Wie sehr die Realität jede Fiktion übertreffen
kann, zeigt das Doku-Drama »Diving into
the unknown« des finnischen Regisseurs Juan
Reina: Ein tödlicher Unfall beim Höhlentauchen
entwickelt eine hochgefährliche Dynamik.
Mit soghaften Bildern holt Reina den
Zuschauer in eine der gefährlichsten, entlegensten
Unterwasserhöhlen und dokumentiert
die hochbrisante Bergung der Verunglückten.
Im Interview erklärt Reina, warum
er gerade Tauchen für einen »sehr psychologischen
« Sport hält.
Es sollte ein Dokumentarfilmprojekt werden.
Aber ein ganz anderes: Im Februar 2014 ertranken
zwei finnische Sporttaucher in über
100 Meter Tiefe beim Versuch, ein fünf Kilometer
langes Höhlensystem in Nordnorwegen
(bei Mo i Rana) zu durchqueren. Was war
das ursprüngliche Ziel dieses Projekts?
Ein Team von fünf versierten finnischen Tauchern,
alle eng befreundet, wollte dort für einen
geplanten Rekord im Höhlentauchen
in Spanien trainieren. Einer der Taucher, Patrik
Grönqvist, kannte das Höhlensystem
Steinugleflaget in der Provinz Nordland bereits.
Seit den 60er Jahren war dort getaucht
worden, jedoch nicht der gesamte Abschnitt
zwischen beiden Eingängen, von denen einer
in einer Trockenhöhle, der andere in einem
zugefrorenen Wasserbassin liegt. Der Tauchgang
sollte also dem Training dienen, das die Männer zudem mit Helmkameras filmen
wollten. Das alles in extremer Tiefe in sehr
kaltem Wasser.
Auf diesem Tauchgang kam es zur Katastrophe
– zwei der fünf Taucher starben. Was genau
ist passiert?
Für diesen ungewöhnlich langen Fünf-Stunden-
Trip hatte sich das Team in zwei Gruppen geteilt.
Zuerst mussten sie ein Eisloch in das winterliche
Wasserbassin namens Plura schneiden,
um dann gezogen von Underwater-Scootern in
die Tiefe zu tauchen. Patrik Grönqvist und Jari
Huotarinen starteten zuerst. Nachdem sie Stunden
später den tiefsten Punkt auf 130 Meter bereits
passiert hatten, merkte Patrik, jetzt in 120
Meter Tiefe, dass Jari nicht mehr nachfolgte. Jari
war in einem engen Durchgangsspalt stecken
geblieben, konnte weder vor noch zurück,
ein Kabel hatte sich verfangen. Er gab Notsignale
mit der Taschenlampe. Patrik wollte ihn
befreien, aber Jari geriet stufenweise immer
mehr in Panik. Doch genau das gilt es zu vermeiden,
da mit der schnelleren Atmung auch
der Kohlendixid-Gehalt im (Luft-)Kreislauf ansteigt
– die Hyperkapnie ist eine echte Gefahr
für Taucher. Patrik versuchte also, Jaris Gaszylinder
zu wechseln. Dabei passierte es: Beim Tauschen
des Mundstücks schluckte Jari Wasser,
noch dazu versagte ein Teil der Ausrüstung. Jari
ertrank direkt vor Augen des Freundes. Patrik
blieb keine Wahl, als das letzte Wegstück in
Richtung Trockenhöhle
Steinugleflaget allein
zurück zu legen. Gleichzeitig war ihm klar, dass
das nachfolgende Dreierteam diese Stelle nun
auch nicht mehr passieren konnte – eine Gefahr
für alle drei.
Was für eine Grenzsituation – auch für professionelle,
erfahrene Rettungstaucher wie unter
diesen Freunden hier.
Ja. Als drittes folgte Vesa Rantanen, er überblickte
die Lage, zwängte sich mit Mühe am toten
Kameraden vorbei. Doch dieser Kampf verbrauchte
viel Energie, er musste schneller als
geplant aufsteigen und bekam die Dekompressionskrankheit.
Er merkte nicht, wie hinter ihm
Jari Uusimäki ebenfalls in Schwierigkeiten und dann in Panik geriet. Panikreaktionen und Kontrollverlust unter Wasser bedeuten für jeden
Taucher – und seine seine Kameraden! – ein
großes Risiko. Kai Kankanen, der als Fünfter und
letzter folgte, versuchte Jari Uusimäki zu beruhigen,
konnte ihn aber nicht retten. Also musste
Kai geschockt umdrehen und die lange Strecke
nach Plura allein zurücklegen. Dabei ging
sein Scooter kaputt, er musste selbst schwimmen
und – nach fast elf Stunden Gesamtzeit unter
Wasser – auch noch die inzwischen wieder
zugefrorene Eisdecke von unten aufbrechen.
