Franziska Horn

Autorin. Freie Journalistin, München

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Artikel

Von bunter Tapete zur Baurealität – wie Visionen Wirklichkeit werden

Nur die besten und anspruchsvollsten Architekten sind in der Lage, unvergessliche Entwürfe zu schaffen, die zu Landmarken oder gar Wahrzeichen werden. HOCHTIEF hat zahlreiche solcher Visionen baulich umgesetzt und dabei gelernt: In der Zusammenarbeit mit der ersten Liga der Stararchitekten müssen alle Beteiligten über sich hinauswachsen. Und am Ende immer einen Kompromiss finden zwischen Kunst, Konstruktion und Funktion. 


TEXT FRANZISKA HORN 


Am Anfang steht die Idee, die Vision, die Eingebung. Mitunter nur eine Skizze, gescribbelt vielleicht auf eine Serviette, bevor ein Computerprogramm erste Grafiken generiert. Eine architektonische Fantasie weiterzuentwickeln in alltagstaugliche, technisch hochkomplexe Gebäude, die den Naturgesetzen standhalten, der Physik, der Statik, der Mathematik, zudem dem Denkmal- oder Brandschutz - das bedeutet oft eine weite gemeinsame Reise von Ideator und Realisator.

Dazu kommt, dass im Fall von Stararchitekten das Ego-Branding und die eigene kreative Handschrift eine weit größere Rolle innerhalb der architektonischen Marke spielen, somit ein bedeutender Teil der Idee sind. Entwürfe von „Szenestars" wie Frank O. Gehry oder Zaha Hadid sind immer als solche zu erkennen, unabhängig von der Funktion eines Gebäudes. Die Vision von dem Besonderen, dem gebauten Kunstwerk, dem niemals zuvor Gesehenen bleibt für die Zusammenarbeit zwischen dem Architekten und einem Bauunternehmen wie HOCHTIEF nicht ohne Folgen. Die Umsetzung der hochfliegenden Pläne wird zum Ringen zwischen Machenwollen und Machbarkeit. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit", wusste schon der bayerische Satiriker Karl Valentin. Davon können auch die Ingenieure von HOCHTIEF berichten.

" EINE BUNTE TAPETE " HERZOG & DE MEURON

Ein markantes Beispiel ist die 2016 fertiggestellte Elbphilharmonie in Hamburg - hier traf die „künstlerische Aufsicht" der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron auf die Ingenieurskunst von HOCHTIEF. „Es war schwierig, aber wir haben uns angenähert", sagt Beate Cornils, die als Senior-Projektleiterin für den Bau des Konzertbereichs der „Elphi" verantwortlich war. „Die Zusammenarbeit prägte, dass viele geplante Elemente einfach nicht handelsüblich auf dem Markt zu finden waren. Sie mussten erforscht, entwickelt und als Unikate erschaffen werden." Cornils verweist zum Beispiel auf die verbauten 3.000 mundgeblasenen Leuchtkörper.

„Hinzu kommt, dass für die Konzertsäle als baurechtliche Versammlungsstätten erhöhte Anforderungen gelten. Obendrein gibt es spezielle Brandschutzbestimmungen für Hochhäuser - der große Konzertsaal, unten im Speicher angesiedelt, wäre viel einfacher zu realisieren gewesen. Noch dazu die Anforderungen an Akustik und Schallschutz. Die sogenannte Weiße Haut gab es nicht als standardisierte Lösung." Den langen Realisierungsprozess beschreibt sie als gemeinsames Herantasten - mit eingebauten Überraschungsmomenten: „Per Computer war die Fugenbreite der bis zu 100 Kilogramm schweren Platten mit vier Millimetern berechnet worden, ohne auch nur einen einzigen Toleranz-Millimeter. Das ist nicht baubar, jedenfalls nicht von Menschen."

