Research Center durchgeführten Studie antworteten 97 Prozent der befragten Jordanier auf die Frage, ob die Gesellschaft Homosexualität akzeptieren sollte, mit Nein.
Steht man auf dem Dach, wo Abdel-Hadi seine Geschichte erzählt, sieht man staubige, von Palmen gesäumte Straßen. Dahinter gläserne Bürotürme, an denen der hupende Abendverkehr vorbeizieht. Amman gilt neben Beirut, der Hauptstadt des Libanon, als eine der wenigen Städte der Region mit einer LGBT-Szene. Wobei diese wohl mehr übersehen wird, als geduldet.
Es gibt eine Handvoll Bars, in denen Frauen Frauen und Männer Männer kennenlernen können. Solange sie sich nur zu Hause küssen, hat die Polizei anderes zu tun. Aber das reicht Abdel-Hadi nicht. Er glaubt, dass junge Schwule und Lesben sichtbare Vorbilder brauchen, die ihnen sagen: "Versteck dich nicht, es ist okay, so wie du bist."
Genau dieser Rückhalt habe ihm damals gefehlt, erzählt Khalid Abdel-Hadi. Damals, als er vor der wohl schwierigsten Entscheidung seines Lebens stand: Soll ich mich weiter verstecken? Soll ich meine Familie schonen? Oder wage ich das Outing? Weil sich sonst nie etwas ändert. Er entschied sich für das Risiko.
2007 erschien die erste Ausgabe von "My.Kali", 17 Jahre war er da alt. Zwölf Artikel, verfasst auf Englisch, von vier befreundeten Autoren, die noch Teenager waren. Sie hatten noch kein Lektorat, die Ausgabe strotzte vor Rechtschreibfehlern. Auch für den Druck hatten sie kein Geld, also brannten sie die Texte auf CDs. Das erste Cover zeigte Khalid Abdel-Hadi selbst: glattes Gesicht, oberkörperfrei, Blick in die Kamera.
Für Abdel-Hadi war die Zeit, als er "My.Kali" startete, keine einfache. In der Schule wurde er gemobbt, weil er femininer war als die anderen Jungs. Im Religionsunterricht erklärte der Lehrer, dass im Paradies viele schöne Frauen warten. "Ich ging auf die Toilette und weinte", erinnert sich Abdel-Hadi. Andere Lehrer fragten ihn vor der ganzen Klasse: "Warum benimmst du dich wie ein Mädchen?"
Und dann war da noch das Outing vor seiner Mutter. "Ich mag Männer", sagte Abdel-Hadi zu ihr, weil er das Wort schwul noch nicht kannte. "Unsinn, du sehnst dich nach einer Vaterfigur", sagte die Mutter. "Ich hatte das Gefühl, eine andere Sprache als meine Familie zu sprechen", erzählt Abdel-Hadi, während sich die Dunkelheit langsam über das Flachdach in Amman legt. Er zündet Räucherstäbchen an, holt sich eine Tasse Tee. Alkohol, Drogen, wilde Partys - das sei nicht so sein Ding.
Es mag nicht zu seiner Geschichte passen, aber Abdel-Hadi sagt, dass er nicht gern im Mittelpunkt stehe. Vor Publikum zu sprechen, mache ihn nervös. Onlinedating habe ihn nie interessiert. Seit mehr als sechs Jahren ist er mit seinem Freund zusammen, der in Paris lebt. Abdel-Hadi pendelt zwischen der französischen und der jordanischen Hauptstadt hin und her. Von einer Welt, in der Homosexuelle heiraten und Kinder haben dürfen, in eine Welt der Tabus und Verbote.
Er verhalte sich in Paris nicht viel anders als in Amman, sagt Abdel-Hadi. Weder hier noch dort wolle er sich eine Regenbogenflagge umbinden, weil er sich damit nicht identifiziert. "Sie steckt uns in eine Schublade", sagt er. Sein Magazin wolle Vielfalt zeigen und nicht Klischees bedienen. "Meine Eltern dachten zum Beispiel, alle schwulen Männer tragen High Heels und Glitzerkleidung", sagt Khalid.
Erst durch sein Outing hätten sich seine Eltern geöffnet. "My.Kali" versucht das, was Khalid Abdel-Hadis Eltern im kleinen Kreis gelungen ist, auf eine ganze Generation arabischer Jugendlicher zu übertragen. So sammelte der Herausgeber die gängigen Vorurteile, die ihm im Internet begegneten - "Homosexualität ist eine Krankheit", "Schwule sind pädophil", "Kann man Homosexualität heilen?", "Ist Homosexualität ein Import aus dem Westen?" - und widerlegte sie in einem Text. "Bis heute", sagt Abdel-Hadi, "ist es der am häufigsten angeklickte Artikel auf unserer Webseite."
In den ersten Jahren erschien "My.Kali" nur auf Englisch. Seit 2016 veröffentlicht das Onlinemagazin auch arabische Artikel. Das war der Moment, als die Zugriffe in die Höhe schossen. "Offenbar gibt es eine große Nachfrage für die Themen, die wir aufgreifen", sagt Abdel-Hadi.
Allerdings wurden nicht nur Interessierte auf die Texte aufmerksam, sondern auch die Abgeordnete Dima Tahboub von der Partei Islamic Action Front, einem politischer Ableger der Muslimbrüder in Jordanien. Sie legte Beschwerde bei der staatlichen Medienkommission ein. Bis heute ist "My.Kali" daher in Jordanien blockiert.
Doch Abdel-Hadi ließ sich davon nicht stoppen. "My.Kali" zog einfach auf eine neue Webseite um. Jordanische User können die Blockade umgehen, indem sie auf einen speziellen Link klicken, der in sozialen Netzwerken verschickt wird. Inzwischen sei "My.Kali" kein reines LGBT-Magazin mehr, sagt Abdel-Hadi.
Es soll allen Menschen Platz bieten, die sich ausgeschlossen fühlen. Weil sie sich dem religiösen und kulturellen Mainstream widersetzen. Weil sie anders sind.
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