Das Fazit: Zwei der fünf Freunde sind tot, drei
überleben knapp und traumatisiert, sind wegen
der Dekompressionskrankheit selbst verletzt.
Wie ging es weiter?
Sofort nach diesen beiden Todesfällen verhörte
die norwegische Regierung die Überlebenden
und versiegelte die Höhle als Gefahrenzone.
Die drei Freunde standen nun vor einem
Konflikt: Zwar selbst traumatisiert, konnten
sie kaum ertragen, die toten Kameraden in
der Tiefe zu wissen. Doch erneut Leben riskieren,
um Tote zu bergen? Weil Trauer einen Ort
braucht, um Abschied nehmen zu können, versprachen
sie den Angehörigen der Toten, es
zu versuchen. Sechs Wochen später starteten
sie eine illegale und daher geheime Operation,
die ich als Filmemacher mit einigen Helfern
begleitete.
Neben dem eh schon riskanten Bergen der
Kameraden ging es zudem um Freundschaft,
um den Wert des Lebens – also um menschliche
Werte?
Ja, natürlich. Mein Film handelt vor allem von
der emotionalen und psychologischen Reise,
auf die sich die Freunde begeben, als sie – wiederum
mit GoPro-Kameras – an den Unfallort
zurückkehren. Tauchen ist ein sehr psychologischer
Sport, bei dem man Gefühle und Atem
mental kontrollieren muss. Wie werden sie dort
unten auf die toten Freunde reagieren, unter
schwierigsten Bedingungen? Gelingt es, die
Kontrolle zu behalten? Über die eigenen Gefühle,
die Atmung, das Material? Wie reagieren
Menschen in derart exponierten Extremsituationen,
physisch wie psychisch, wenn absolut
nichts schiefgehen darf?
Tauchen Sie selbst?
Nein, ich tauche nicht. Dafür gehe ich häufig
auf Outdoortrips, zu Hause in Helsinki oder in
meiner Wahlheimat Kenia. Für das Filmprojekt
bin ich in die Trockenhöhle (Steinu) abgestiegen
und habe die Operation von dort aus gefilmt. (ff)
Zum Original
kann, zeigt das Doku-Drama »Diving into
the unknown« des finnischen Regisseurs Juan
Reina: Ein tödlicher Unfall beim Höhlentauchen
entwickelt eine hochgefährliche Dynamik.
Mit soghaften Bildern holt Reina den
Zuschauer in eine der gefährlichsten, entlegensten
Unterwasserhöhlen und dokumentiert
die hochbrisante Bergung der Verunglückten.
Im Interview erklärt Reina, warum
er gerade Tauchen für einen »sehr psychologischen
« Sport hält.
Es sollte ein Dokumentarfilmprojekt werden.
Aber ein ganz anderes: Im Februar 2014 ertranken
zwei finnische Sporttaucher in über
100 Meter Tiefe beim Versuch, ein fünf Kilometer
langes Höhlensystem in Nordnorwegen
(bei Mo i Rana) zu durchqueren. Was war
das ursprüngliche Ziel dieses Projekts?
Ein Team von fünf versierten finnischen Tauchern,
alle eng befreundet, wollte dort für einen
geplanten Rekord im Höhlentauchen
in Spanien trainieren. Einer der Taucher, Patrik
Grönqvist, kannte das Höhlensystem
Steinugleflaget in der Provinz Nordland bereits.
Seit den 60er Jahren war dort getaucht
worden, jedoch nicht der gesamte Abschnitt
zwischen beiden Eingängen, von denen einer
in einer Trockenhöhle, der andere in einem
zugefrorenen Wasserbassin liegt. Der Tauchgang
sollte also dem Training dienen, das die Männer zudem mit Helmkameras filmen
wollten. Das alles in extremer Tiefe in sehr
kaltem Wasser.
Auf diesem Tauchgang kam es zur Katastrophe
– zwei der fünf Taucher starben. Was genau
ist passiert?
Für diesen ungewöhnlich langen Fünf-Stunden-
Trip hatte sich das Team in zwei Gruppen geteilt.