Papier ist geduldig. CAD-Programme, die den Faktor Mensch ausblenden, sind es auch, hat Beate Cornils gelernt. Von der ursprünglichen Idee, „eine bunte Tapete", sagt sie, war es ein weiter Weg zur Baurealität mit ihren Zwängen. Ob sie Architekten, Stararchitekten als Künstler versteht? „Nein", sagt sie, „aber es geht immer um eine Annäherung an eine künstlerische Vision. Das ist natürlich spannender, als konventionelle Entwürfe zu erfüllen." Ihre langjährige Erfahrung zeige, dass gerade Stararchitekten „ihr Modell möglichst entwurfsgetreu umgesetzt sehen wollen und dabei nicht lockerlassen, insgesamt weniger kompromissbereit sind. Ein ,Geht nicht' gibt es für sie nicht."

Die Detailversessenheit großer Architekten ist sprichwörtlich. Diese Akribie will den Geist eines Entwurfs bis in die kleinsten Aspekte transportieren, auch als Zeichen von Qualitätsbewusstsein. „Hinter den Kulissen ist es nicht immer einfach", gibt Cornils zu, findet aber auch: „Die Mühe lohnt sich." Einen Garant für das Gelingen hoch ambitionierter Projekte sieht sie in der professionellen Durchmischung der jeweiligen HOCHTIEF-Teams. Hier finden sich Spezialisten aller Disziplinen wieder.

Wie lautet das Resümee von Beate Cornils für andere Projekte - auch mit Blick auf die Einhaltung von Kostenplänen? „Wir als Generalbauunternehmen können unsere Leistung für solche Entwürfe erst dann anbieten, wenn die Planung komplett bis ins Detail abgeschlossen ist", sagt die Projektleiterin. Bauherren wollen jedoch viel früher ein Preisschild für ihr Vorhaben sehen. Auch dies ist ein Spannungsfeld, das mit der Höhe des gestalterischen Anspruchs, den noch zu entwickelnden Materialien und mit steigender Komplexität des Gebäudes intensiver wird. „Eventuell benötigen wir künftig neue, begleitende Vertragsmodelle", schlägt Cornils vor.

" EINZIGARTIGE GEOMETRIEN " LORD NORMAN FOSTER

Ein weiterer Meilenstein in der HOCHTIEF-Erfolgsgeschichte der Kooperation mit großen Baumeistern ist der von Norman Foster geplante Commerzbank-Turm in Frankfurt. 1994 begonnen und 1997 eröffnet, wurde der Innenstadt-Wolkenkratzer mit 259 Metern und 65 Stockwerken Deutschlands höchstes Hochhaus - sogar eines der höchsten Bauwerke Europas.

HOCHTIEF war hier gesamtverantwortlicher Generalunternehmer. Für das Gebäude wurden 18.800 Tonnen Stahl verbaut - doppelt so viel wie für den Eiffelturm in Paris. Weil für Lord Foster, der auch den Glaskuppelbau des Berliner Reichstags entwarf, die ökologischen Aspekte im Vordergrund standen, erhielt das Commerzbank-Hochhaus für seine gestalterisch hochwertige und nachhaltige Bauweise 2009 den Green Building Award der Stadt Frankfurt am Main. Worin liegt bei derartigen Großprojekten die größte Herausforderung? Christoph Breimann erläutert diese am Beispiel eines Projekts für das Textilunternehmen Peek&Cloppenburg (P&C) in der Schildergasse in Köln, das er als Planungsleiter der Abteilung Technik / Objektplanung von HOCHTIEF verantwortete. Der Entwurf des 2005 eröffneten fünften „Weltstadtkaufhauses" - so nennt der Bauherr diese Objekte - stammt aus der Feder des italienischen Stararchitekten Renzo Piano.

Ein Architekt hat von seinem Berufsbild den ganzheitlichen Ansatz eines Bauwerks zu verfolgen - Gestaltung, Form und Funktion. Das wird aber technisch und inhaltlich immer komplexer, weshalb Architekten heute eine Vielzahl von Fachingenieurleistungen unterschiedlichster Disziplinen und Ausprägungen integrieren müssen. „Die Herausforderung liegt dann darin, diese Beiträge zu koordinieren und zu einem vollständigen Ergebnis in seine Planung zu integrieren", sagt Breimann. Dafür müssten beide Seiten fachlich kompetent auf Augenhöhe an der Umsetzung arbeiten. „Besondere Gewerke erfordern aufgrund der Komplexität, der Abhängigkeiten und Vorfertigungen eine genaue Werk- und Montageplanung, zum Beispiel die Gebäude- und Fassadentechnik", so der HOCHTIEF-Experte weiter.

