Gebogene Hörner, haarige Leiber und Pranken mit langen Krallen - im Schnalstal fegen Krampusse als Pistenschreck durch das Skigebiet. Die jahrhundertealte Tradition der Tuifl boomt in den Alpen.
Von Franziska Horn
Leicht hat es so ein Dämon nicht. Das zeigt sich beim Einsteigen in den Sessellift, wo moderne Technik die alten Sagengestalten einholt: Der Bügel des Hintereislifts will einfach nicht über die weit gebogenen Hörner passen. Dann halt ohne Sicherung hinauf auf 3115 Meter im Skigebiet Schnalstaler Gletscher. Wenigstens friert der Teufel nicht im Schneesturm: Das Zottelkostüm aus Ziegen- und Schaffell hält bei Minusgraden einigermaßen warm.
Kurz zuvor noch tobten die Gestalten über die Piste. Mit zu Fratzen erstarrten Masken, die Arme drohend erhoben, schwangen sie ihre Ruten. Hörner, haarige Leiber, zottelige Pranken mit langen Krallen - die Schnalstaler "Niederjoch Tuifl" wirken, als hätte man den legendären Yeti mit Orks aus "Herr der Ringe" und Chewbacca aus "Krieg der Sterne" gekreuzt. Wer auf ihren Pistenauftritt nicht gefasst ist, kann schon mal in Atemnot geraten.
Einmal in der Adventszeit ziehen die "Tuifl", auch "Krampusse" genannt, von Hütte zu Hütte des Skigebiets - dieses Jahr am 7. Dezember. Jeder, der sich nicht schnell genug vom Acker macht, bekommt mit der Weidenrute eins über - zum Glück gibt es Skihelme. Die rund vier Kilo schweren Kuhschellen an den Kostümen scheppern dabei und sorgen für einen "Höllenlärm". Die meisten Skifahrer erholen sich schnell vom Pistenschreck, zücken die Kameras und posen fürs Selfie mit Teufel.
Good cop, bad cop
"Mich hat der 600 Jahre alte Brauch immer schon fasziniert. Darum haben wir unseren Krampus-Verein 2015 gegründet, zuvor hat es keine Tuifl gegeben im Schnalstal" , sagt Michael Kofler, Obmann der Niederjoch Tuifl. Der Name stammt vom heimischen Joch in Nähe der Ötzi-Fundstelle. Die Krampusse treiben in den Alpen traditionell im Advent ihr Unwesen, oft Seite an Seite mit dem gütigen Nikolaus: Während der rot befrackte Rauschebart lobt und lobt, straft der Unhold die bösen Kinder ab. "Good cop, bad cop", könnte man die psychologische Taktik nennen.
Seit der Jahrtausendwende boomen die Krampusvereine in den Alpentälern. "Besonders im Allgäu und im Salzburger Land. Der Trend nimmt fast überhand", sagt Kofler. "Wir haben inzwischen rund 30 Mitglieder, zehn bis zwölf davon gehen bei den Südtiroler Umzügen in November und Dezember mit. Die Kameradschaft ist dabei auch wichtig. Und unsere jährliche Gletschertour im Skigebiet, die meist vor dem Feiertag Maria Empfängnis stattfindet, die ist wirklich einmalig", sagt Kofler, Jahrgang 1993 und gelernter Elektriker aus dem Dorf Katharinaberg.
Am Morgen startete die Gletschertour der Tuifl in Kurzras. "Mami! Maaaaami!!" Hektisch haut die Fünfjährige ihre Skistöcke in die auslaufende Piste. Mit einem letzten Pflugbogen rettet sie sich hinter die Warteschlange an der Talstation der Lazaun-Seilbahn. Ihr auf den Fersen: die Krampusse. Dann stellt sich die wilde Horde plötzlich gesittet in die Reihe und steigt friedlich in die Gondeln ein, die hinauf zur Lazaunhütte fahren. Um nach dem Aussteigen erneut über arglose Skitouristen herzufallen.