Zuerst mussten sie ein Eisloch in das winterliche
Wasserbassin namens Plura schneiden,
um dann gezogen von Underwater-Scootern in
die Tiefe zu tauchen. Patrik Grönqvist und Jari
Huotarinen starteten zuerst. Nachdem sie Stunden
später den tiefsten Punkt auf 130 Meter bereits
passiert hatten, merkte Patrik, jetzt in 120
Meter Tiefe, dass Jari nicht mehr nachfolgte. Jari
war in einem engen Durchgangsspalt stecken
geblieben, konnte weder vor noch zurück,
ein Kabel hatte sich verfangen. Er gab Notsignale
mit der Taschenlampe. Patrik wollte ihn
befreien, aber Jari geriet stufenweise immer
mehr in Panik. Doch genau das gilt es zu vermeiden,
da mit der schnelleren Atmung auch
der Kohlendixid-Gehalt im (Luft-)Kreislauf ansteigt
– die Hyperkapnie ist eine echte Gefahr
für Taucher. Patrik versuchte also, Jaris Gaszylinder
zu wechseln. Dabei passierte es: Beim Tauschen
des Mundstücks schluckte Jari Wasser,
noch dazu versagte ein Teil der Ausrüstung. Jari
ertrank direkt vor Augen des Freundes. Patrik
blieb keine Wahl, als das letzte Wegstück in
Richtung Trockenhöhle
Steinugleflaget allein
zurück zu legen. Gleichzeitig war ihm klar, dass
das nachfolgende Dreierteam diese Stelle nun
auch nicht mehr passieren konnte – eine Gefahr
für alle drei.
Was für eine Grenzsituation – auch für professionelle,
erfahrene Rettungstaucher wie unter
diesen Freunden hier.
Ja. Als drittes folgte Vesa Rantanen, er überblickte
die Lage, zwängte sich mit Mühe am toten
Kameraden vorbei. Doch dieser Kampf verbrauchte
viel Energie, er musste schneller als
geplant aufsteigen und bekam die Dekompressionskrankheit.
Er merkte nicht, wie hinter ihm
Jari Uusimäki ebenfalls in Schwierigkeiten und dann in Panik geriet. Panikreaktionen und Kontrollverlust unter Wasser bedeuten für jeden
Taucher – und seine seine Kameraden! – ein
großes Risiko. Kai Kankanen, der als Fünfter und
letzter folgte, versuchte Jari Uusimäki zu beruhigen,
konnte ihn aber nicht retten. Also musste
Kai geschockt umdrehen und die lange Strecke
nach Plura allein zurücklegen. Dabei ging
sein Scooter kaputt, er musste selbst schwimmen
und – nach fast elf Stunden Gesamtzeit unter
Wasser – auch noch die inzwischen wieder
zugefrorene Eisdecke von unten aufbrechen.
Das Fazit: Zwei der fünf Freunde sind tot, drei
überleben knapp und traumatisiert, sind wegen
der Dekompressionskrankheit selbst verletzt.
Wie ging es weiter?
Sofort nach diesen beiden Todesfällen verhörte
die norwegische Regierung die Überlebenden
und versiegelte die Höhle als Gefahrenzone.
Die drei Freunde standen nun vor einem
Konflikt: Zwar selbst traumatisiert, konnten
sie kaum ertragen, die toten Kameraden in
der Tiefe zu wissen. Doch erneut Leben riskieren,
um Tote zu bergen? Weil Trauer einen Ort
braucht, um Abschied nehmen zu können, versprachen
sie den Angehörigen der Toten, es
zu versuchen. Sechs Wochen später starteten
sie eine illegale und daher geheime Operation,
die ich als Filmemacher mit einigen Helfern
begleitete.
Neben dem eh schon riskanten Bergen der
Kameraden ging es zudem um Freundschaft,
um den Wert des Lebens – also um menschliche
Werte?
Ja, natürlich. Mein Film handelt vor allem von
der emotionalen und psychologischen Reise,
auf die sich die Freunde begeben, als sie – wiederum
mit GoPro-Kameras – an den Unfallort
zurückkehren. Tauchen ist ein sehr psychologischer
Sport, bei dem man Gefühle und Atem
mental kontrollieren muss. Wie werden sie dort
unten auf die toten Freunde reagieren, unter
schwierigsten Bedingungen? Gelingt es, die
Kontrolle zu behalten? Über die eigenen Gefühle,
die Atmung, das Material? Wie reagieren
Menschen in derart exponierten Extremsituationen,
physisch wie psychisch, wenn absolut
nichts schiefgehen darf?
Tauchen Sie selbst?
Nein, ich tauche nicht. Dafür gehe ich häufig
auf Outdoortrips, zu Hause in Helsinki oder in
meiner Wahlheimat Kenia. Für das Filmprojekt
bin ich in die Trockenhöhle (Steinu) abgestiegen
und habe die Operation von dort aus gefilmt. (ff)
Zum Original