Seine Aufgabe war es, den sehr anspruchsvollen Renzo-Piano-Entwurf mit seiner einzigartigen Geometrie, den vorgesehenen Materialien und den technischen Anforderungen in eine ausführbare Planung weiterzuentwickeln. Unbekannte Größen, so Breimann, dürfe es in einem so hochklassigen Bauprojekt nicht geben. Einerseits also die Vision des Architekten, andererseits die Verantwortung des Bauunternehmens, diese Vision in ein schlüsselfertiges Bauwerk umzusetzen - das schafft Spannungsfelder, etwa um Fragen wie Baubarkeit, Kosten und Termine.

Eine Aussage, die Arno Winterboer unterstreicht. Der HOCHTIEF-Elektroingenieur war bei dem P&C-Projekt in Köln für die Haustechnik zuständig. Auch Winterboer bestätigt den sehr intensiven Koordinations- und Abstimmungsbedarf sowie den höchsten Anspruch bei dem Vorhaben. Schließlich plant P&C die Projekte gern mit großen Architekten. Jedes Objekt ist besonders und anders, jedes ein Unikat, jedes eben ein „Weltstadtkaufhaus".

Mit seinem modernen Entwurf trieb Piano - legendär durch Arbeiten wie das Pariser Centre Pompidou oder den Londoner Wolkenkratzer The Shard - die Stilrichtung der „Blobs" voran: blasenartige, organisch geformte Hüllen, meist in Glas, Stahl und Holz umgesetzt. Seine Form erinnert manche an ein Schiff, andere sogar an einen gestrandeten Wal - von den schlagfertigen Kölnern wird es daher schlicht Walfisch genannt.

Die prägende Glasfassade mit einer Fläche von 4.900 Quadratmetern ist aufwendig aus 6.800 einzelnen Scheibenformaten und 66 geometrisch unterschiedlichen Holzleimbindern aus sibirischer Lärche konstruiert. Historische Vorbilder für solche Holz-GlasKonstruktionen finden sich bei Orangerien und Stahl-Glas-Treibhäusern des 19. Jahrhunderts. „Bei Entwürfen mit einer so starken gestalterischen Identität geht es oft darum, die notwendigen technischen Installationen so unauffällig wie möglich auszuführen", so Haustechnik-Experte Winterboer. Konflikte zwischen Stararchitekt und ausführenden Ingenieuren sind dabei fast unvermeidlich. „Bedingt durch ihren jeweiligen Ansatz, denken beide Parteien schon verschieden", so Winterboer. „Zum einen gilt es, den Entwurf so gut wie möglich umzusetzen, zum anderen müssen rechtliche und komfortbedingte Vorgaben erfüllt werden. Die Schnittmenge ist dann das Gebäude, das gebaut wird."

Erfahrene Weltklassearchitekten wie der soeben 80 Jahre alt gewordene Helmut Jahn empfinden ein solches Vorgehen denn auch nicht als Majestätsbeleidigung, sondern als völlig normal. „Ich habe gelernt, dass man als Architekt kein Künstler ist, sondern ein Problemlöser", sagte der deutsch-amerikanische Architekt kürzlich in einem Zeitungsinterview und ergänzte: „Dass Kosten und Termine beachtet werden müssen, dass eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Bauherrn zu optimalen Ergebnissen führt und dass man nie zufrieden sein darf mit dem, was man erreicht hat. Nur so schafft man Visionen."

Gemeinsam mit Jahn hat HOCHTIEF übrigens das Sony Center am Potsdamer Platz in Berlin und den Messeturm Frankfurt realisiert. Und ist damit vielleicht nicht ganz unschuldig am Erfolg des Stararchitekten, der über seine Projekte hier sagt: „Ich habe in Deutschland viele wichtige Gebäude entworfen, die sich durch Neuheit, Innovation und Effizienz in allen Bereichen auszeichnen konnten. So etwas konnte man nur im Technikparadies Deutschland machen."

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