Quoten-Teufelinnen sind auch dabei
Weil der Wirt der Lazaunhütte eine Runde Glühwein schmeißt, legen die Urviecher ihre Maskerade für ein paar Minuten ab. Wer steckt außer Kofler noch hinter den Larven, wie die geschnitzten Masken hier in Südtirol heißen? Junge Männer und Jugendliche, allesamt aus dem Tal, die freundlich grinsen, als hätten sie nicht gerade Kinder verschreckt. Die beiden jüngsten Nachwuchsteufel sind gerade mal um die zehn Jahre alt.
"Traditionell treten nur männliche Junggesellen als Krampus auf", sagt Kofler. Auch ein, zwei "Quoten"-Teufelinnen dürfen inzwischen mitmachen. Zum Beispiel Andrea Nischler, die beim Tourismusamt Schnalstal arbeitet und sich seit zwei Jahren im Verein engagiert.
"Früher hatte ich echte Angst vor den Teufeln", erzählt Nischler, Jahrgang 1994. "Damals ging es wirklich wild zu. Heute weiß ich, wer dahinter steckt. Und es kommt niemand mehr zu Schaden wie früher: Die Identitäten der Teufel sind amtlich gemeldet, und die Tradition steht mehr im Vordergrund. Aber das Spiel lebt auch davon, nicht erkannt zu werden, klar!"
Mit dem teuflischen Treiben lebt auch das Handwerk der Schnitzer auf, zum Beispiel das von Josef Schiffmann, Holz- und Steinbildhauer aus dem Tiroler Weerberg, der rund 25 Masken im Jahr fertigt, auch für die Jugendlichen aus Schnals. Rund 2000 Euro kann ein komplettes Kostüm kosten. Draußen vor der Hütte wird es inzwischen laut. Mit Peitschenknallen begleiten die "Goaßlschnöller Schnols" den Krampuszug durch den Schnee.
Ein Hugo nach dem Schreck
Nächste Station: das Glacier Hotel Grawand, auf 3212 Metern ganz oben im Schnalser Gletscherskigebiet. Die Schreie der Gitsch'n, Südtirolerisch für Mädchen, gellen durch das Restaurant, als sie Deckung hinter Bänken und Tischen suchen. Auftritt gelungen. Bald süffeln die Monster zufrieden einen "Hugo" an der Bar, bevor es wieder hinaus in den Schneesturm geht und zum Hintereislift.
Oben angekommen holt Hüttenwirt Paul Grüner den Fellhaufen ab und stopft ihn in seine Schneekatze. Noch die steile Piste zur Schöne-Aussicht-Hütte hinauf, wo die Urviecher planmäßig ihr Unwesen treiben. Dann kredenzt Grüner seine Spezialnudeln und ein Zirbenschnapserl, während Gäste und Tuifl Seite an Seite schmausen.
"Die Masken werden nach alten Vorlagen geschnitzt", erzählt Teufel David Spath, Tischler aus Karthaus, Jahrgang 1997. Auch sein Bruder Roland mischt mit im Verein. David ist selbst "Lorver", Maskenschnitzer, die Technik hat er sich selbst beigebracht. "Rund 30 bis 40 Stunden brauch ich für einen Kopf aus Zirbenholz. Innen gepolstert und mit Hörnen kostet er dann bis 700 Euro", sagt er.
"Für mich ist der Brauch mehr als eine Gaudi, denn durchs Schnitzen bin ich ja fast das ganze Jahr mit dem Thema konfrontiert. Ich hoffe, ich kann mir damit ein zweites Standbein aufbauen", sagt Spath, der ein Krampus-Tattoo auf dem Oberarm trägt und sich derzeit auf die Bergführerprüfung vorbereitet. "Falsch ist, dass wir den Satan anbeten, das glauben manche Leute. Ansonsten mach ich mir aber nicht so viele Gedanken über die historischen Hintergründe." Sagt's, zieht die Maske über und prescht mit donnernden Schellen einer Gruppe Skifahrer hinterher.
Information: Die nächste Gletschertour der "Niederjoch Tuifl" findet am Freitag, 7. Dezember 2018 ab 10 Uhr statt. Weitere Infos: Tourismusverein Schnalstal, Karthaus 42, I-39020 Schnalstal, Mail: info@schnalstal.it.
Franziska Horn ist freie Autorin von SPIEGEL ONLINE. Die Reise wurde unter anderm unterstützt vom Tourismusverein Schnalstal.
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