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„Ich fühle mich wie ein Bildhauer" - Mannheimer Morgen

Im Grunde mag Ludovico Einaudi seine Musik nicht so recht in eine Schublade packen, auch, wenn viele Kritiker ihn der Sparte Minimalismus zuordnen. Der einstige Avantgarde-Künstler wurde insbesondere durch seine Filmkompositionen schlagartig einem breiteren Publikum bekannt. Am 1. Mai tritt er in der SAP Arena Mannheim auf. Im Telefongespräch erzählt der Musiker, warum er sich gelegentlich wie ein Bildhauer fühlt.

Herr Einaudi, frustriert es Sie, dass Sie vor allem mit Filmmusik in Verbindung gebracht werden?

Ludovico Einaudi: Natürlich gibt es da auch eine Kehrseite der Medaille. Einerseits kommen viele Menschen zu den Konzerten, weil sie meine Musik aus einem Film kennen. Und es ist sehr schön, zu sehen, dass die Konzerte sehr schnell ausverkauft sind. Manchmal spiele ich in einer Stadt mehrere Konzerte, weil so viel Nachfrage da ist. Andererseits, ja natürlich, geht manches im Prozess verloren, denn das, was viele nur aus Filmen kennen, entspricht vielleicht in seiner Gänze nicht ganz ihren Erwartungen an meine Musik. Doch ich trete sehr gerne auf und ich weiß, dass es Menschen glücklich macht, wenn ich meine bekannten Stücke aus Kinofilmen spiele.

Ihr immer noch aktuelles Album aus dem Jahr 2015 heißt „Elements". Warum?

Einaudi: Die Idee hinter dem Titel ist folgende: Man sollte die Elemente der Musik hin und wieder mit einem anderen Blick betrachten, etwa durch das Auge der Wissenschaft, Architektur oder Kunst. Kreativität ist für mich, sich und die Welt von einer anderen Perspektive aus zu beobachten.

Was oder welche Perspektiven inspirieren Sie?

Einaudi: Ich verbringe meine Zeit gerne mit Büchern. Manchmal sind es Romane, aber auch Sachliteratur. Ich lese gerne Sekundärliteratur - also Bücher, die von anderen Büchern handeln. Während des Lesens taucht man in das Buch ein und es leistet den eigenen Gedanken Gesellschaft. Als ich beispielsweise an meinem Album „Elements" arbeitete, las ich über griechische Philosophie und einen Essay über den Künstler Wassily Kandinsky. Darin geht es um die Elemente der Kunst und wie er mit ihnen umgeht. Es werden Parallelen zwischen Musik und Bildender Kunst sowie dem Schreiben gezogen. Meine Inspiration entspringt also meiner Lese- und Lernlust.

Wie kam es dazu, dass sie Musiker wurden?

Einaudi: Mein Vater war ein sehr erfolgreicher Verleger. Meine Mutter hing sehr an ihm. Sie war es auch, die mir die Musik näher gebracht hat, denn sie hat Klavier gespielt. Sie selbst kam aus einer musikalischen Familie, ihr Vater war Dirigent. Zuhause gab es diese Welt der Bücher, da mein Vater ja ständig mit ihnen zu tun hatte. Folglich war unser ganzes Haus ständig voller Bücher, die regelrechte Wände bildeten. Ich empfand das damals als überwältigend. Wenn ich Musik hörte, stellte ich mir eine Welt ohne diese Wände vor. Durch die Musik konnte ich Emotionen in der Luft schwirrend wahrnehmen, statt in Form von materiellen und gedruckten Seiten. In der Musik hatte ich als Kind die meiste Freiheit.

Was hat Ihren Musikgeschmack geprägt?

Einaudi: Ich habe einen sehr gemischten Musikgeschmack. Meine Mutter spielte oft Chopin und Bach. Als Jugendlicher habe ich viel Rock und Blues gehört. Meine ältere Schwester hat mich auf den Geschmack von den Beatles, Jimi Hendrix und Pink Floyd gebracht. Von Miles Davis, Radiohead bis Oper höre ich sehr unterschiedliche Musik - das alles beeinflusst mich noch heute. Ich denke, meine Musik ist das Ergebnis von all diesen Einflüssen.

Wie entstehen Ihre Kompositionen, beginnt alles damit, dass Sie sich ans Klavier setzen?

Einaudi: Einerseits ja, denn ich nehme sehr viele Einfälle und Ideen auf, auch wenn ich gerade nicht daran denke, ein neues Album zu produzieren. Ich mache mir Notizen von allen Ideen, die mir dann einfallen, wenn ich andere Dinge mache wie etwa auf Tournee zu spielen. Vor einem Konzert sitze ich manchmal am Klavier und spiele so vor mich hin. Wenn ich etwas Neues komponiere, gehe ich zunächst durch einen großen Berg an Entwürfen und höre sie mir an. Und es ist schön, für sich Abstand zu gewinnen und die Ideen, die man zwei, drei Monate oder ein Jahr vorher entwickelt hat, noch einmal durchzugehen. Es ist wie ein großer Steinblock, den man anfangs hat. Und ich fühle mich wie ein Bildhauer, der einen Teil des Rohmaterials herausnehmen muss, um ihm eine Form zu geben und von Grund auf neu zu definieren. Man muss etwas im Rohmaterial entdecken und es herausarbeiten. Es ist kein einfacher Prozess, aber das ist, was ich momentan mache.

Sie arbeiten also an einem neuen Album?

Einaudi: Ja, ich arbeite an einem neuen Album und kann noch nicht viel dazu sagen, noch ist es nicht spruchreif. Ich befinde mich aktuell am Anfang des Prozesses, in dem ich noch das Rohmaterial vor mir habe und bearbeite.

Zu Person und Konzert

Der Maestro des Minimalismus, Ludovico Einaudi, spielt am 1. Mai in der SAP Arena. © Tarantino

Zur Person: Der Komponist und Pianist Ludovico Einaudi wurde am 23. November 1955 in Turin geboren. Seine Großväter sind Luigi Einaudi, von 1948 bis 1955 Staatspräsident Italiens, und der im Zweiten Weltkrieg nach Australien ausgewanderte Star-Dirigent Waldo Aldrovandi. Sein Vater Guilio führte ab 1933 mehr als 60 Jahre lang unter dem Familiennamen einen renommierten Verlag, bei dem unter anderem Italo Calvino oder Primo Levi publizierten. Ludovico Einaudi begann bereits als Teenager, zu komponieren. 1982 schloss er das Mailänder Verdi-Konservatorium mit dem Diplom in Komposition ab. Durch den Einfluss seines experimentierfreudigen Lehrers Luciano Berio interessierte er sich unter anderem für afrikanische Musik. Einaudis Kompositionen verbanden lange Minimal-Music und Ambient-Klänge mit Pop-Einflüssen. Populär wurde er ab Mitte der 90er Jahre durch Filmmusik. Vor allem die Soundtracks zur Serie „Dr. Schiwago" (2002) und der Hit-Komödie „Ziemlich beste Freunde" (2011) waren sehr erfolgreich.

Zum Konzert: Dienstag, 1. Mai, 20 Uhr, SAP Arena Mannheim. Karten unter 0621/10 10 11 (65 bis 90 Euro plus Gebühren).

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